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Krankschreibung prüfen: Was darf der Arbeitgeber?


Autor: Klaus Heimann

Deutschland, Samstag, 15. Juni 2024

Beschäftigte, die krank sind, erhalten vom Arzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Arbeitgeber akzeptieren sie nicht immer und prüfen sie genau. Aber dürfen sie das?
Können Arbeitgeber die Diagnose des Arztes anzweifeln?


  • Der medizinische Dienst begutachtet die Krankschreibung
  • Häufige und kurze Krankheiten machen Arbeitgeber stutzig
  • Krankenschein ist nicht mehr sakrosankt
  • Lieber kein Schindluder mit dem Krankenschein treiben

Der Krankenstand bei den Erwerbstätigen erreichte 2023 erneut ein Rekordhoch. Arbeitgeber erhalten nahezu täglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU). Nicht selten entsteht in der Praxis Streit zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten, weil die Richtigkeit des eingereichten Krankenscheins angezweifelt wird. Es gibt merkwürdige Zusammenhänge, die Arbeitgeber stutzig machen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber nicht länger schweigen und alles sang- und klanglos hinnehmen. Sie haben jetzt einen starken Verbündeten: die Arbeitsgerichte. Und Arbeitnehmer müssen aufpassen, falls sie mit dem Krankenschein tricksen, dass die Aktion nicht nach hinten losgeht. "Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann den Arbeitgeber sogar zu einer fristlosen Kündigung berechtigen", erläutert Arbeitsrechtler Prof. Michael Fuhlrott auf der Online-Seite des Verbands der deutschen Arbeitsrechtsanwälte.

Der medizinische Dienst begutachtet die Krankschreibung

Wenn du als Beschäftigter einer Firma krank bist und nicht arbeiten kannst, benötigst du eine Krankschreibung vom Arzt. Das ist deshalb wichtig, weil du sonst die sechswöchige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom Arbeitgeber nicht bekommst. Arbeitnehmer müssen spätestens am vierten Tag eine AU beim Arbeitgeber einreichen, um ihren Anspruch auf Fortzahlung des Einkommens sicherzustellen.

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Doch was passiert, wenn der Arbeitgeber Zweifel am Krankenstand des Arbeitnehmers hat? Kann er die AU überprüfen lassen? Ja, er kann. Aber eben mal so geht das nicht. Denn: "Der Arbeitgeber muss dafür begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit haben", erklärt Alexander Bredereck, Fachanwalt für Arbeitsrecht, der Deutschen Presseagentur (dpa). Diese Aufgabe kann auch nicht der Betriebsarzt übernehmen.

Der Arbeitgeber kann von seinem gesetzlich versicherten Arbeitnehmer verlangen, dass er eine gutachterliche Stellungnahme vom Medizinischen Dienst zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Das Gutachten beantragst du bei deiner Krankenkasse und die wiederum holt es vom Medizinischen Dienst ein. In etwa drei von hundert Fällen beauftragt die gesetzliche Krankenkasse den Medizinischen Dienst, zur Arbeitsunfähigkeit Stellung zu nehmen. Diese Regelung ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 275 SGB V Begutachtung und Beratung) und ermöglicht dem Arbeitgeber eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Häufige und kurze Krankheiten machen Arbeitgeber stutzig

Eine Überprüfung der AU findet regelmäßig und üblicherweise statt, wenn der Arbeitnehmer auffallend häufig oder immer wieder für kurze Zeit arbeitsunfähig ist. Arbeitgeber sind stutzig, wenn die Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Montag oder Freitag fällt oder an solchen Tagen beginnt.

Zweifel kommen beim Arbeitgeber auch dann auf, wenn eine Kündigung des Beschäftigten durch die Firma und dessen Krankmeldung zeitlich unmittelbar zusammenfallen oder das Attest exakt bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt ist.

Die Art, wie die AU ausgestellt ist, kann ebenfalls Zweifel begründen. "Zum Beispiel, wenn diese rückwirkend oder für einen sehr langen Zeitraum ausgestellt ist", so Bredereck. Gleiches gilt, wenn der Arbeitnehmer die Erkrankung ankündigt, so der Fachanwalt. "Auch Arbeitnehmer, die als Reaktion auf einen nicht genehmigten Urlaub krank werden, begründen durch dieses Verhalten entsprechende Zweifel." Gehäufte Bescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit direkt im Anschluss an einen Urlaub oder vor dessen Beginn machen ebenfalls stutzig.

Krankenschein ist nicht mehr sakrosankt

Folge dieser Entwicklung: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) weicht immer häufiger seine Haltung zur Unumstößlichkeit einer AU auf. Eine arbeitgeberseitige "Erschütterung" der Krankmeldung ist dann möglich, wenn sich der Arbeitnehmer im Anschluss an eine Kündigung krankmeldet oder das Attest passgenau bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt ist. Das hat das BAG klargestellt (BAG vom 13.12.2023, Az.: 5 AZR 137/22). Der zeitliche Zusammenhang zwischen Kündigung und Krankmeldung sei ein wichtiger Umstand, der den Beweiswert eines Attests erschüttern kann.

Anlass zur BAG-Entscheidung war die Krankmeldung eines Arbeitnehmers einer Zeitarbeitsfirma. Mit drei ärztlichen Attesten schaffte es der Arbeitnehmer, sich bis zum Kündigungstermin krankschreiben zu lassen. Das Unternehmen glaubte dem Mitarbeiter nicht, wirklich krank zu sein, und verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG).

Das ist innerhalb eines halben Jahres jetzt das zweite BAG-Urteil, das den Arbeitgebern mehr Möglichkeiten bei der Kontrolle der AU einräumt. Dass Arbeitgeber bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen nunmehr noch genauer hinsehen, erwartet Prof. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Hamburg, in seiner Kommentierung zum Urteil auf Legal Tribune Online, dem juristischen Fachmedium. Mit dem Urteil setzt der fünfte Senat des BAG seine Rechtsprechung zu den geänderten Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Atteste fort, die er mit einer Entscheidung vor rund zwei Jahren eingeläutet hatte (Urteil vom 8.9.2021, Az.: 5 AZR 149/21).

Wenn Arbeitgeber genauer hinsehen

Ärztliche Atteste haben eigentlich einen hohen Beweiswert. Sie lassen sich nur mit konkreten Indizien erschüttern. Dass Arbeitgeber bei Krankmeldungen im Zusammenhang mit Kündigungen, bei häufiger Krankheit an Montagen oder Freitagen oder bei einer passgenauen Krankheitsdauer genauer hinsehen, ist eine Folge der gelockerten Rechtsprechung. Allen Arbeitnehmenden ist zu empfehlen, kein Schindluder mit der AU-Bescheinigung zu treiben. Das Risiko "aufzufliegen" ist nach den jüngsten Entscheidungen des BAG einfach zu groß.