Diskussion um Rettungskräfte: So gefährlich sind Blaulichtfahrten
Autor: Natalie Schalk
Würzburg, Sonntag, 28. Juli 2019
Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr haben im Einsatz Sonderrechte im Verkehr. Alle paar Sekunden kommen sie in eine gefährliche Situation.
Es brennt. Die Freiwillige Feuerwehr in Reichenberg (Kreis Würzburg) ist schnell, muss schnell sein. Der Rettungswagen des BRK auch. Beide sind mit Blaulicht unterwegs, beide haben Sonderrechte im Straßenverkehr. Sie müssen sich nicht an Tempolimits halten und dürfen bei Rot über die Ampel fahren. An einer Kreuzung krachen die Fahrzeuge ineinander.
Wie sicher sind Einsatzfahrten?
Ein paar Wochen sind seit diesem Unfall vergangen, der Brand ist längst gelöscht, die leichten Verletzungen der Retter in den Unfallfahrzeugen verheilt und der Sachschaden von etwa 8000 Euro ein Versicherungsfall. Aber der Unfall ist jetzt Teil einer Diskussion, die um die Sicherheit bei Blaulichtfahrten entbrannt ist.
Vor einem guten Monat ist ein Rettungswagen in Oberfranken auf dem Weg zu einem Einsatz selbst in einen dramatischen Unfall geraten. Erst vor wenigen Tagen waren unterfränkischen Polizeibeamte auf dem Weg zum Einsatz, als ihr Wagen in einer Engstelle auf ein Auto traf. Obwohl sich die Fahrerin und die Polizisten sahen, traf sie das Einsatzfahrzeug seitlich. Anstatt zu warten, fuhr sie weiter.
Blaulichtfahren: Im Schnitt 1,3 Unfälle pro Tag
Der Würzburger Fachanwalt für Rettungsdienstrecht Bernd Spengler kritisiert, dass keine repräsentativen Zahlen über solche Unfälle vorhanden seien. "Unfälle bei Einsatzfahrten werden eher unter den Teppich gekehrt", ist auch die Auffassung des Münchner Anwalts Alexander Stevens. Und der Verkehrsrechtsprofessor Dieter Müller von der Polizeihochschule Sachsen sagt gar: "Keine Organisation traut sich an dieses brisante Thema heran, weil es auf mögliche Fehler hinweist."
Sohrab Taheri-Sohi, Sprecher des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), will sich nicht nachsagen lassen, dass seine Organisation etwas vertuscht. Die Zahlen hat er auf unsere Nachfrage parat: Im vergangenen Jahr meldete das Rote Kreuz 519 Unfälle an die Haftpflichtversicherung. Darunter fallen auch Lappalien wie abgefahrene Spiegel. Bei zwei Millionen Einsätzen mit 55 000 000 Kilometern kam es in 0,03 Prozent zu einem Unfall. Aber es kracht jeden Tag - im Schnitt 1,3 Mal. "Jeder Unfall ist zuviel", sagt Taheri-Sohi. Um die Sicherheit zu erhöhen, rüstet das BRK die Fahrzeuge nach, beispielsweise mit Abbiegekameras und Kotflügel-Blaulicht.
Stress im Sekundentakt für die Rettungskräfte
Überholen an einer Engstelle, Autos, die unerwartet scharf bremsen, wenn sie das Blaulicht wahrnehmen, Fußgänger, die beim Überqueren der Straße erschrocken stehen bleiben: Alle 19 Sekunden erleben Rettungskräfte auf der Straße eine kritische Situation. Diese Zahl stammt von der Bundesanstalt für Straßenwesen - und ist 25 Jahre alt. Es wird vermutet, dass der Stressfaktor heute größer ist, weil der Verkehr dichter ist.