Der NATO-Bündnisfall: Was bedeutet er - und wie oft wurde er bereits ausgerufen?
Autor: Werner Diefenthal
Deutschland, Mittwoch, 23. November 2022
Der NATO-Bündnisfall: Wann er ausgerufen werden kann, ist im entsprechenden Artikel der Vereinbarung geregelt. Doch was bedeutet es und was wären die Folgen?
- Was ist der NATO-Bündnisfall?
- Wann wird er ausgerufen?
- Was bedeutet das?
- Welche Folgen hätte die Ausrufung?
- Wurde er schon einmal ausgerufen
Wann und wie der NATO-Bündnisfall ausgerufen wird, ist genau geregelt. Doch was geschieht, wenn er ausgerufen wird? Welche Folgen hätte dies weltweit und vor allem für Deutschland? Wäre es möglich, dass dies eskaliert und ein Weltkrieg die Folge wäre?
Was ist der Bündnisfall?
Als die NATO 1949 gegründet wurde, befand die Welt sich bereits im Kalten Krieg. Die Angst vor einem bewaffneten Konflikt mit der damaligen UDSSR beherrschte das Denken und Handeln. Im Vertrag wurde daher genau festgelegt, dass bei einem Konflikt die anderen Mitgliedsstaaten zur Hilfe verpflichtet sind. Dies wurde im Artikel 5 geregelt. Darin heißt es: "Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten."
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In Artikel 6 des Vertrages wird der "bewaffnete Angriff" genauer spezifiziert. Darin wird auch geregelt, dass sich ein solcher Angriff nicht alleine auf ein Staatsgebiet beschränkt, sondern auch "auf die Streitkräfte, Schiffe oder Flugzeuge einer der Parteien, wenn sie sich in oder über diesen Gebieten oder irgendeinem anderen europäischen Gebiet, in dem eine der Parteien bei Inkrafttreten des Vertrags eine Besatzung unterhält oder wenn sie sich im Mittelmeer oder im nordatlantischen Gebiet nördlich des Wendekreises des Krebses befinden."
Damit ist die Bedeutung klar: Würde ein Staat einen anderen, der Mitglied in der NATO ist, direkt angreifen, kann dieser Staat die restlichen Mitglieder um Hilfe bitten. Diese kann nicht verwehrt werden. Allerdings tritt der Bündnisfall nicht automatisch ein. Das ist in Artikel 4 des Vertrages geregelt: "Die vertragschließenden Staaten werden in Beratungen miteinander eintreten, wenn nach der Meinung eines von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit irgendeines der vertragschließenden Staaten bedroht ist." Für Deutschland ist dies unter anderem auch im Grundgesetz, Artikel 80a geregelt. Darin steht, vereinfacht gesagt, dass der Bundestag seine Zustimmung geben muss, dass man den Bündnisfall als solchen akzeptiert. Diese Zustimmung bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.
Der Ablauf und die Bedeutung für Deutschland
In der Theorie würde ein solcher Bündnisfall so ablaufen: Der Staat, der angegriffen wird, ruft die NATO um Hilfe an. Der NATO-Rat muss dann feststellen, ob ein Bündnisfall vorliegt. Sollte dies der Fall sein, würden die Mitgliedsstaaten informiert, dass der Bündnisfall ausgerufen wird. In den einzelnen Ländern wird dann gemäß den dort festgelegten Regeln agiert.
Für Deutschland würde dies bedeuten, dass, je nach Szenario, es zu einer Mobilmachung der Bundeswehr kommt. Da in diesem Fall mit einer gewissen Eile gehandelt werden muss, kann die Zustimmung des Bundestages auch rückwirkend gelten. Je nach Kapazität würden dann Truppen in das Einsatzgebiet verlagert. Da es wohl eher unwahrscheinlich ist, dass ein solcher Angriff aus heiterem Himmel erfolgt, geht dem meist eine Krise voraus, in der vorausschauend agiert werden kann und möglicherweise bereits schnelle Eingreiftruppen vorhanden sind. Die USA würden in diesem Fall über den Stützpunkt Ramstein aktiv werden und, sollte der Fall in Osteuropa eintreten, diese Länder mit Truppen versorgen. Deutschland würde sich allerdings in jedem Fall sehr schnell als Kriegspartei in einem Konflikt befinden. Dabei entscheidet der Umfang eben dieses Konfliktes darüber, ob auch ein Angriff auf Deutschland selber droht. Der Bündnisfall sieht eine aktive Verteidigung vor, das heißt, es ist auch ein Einmarsch in das Land des Aggressors zur Beendigung der Aggression vorgesehen. Der NATO-Rat und der Bundestag (für Deutschland) entscheiden schließlich, ob der Bündnisfall beendet ist.