Affenpocken mutieren zehnmal schneller als zuvor: Was bedeutet das für uns?
Autor: Lea Mitulla
Edinburgh, Dienstag, 07. Juni 2022
Während sich die Affenpocken weiter ausbreiten, haben Forschende eine überraschende Entdeckung gemacht: Das Virus ist seit dem letzten Ausbruch außerhalb Afrikas 2018 etwa zehnmal schneller mutiert als üblich. Was bedeutet das für uns?
Die Affenpocken breiten sich immer weiter aus. In Deutschland wurden inzwischen 80 Fälle gemeldet, teilte das Robert-Koch-Institut am Dienstag (7. Juni 2022) mit. Doch auch in anderen Ländern steigen die Fallzahlen, es soll sich um den ersten großen Ausbruch der Krankheit außerhalb Afrikas handeln. Diese plötzliche Ausbreitung beschäftigt die Wissenschaft sehr.
Es gibt mittlerweile rund 30 sequenzierte Genome des Affenpockenvirus. Die Analysen des Erbguts geben den Experten aber nur weitere Rätsel auf: Die DNA des derzeit kursierenden Erregers ist eng verwandt mit der westafrikanischen Linie, die schon wenige Jahre zuvor außerhalb des Kontinents aufgetaucht ist. Eine vorläufige Analyse aus Belgien kam sogar zu dem Ergebnis, dass das Erbgut vollständig übereinstimmt - mehrere Fachleute äußerten jedoch bereits Zweifel daran. Es kam womöglich zu einem Fehler bei der Sequenzierung.
Affenpocken sind ungewöhnlich schnell mutiert: Grund stellt Wissenschaft vor ein Rätsel
Weitere Forschungsgruppen haben nun Klarheit geschaffen. Trotz vieler Übereinstimmungen gibt es insgesamt 47 Stellen im Genom, wo sich das aktuelle Affenpockenvirus von dem unterscheidet, das nach 2017 in Singapur, Israel und Großbritannien aufgetaucht war. Das hat eine Analyse von mehr als 20 Genomsequenzierungen von Forschenden der University of Edinburgh gezeigt. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist den meisten Menschen geläufig, dass die Mutation von Viren nichts Ungewöhnliches ist - wieso ist es im Fall der Affenpocken also so besonders?
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Pockenviren sind grundsätzlich sehr stabil, ihr Erbgut verändert sich kaum. Das Variola-Virus, das für die Pocken beim Menschen verantwortlich war, hat sich zum Beispiel nur an ein oder zwei Stellen pro Jahr verändert. Bislang geht man bei den Affenpocken von einer ähnlichen Mutationsrate aus. Das bedeutet, das aktuelle Virus ist etwa fünf- bis zehnmal schneller mutiert als normal.
Die Ansammlung von Mutationen haben Fachleute in allen Affenpockenviren gefunden, die seit dem Ausbruch untersucht wurden. Das weist darauf hin, "dass der aktuelle Ausbruch höchstwahrscheinlich auf einen einzelnen Fall zurückgeht", schreibt das Team um João Paulo Gomes vom Nationalen Gesundheitsinstitut in Portugal in einer Vorabveröffentlichung. Die Forschungsgruppe hat ebenfalls mehrere Genome genauer auf ihre Bausteine untersucht.
Werden Affenpocken gefährlicher für den Menschen?
Die Erbgutanalysen geben jedoch keinen Hinweis darauf, ob die Mutationen das Virus "verbessert" haben und es so plötzlich zum weltweiten Ausbruch kam. Zum einen ist die DNA des Affenpockenvirus größer und komplizierter als etwa die des Coronavirus. Zum anderen hat sie ganz andere Eigenschaften und Funktionen.
Sars-CoV-2 hat zum Beispiel das sogenannte Spike-Protein, das sich an ganz bestimmte Zellrezeptoren bindet und so die Verbreitung des Virus im Körper möglich macht. Bei den Affenpocken gibt es kein vergleichbares Gegenstück. Es bildet zwei verschiedene Arten von Viruspartikeln, die sich an die Zellen binden und in sie eindringen können. Allein anhand der Mutationen im Erbgut lässt sich somit nur schwer einschätzen, ob die Affenpocken ansteckender geworden sind oder dem Immunsystem besser ausweichen können.