Was kann man gegen die Flaute im Bett tun?
Autor: Irmtraud Fenn-Nebel
, Mittwoch, 15. Mai 2019
In einer langjährigen Beziehung schläft der Sex manchmal ein. Ilse Kolb sagt, wie man ihn wiederbelebt.
Wer frisch verliebt ist, denkt nur an das Eine. Jahre später denkt derselbe Mensch vielleicht nur an das andere: Nicht schon wieder. Wenn der erste Hormonrausch vorbei ist, kann das Thema Sexualität eine Beziehung belasten. Die Spontanitäts- und Rücksichts-, die Gegenseitigkeits- und Eigentlichkeitsfalle schnappen zu. Gibt es einen Ausweg? "Ja", sagt Ilse Kolb. Die Diplompädagogin und Sexualtherapeutin ist Leiterin der Ehe- und Familienberatungsstelle von Pro Familia Bamberg. Sie weiß aus ihrer täglichen Praxis, wie die Probleme im Bett entstehen, und hat einige Tipps, um die Sexflaute zu überwinden.
Ihr nächster Vortrag heißt "Sexuelle Selbstverwirklichung statt Lustlosigkeit". Warum ist das ein Thema? Wie kommt es zur Lustlosigkeit und dazu, dass Paare im Laufe der Zeit vielleicht lieber neben- als miteinander schlafen?
Ilse Kolb: Am Anfang einer Beziehung, wenn die Hormone noch so richtig in Gang sind, läuft ja alles von selbst. Wenn die Paare schon einige Zeit zusammen sind, verändert sich die Lust. Forschungen zufolge senkt sich die Koitushäufigkeit nach fünf Jahren durchschnittlich um die Hälfte.
Wer oder was ist schuld daran?
Das hat verschiedene Gründe. Zum einen kommt im anstrengenden Alltag in den vielfältigen Verpflichtungen, zum Beispiel durch die Kindererziehung, die Zeit für Sexualität manchmal zu kurz. Auch ungelöste Spannungen in der Partnerschaft sind häufig schuld. Für manche Paare entsteht auch durch die Sexmärchen der Medien ein enormer Druck. Sie zweifeln sofort an sich und ihrer Beziehung, wenn sie nicht so häufig wie propagiert Sex haben, und kommen damit leicht in eine negative Kommunikationsspirale. Um dauerhaft guten Sex zu haben, geht es aber eigentlich darum, das Beste der eignen Persönlichkeit mit den besten Eigenschaften ihres Partners in Verbindung zu bringen. Paare machen das Glück einer Beziehung sehr stark von der Sexualität abhängig. Das ist zum Teil in Ordnung, wird für manche aber zum Problem.
Leisten sich Frauen heute eher ein Nein als früher?
Ja, durch die Emanzipation konnten sich die Frauen einen Freiraum für ihre Lustlosigkeit schaffen und sagen auch mal, ich will jetzt nicht. Allerdings zeigt meine Erfahrung in der Praxis, dass es immer noch viele Frauen gibt, die Sexualität erlauben, obwohl sie keine Lust haben.
Wollen sie ihren Mann mit der Zuwendung vielleicht davon abhalten, sich eine andere zu suchen?
Diesen Gedanken gibt es natürlich. Die Frauen machen mit, weil sie den Partner nicht verlieren oder Streit vermeiden wollen.
Warum sprechen die Paare nicht über dieses Thema, obwohl sie nach einer langjährigen Beziehung das nötige Vertrauen zueinander haben müssten?
In vielen langjährigen Beziehungen hat sich nach vielen gegenseitigen Enttäuschungen oft eine Drängler-Verweigerungs-Spirale entwickelt, die es den Paaren sehr schwer macht, in einer unbelasteten Form und ohne Vorwürfe zu sprechen. Beide fühlen sich nicht verstanden und so wird das Gespräch schwierig.
Ist das mit dem Drängeln und Verweigern geschlechterspezifisch?
Es sind überwiegend Männer, die drängeln. Aber es gibt auch Frauen, die mit diesem Thema ihre Not haben.
Kann man Sex durch mehr Vertrautheit lebendiger gestalten?
Ja und nein. Für manche Menschen braucht es viel Vertrautheit, um sich fallen lassen zu können. Grundsätzlich gilt aber: zuviel Vertrautheit wirkt dämpfend auf die sexuelle Lust.
Das heißt, als Paar kann man ganz schön schnell und eigentlich unbeabsichtigt in eine Falle tappen.
Man kann sogar von vier Fallen in der Sexualität sprechen. Die erste ist die Spontanitätsfalle. Viele glauben, das Begehren kommt einfach mal so schnell vorbei, aber das funktioniert nur im ersten Hormonrausch. Wenn man eine lange Beziehung hat, muss man auch mal was dafür tun. Die zweite ist die Rücksichtsfalle. Die Partner achten statt auf ihre eigenen Wünsche symbiotisch darauf, was der andere braucht. Das nimmt die Möglichkeit zum Experimentieren. Die dritte ist die Gegenseitigkeitsfalle. Viele glauben, eine gute Entwicklung auch im sexuellen Bereich muss symmetrisch sein, aber sexuelle Entwicklungen verlaufen asymmetrisch. Symmetrie bedeutet Stagnation. Nur wer sich selbst entwickelt und erotisch verändert, Wünsche entdeckt und formuliert, kann neue Anregungen in die Beziehung einbringen. Aber bitte ohne Druck. Die Eigentlichkeitsfalle schließlich bezieht sich auf das heute vorherrschende Liebesideal "Sexualität ist gleich Beziehung". Aber das verwechseln manche Menschen ein bisschen.
Aber Sex gehört doch zu einer Beziehung?
Zu einer guten Beziehung gehört mehr als Sex. Dazu gehören Dinge wie liebevolle Zuwendung, Rücksichtnahme und Unterstützung im Alltag. Das ist bei langfristigen Beziehungen mindestens genauso wichtig wie Sexualität. Die meisten vergessen, dass sie nur dann etwas bekommen, wenn sie bereit sind, eine Vorleistung zu geben.
Beraten Sie Frauen anders als Männer?
Ich ermutige die Frauen, ihre eigenen Bedürfnisse zu entwickeln, ihren Körper besser kennen zu lernen und dazu zu stehen, wenn sie mal keine Lust haben. Männer haben oft das Problem, sich zwischen Softie und Macho entscheiden zu müssen. Natürlich sollen sie ihre Frauen verstehen, aber wenn sie ihre natürliche Aggression verlieren bzw. ihre eigenen Bedürfnisse verleugnen, schläft der Sex ein.
Gibt es überhaupt eine Chance, die Leidenschaft wieder zu entfachen?
Wenn es nicht um behandlungsbedürftige Sexualstörungen geht, gibt es schon ein paar Tipps, um eine Sexflaute zu überwinden. So sollte man nicht nur den Partner als Quelle sexueller Lust sehen, sondern die sexuelle Fantasie einbeziehen. Man sollte sich einen Freiraum für die Sexualität schaffen und zum Beispiel einen Zeitraum, einen Tag dafür vornehmen. Man darf nicht verzagen, wenn es nicht gleich enthusiastisch klappt, sondern muss davon ausgehen, dass sich die sexuelle Lust in Wellen bewegt. Wer guten Sex will, muss mittelmäßigen in Kauf nehmen und manchmal sogar eine Flaute. Und man sollte darauf achten, im Alltag gut miteinander umzugehen, den anderen neu zu entdecken. Das regt die Fantasie an.
Erstaunlich, dass ein so natürliches Thema so komplex ist.
Nun, Sexualität hat ihr Eigenleben und entzieht sich Kontrollversuchen. Es ist vielleicht hilfreich, sie so zu betrachten, als sei sie ein Spiegel. Geht man mit sich selbst gut um? Kann man sich entspannen? Gelingt es, die Belastungen und Pflichten aus dem Kopf zu verbannen und sich fallen zu lassen? Das sind wichtige Voraussetzungen für Sexualität.
Gibt es Paare, die sich wegen unterschiedlicher sexueller Wünsche trennen?
Ja, wenn die Wünsche zu weit auseinanderklaffen und auch eine Paartherapie nicht hilft. In der Regel bekommt man das aber in der Therapie wieder hin. Paare, die sich mit dem Problem auseinandersetzen und Kompromisse erarbeiten, haben eine sehr hohe Chance, dass die Sexualität für beide passt.
Das Gespräch führte Irmtraud Fenn-Nebel.