Druckartikel: Goldman, Sachs und Lehmann: Der fränkische Banken-Krimi

Goldman, Sachs und Lehmann: Der fränkische Banken-Krimi


Autor: Günter Flegel

Würzburg, Mittwoch, 15. April 2015

Was hat der Stinkefinger eines griechischen Ministers mit Rimpar und Trappstadt in Unterfranken zu tun? Goldman, Sachs und Lehmann, die Gründer der US-Banken, die zum Auslöser einer globalen Wirtschaftskrise wurden, waren drei arme jüdische Auswanderer aus Unterfranken.
Marcus Goldman legte den Grundstein für ein mächtiges Bankenimperium. Fotos: Archiv


Würde die Gesellschaft der deutschen Sprache neben dem Unwort des Jahres auch noch das am meisten missbrauchte Wort ausloben, "historisch" wäre ein sicherer Kandidat. Kaum ein Treffen im Kanzleramt, das nicht historisch wäre, kaum ein Fußballspiel, das nicht mit historischem Sieg oder Niederlage endet ... Bei solcher Inflation verwundert es nicht, dass wirklich Historisches bisweilen übersehen wird: wie die drei Unterfranken, die Weltgeschichte geschrieben haben.

Goldman, Sachs und Lehmann: Drei arme jüdische Auswanderer

Goldman, Sachs und Lehman: Diese drei Namen stehen für eine Krise, die das Wirtschaftssystem der Welt erschüttert hat, die den Glauben an die Gerechtigkeit ins Wanken und ganze Staaten an den Rand der Pleite brachte.

Die Banken, Grundpfeiler des Glaubens an ein System, das den "Markt" die Dinge regeln lässt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, verloren mit der Krise der Großbanken Goldman-Sachs und Lehman Bros. in den USA nicht nur unvorstellbar viel Geld, sondern viel von ihrem wichtigsten Kapital: die Glaubwürdigkeit.

Die Aktie, das Goldene Kalb einer gewinnmaximierten Welt, erschien plötzlich als das, was sie ist: ein Stück Papier oder, im Zeitalter des virtuellen Handels, nicht einmal das; als ein Knopfdruck am Computer, mit dem man Milliarden verdienen oder auch vernichten kann ...

Das eben Geschriebene könnte der Vorwort für einen Jahrhundertkrimi sein, eine Mischung aus "Wolf of Wallstreet" und "Animal Farm" ... mit der besonderen Note, dass Franken der Ursprung ist. Unterfranken, um genau zu sein, wobei es wie ein schier unglaublicher Zufall anmutet, dass die drei Familien, deren Namen für die Banken- und Finanzmarktkrise stehen, allesamt unterfränkische Wurzeln haben; dass der Reichtum, der am Ende viele so arm machte, so bescheiden begann.

Marcus Goldman wurde in Trappstadt geboren

Marcus Goldman war ein jüdischer Kaufmann, in Trappstadt geboren und 1848 in die USA ausgewandert. Samuel Sachs wurde 1851 in Maryland geboren. Seine Eltern stammten aus Rödelmeier (heute im Landkreis Rhön-Grabfeld) und hatten Deutschland 1847 verlassen. Die Lehman-Brüder, Kinder eines jüdischen Viehhändlers aus Rimpar bei Würzburg, suchten zwischen 1844 und 1850 ihr Glück in Amerika.

Die Suche nach den Spuren dieser Auswanderer ist ein Krimi für sich, eine spannende Geschichte, die Cordula Kappner aus Haßfurt abendfüllend erzählen kann. Die frühere Leiterin einer kommunalen Bibliothek hat sich ganz dem reichen jüdischen Erbe der Region verschrieben. Ihr Schwerpunkt ist die Zeit des nationalsozialistischen Terrors; durch ihre akribische Forschungsarbeit kennt sie die Namen der jüdischen Familien aus der Region aus dem FF.

Mühsame Spurensuche

Und so stolperte Frau Kappner über einen Artikel, den die ehemalige amerikanische Korrespondentin für die FAZ, Sabina Lietzmann, über "Juden in New York" geschrieben hatte. Sie erwähnte einen Auswanderer namens "Marcus Goldmann aus Burgpreppach", der es in den USA zu einigem Wohlstand gebracht habe. Als der Name Goldman (und Sachs) 2007/08 zum Inbegriff der Bankenkrise wurde, beschäftigte sich die Heimatforscherin mit den Namen, die in den jüdischen Gemeinden in Unterfranken sehr weit verbreitet waren.

Die Spur nach Burgpreppach entpuppte sich schnell als Sackgasse, denn dieser Markt im Haßgau war lediglich der Sitz des Bezirksrabbinats für die jüdischen Gemeinden in einem weiten Umkreis. Um so mehr erwies sich die Familiengeschichte der Goldmanns als wahre Fundgrube für alle an der Heimatgeschichte Interessierten. Cordula Kappner fand heraus, dass Marcus Goldman(n) 1821 in Trappstadt im damaligen Landgerichtsbezirk Königshofen geboren wurde. Er war der älteste Sohn von fünf Kindern des jüdischen Ehepaares Wolf und Ella Goldmann. Sein Vater war "Handelsjud", Viehhändler und Ökonom aus Zeil am Main (heute Landkreis Haßberge).

Enge Familienbande

Wolf Goldmann wurde 1794 im noch erhaltenen Haus Nummer 57 (heute Kaulberg 6) in Zeil geboren. Die Nachforschungen in der Familiengeschichte werden dadurch erschwert, dass die jüdische Tradition lange nur Vornamen kannte. Vor allem in den Großstädten suchten sich jüdische Bürger nach christlichem Vorbild erst ab dem 17. Jahrhundert Nachnamen aus, die sich oft von ihrem Beruf oder ihrer Herkunft ableiteten.
Bayern verpflichtete die jüdischen Bürger 1813 per Gesetz zur Benutzung von Nachnamen. Das macht es bei gängigen Namen schwierig, die Familiengeschichten auseinander zu halten. Fest steht: Marcus Goldmann wanderte 1848 von Frankfurt in die USA aus; 1850 heiratete er Bertha Goldman, die im Alter von 19 Jahren aus Bayern nach Amerika ausgewandert war.
Wobei diese Wanderung mehr eine Flucht war: Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts verließen mehr als fünf Millionen Deutsche ihre Heimat; die meisten suchten in den USA ihr Glück, andere in Australien. Wirtschaftliche Not und politische Verfolgung nach der gescheiterten Revolution von 1848 waren die Hauptgründe für diese Völkerwanderung, die den USA ihren Stempel aufdrückte. 50 der 318 Millionen US-Bürger haben deutsche Vorfahren! Die Geschichte(n) der Auswanderer haben viel dazu beigetragen, dass Amerika lange als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten galt, in dem ein Tellerwäscher zum Millionär werden konnte.
Gut: Teller wusch Goldman nicht. Mit seiner Frau, einer gelernten Näherin, errichtete er zunächst in Philadelphia ein Bekleidungsgeschäft; später zog die Familie nach New York. 1869, vier Jahre nach Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, gründete Goldman in der Pine Street in New York City in einem kleinen Büro die M. Goldman Company. Goldman kaufte Kunden-Schuldscheine von Tabak- und Diamantenhändlern in Manhattan auf. Mit anfangs nur wenig Gewinn verkaufte er diese Wechsel an Banken weiter.
1882 trat sein Schwiegersohn Samuel Sachs in die Firma ein. Sachs war ein Sohn des Internatslehrers Joseph Sachs aus Rödelmeier in Unterfranken. Der emigrierte 1847 in die USA, kehrte aber bereits 1867 in seine Heimat zurück; sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof von Kleinbardorf.

Der Erfinder der Aktie

Die Familien Goldmann und Sachs waren bereits in Unterfranken befreundet und durch Eheschließungen verwandt. Samuel Sachs brachte eine zündende Geschäftsidee in die Firma Goldman mit: Neu gegründete Unternehmen konnten sich über von der Bank ausgegebene Papiere Geld leihen - damit war die Aktie erfunden. Diese Idee hatte Sachs mit seinem Freund Philip Lehman entwickelt, der 1850 mit seinen zwei Brüdern eine eigene Bank in Alabama gegründet hatte. Die drei Lehman-Brüder, Söhne eines Viehhändlers aus Rimpar bei Würzburg, waren zwischen 1844 und 1850 in die USA ausgewandert und hatten zunächst mit dem Baumwollhandel und Gemischtwarenläden ihr Geld verdient.
Aus diesen kleinen Anfängen wurden die Großbanken Goldman-Sachs und Lehman Bros. (2008 Insolvenz) deren Milliardenumsätze und Verflechtungen mit Wirtschaft und Politik sie so mächtig mach(t)en, dass sie als "systemrelevant" gelten. Staaten retten Pleitebanken, Banken retten Pleitestaaten ... wenn das nicht wahrhaft historisch ist!