Fachkräftemangel: Wohin sind die Fachkräfte verschwunden?
Autor: Klaus Heimann
Deutschland, Montag, 18. Juli 2022
Flughäfen, die Gastronomie und das Speditionsgewerbe verpassen den Neustart nach der Corona-Krise, weil ihnen Personal fehlt. Sind es Managementfehler? Abnehmendes Interesse der Beschäftigten? Ein Erklärungsversuch zum Fachkräftemangel.
- Flughafen und Airlines verschlafen den Neustart
- Gastronomie verliert die meisten Mitarbeiter
- Speditionsbranche muss Attraktivität steigern
- Handfeste Gründe forcieren die Abwanderung
Wer früher gekellnert hat, sitzt jetzt vielleicht an der Kasse im Supermarkt. Die Corona-Epidemie hat den Arbeitsmarkt kräftig durcheinander gewirbelt. Was viele ahnten, ist jetzt statistisch nachgewiesen. In drei Branchen kriselt es besonders heftig.
Flughafen und Airlines verschlafen den Neustart
Den deutschen Flughäfen fehlen laut Flughafenverband ADV bis zu 20 Prozent des Personals, um in den operativen Bereichen durchzustarten. Bestätigung findet der Rückgang in der Kurz-Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Beschäftigung von Fachkräften im technischen Luftverkehrsbetrieb ist von 9.206 in 2018/2019 auf 8.016 in 2020/2021 um 12,9 Prozent gefallen. Bei Luft- und Bodenpersonal ging die Beschäftigung um ca. 7.200 Fachkräfte zurück. Die Folgen sind beachtlich: Lange Schlangen am Check-in, viele gestrichene Flugverbindungen und auf den Koffer warten viele lange vergeblich.
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In der Corona-Krise hatten Flughäfen, Fluggesellschaften und Dienstleister Personal abgebaut und Fachkräfte verloren. Die ehemaligen Mitarbeiter*innen suchten sich Jobs in anderen Branchen. Hinzukommt, dass bei den Bodenverkehrsdiensten und Kabinenpersonal die Gehälter vergleichsweise niedrig sind. Um dem Personalmangel entgegenzutreten, verhandelt der ADV jetzt über einen Branchentarifvertrag, wie das Personalmagazin berichtet.
Allem Anschein nach ist die Luftfahrtbranche von der starken Nachfrage nach dem pandemiebedingten Einbruch - nach Kurzarbeit und Personalabbau - völlig überrascht. Doch wenn die Fluggesellschaften und Reisebüros über Monate Flüge und Urlaubsreisen wieder deutlich mehr verkauften, hätten die Manager dann nicht damit rechnen müssen, dass Personal notwendig ist, um diese Flüge abzuwickeln? Offenbar haben die Verantwortlichen übersehen, dass dieses neue Personal nur mit einigen Monaten Zeitvorlauf zu rekrutieren und zu schulen ist. Oder haben sie damit gerechnet, dass ehemalige Kräfte problemlos wieder einsteigen? Wie auch immer: Beide Rechnungen gingen nicht auf. Dass die Flughäfen viel zu spät auf steigende Nachfrage reagiert haben, bestätigt eine Auswertung der Personalmarktforschung Index Research: Per Anzeige suchten die Flughäfen Sicherheitspersonal erst im April 2022, für das Bodenpersonal erst im Mai 2022 – viel zu spät für den Touristenansturm in der Sommersaison. Im Juni 2022 suchten die Flughafenbetreiber per Anzeige 251 Prozent mehr Mitarbeiter*innen für die Bodencrew und es gab 22 Prozent mehr Jobangebote für Security-Fachkräfte als im Juni 2021. Das Chaos an deutschen Flughäfen beruht also auf Managementfehlern.
Gastronomie verliert die meisten Mitarbeiter
Aufwind in Cafés, Restaurants, Hotels, Biergärten: Nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie wollten viele Betriebe in diesen Sommer endlich wieder durchstarten und raus aus dem Krisenmodus. Doch nun haben sie ein neues Problem. Eines, das man bisher eher in der Pflege und im Handwerk kannte – es fehlt das Personal. Die Frage ist: Wo sind all die Arbeitskräfte hin? Diesem Phänomen ist das Institut der deutschen Wirtschaft nachgegangen. Mit Blick auf das Gastgewerbe zeigt die Analyse, dass von mehr als 788.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die im Jahresdurchschnitt 2020 in einem Tourismus-, Hotel- oder Gaststättenberuf gearbeitet haben, mehr als 215.000 in einen anderen Beruf gewechselt sind – mehr als jeder Vierte. Kein anderer Berufszweig habe relativ gesehen so viele Beschäftigten verloren, schreiben die Forscher*innen.
Die allermeisten Jobwechsler fingen im Verkauf an, etwa als Kassierer*innen im Super- oder Drogeriemärkten. Viele profitierten vom boomenden Online-Handel und der damit verbundenen Lagerlogistik. Wieder andere haben Jobs in Testzentren gefunden. Mitten in der Corona-Krise hatten Einzelhändler gezielt um Arbeitskräfte aus dem Gastgewerbe geworben - mit dem Hinweis auf sichere Jobs auch in der Pandemie. Besonders umstritten war dabei ein Werbe-Post von Lidl in den sozialen Netzwerken mit dem Slogan 'Bar war gestern'. Vor allem die Initiative 'Leere Stühle', kritisierten Gastronomen, Hoteliers und Veranstaltern scharf. Die Lidl-Aktion verschwand schnell.