"Wir schaffen das": Flüchtlinge erzählen von ihrem Alltag in Franken
Autor: Christian Pack, Peter Groscurth
Bamberg, Samstag, 08. Oktober 2016
Wie leben Asylbewerber in Franken? Wie meistern sie ihren Alltag? Flüchtlinge wie die Familie Kanawati aus Syrien tun alles dafür, dass ihr Traum wahr wird.
Was kursieren nicht alles für Befürchtungen, welche Gefahren von den neuen Nachbarn ausgehen: Der Islam wird schon bald unsere Gesellschaft untergraben und dominieren, eingeschleuste Terroristen verüben Anschläge und die Kriminalität steigt durch die Flüchtlingswelle stark an. Im Internet, auf der Straße und selbst in der Politik werden Tag für Tag neue Ängste geschürt und Horrorszenarien entworfen, was Deutschland künftig droht. Wie aber denken Flüchtlinge darüber, wie erleben sie die neue Umgebung und wie organisieren sie ihr neues Leben? Das alles kommt in all der Debatte häufig viel zu kurz.
Deshalb haben wir uns in der Region umgehört und mit vielen Menschen gesprochen, die ihre Heimatländer wie Afghanistan, Syrien oder Äthiopien aus Angst um ihr Leben verlassen mussten. Hierbei zeigte sich, wie scheu und unsicher sie meist sind. Und oft haben wir in den Gesprächen auch den Eindruck gewonnen, dass ihnen einfach nur der Kontakt zu uns Deutschen fehlt. Das Hauptproblem: die Sprachbarriere.
Familie Kanawati: Die deutsche Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg
Wie verkraftet eine siebenköpfige Familie die fast 4000 Kilometer lange Flucht aus der von Bürgerkrieg heimgesuchten Metropole Damaskus in Syrien? Wie geht es den Menschen anschließend in Deutschland? Und wie finden sie ihren Platz in der neuen Heimat? Sameh und Wissam Kanawati sahen für sich und ihre Kinder Judy, Sham, Laith (alle 7), Besher (6) und Alma (3) keine andere Möglichkeit, als ihre Heimat zu verlassen. "Ich sollte zum Militär, wäre wohl sofort an die Front versetzt worden", erzählt der 37-jährige Familienvater nachdenklich. 2014 packen sie ihre wenigen Sachen zusammen, lassen ihr altes Leben zurück und flüchten zunächst in die Türkei. Über Griechenland gelangen sie nach Europa und schließlich 2015 nach Deutschland.
Neuanfang in Oberaurach
Dort endet die Odyssee in der Gemeinde Oberaurach im Landkreis Haßberge, wo die Familie eine kleine Wohnung bezieht. "Das war für uns wie ein Neuanfang", erinnert sich Mutter Wissam. Rasch muss die Familie ihren Alltag meistern. Schwer, denn keiner kann Deutsch. Doch der studierte Maschinenbau-Ingenieur Kanawati und seine Frau, eine Englisch-Lehrerin, blicken nach vorne und verfolgen seitdem ein großes Ziel, wie Vater Sameh berichtet: "Ich möchte schnell Arbeit finden, das ist mein großes Ziel. Jetzt ist es zwar schon gut, aber mit einer Beschäftigung wird alles noch viel besser." Seit Monaten pauken die Eltern Deutsch, fünf Tage die Woche jeweils fünf Stunden. Im November ist der Aufbau-Kurs vorbei. Und eine wichtige Hürde genommen: das Sprachproblem. Denn schon jetzt verstehen die Kanawatis sehr gut Deutsch und scheuen sich nicht, die neue Sprache anzuwenden. "Wir dürfen nicht nur in der Erinnerung an Syrien verhaftet bleiben. Wir wissen, dass wir von den Deutschen lernen müssen, um unser Glück zu finden", so Sameh Kanawati im Gespräch mit dieser Zeitung.
Die Kinder fühlen sich wohl
Wo sieht die Familie ihre Zukunft? "Es wäre schön, wenn wir in Deutschland bleiben könnten - vor allem auch wegen der Kinder", hofft die 34-jährige Mutter. Die Drillinge sind in der zweiten Klasse und ein weiterer Sohn wurde gerade eingeschult, die kleinste Tochter besucht einen Kindergarten. Die Kinder fühlen sich wohl, haben viele Freunde und toben ausgelassen durch das Wohnzimmer, lachen viel und sprechen ohne Probleme Deutsch. "Dass wir dies alles so geschafft haben, verdanken wir der Hilfe von Menschen in Oberaurach, zu denen wir bis heute Kontakt halten", erzählt Wissam Kanawati. Seit wenigen Monaten wohnt die Familie in Bamberg, kam dort in einem kleinen Häuschen unter, das einer Kirchengemeinde gehört. "Wir sind am liebsten im Haingebiet, um Rad zu fahren", erzählt der kleine Besher stolz, und fügt an: "Die Schule macht viel Spaß - bis auf Mathe."
Doch was bekommt die Familie von der Atmosphäre in der Gesellschaft mit? Haben sie Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit gemacht? Einmal ja - da gab es in ihrer ersten Unterkunft in den Haßbergen ein drastisches Erlebnis. Ein anonymes Schreiben steckte im Briefkasten. "Darin ging es um allgemein gehaltene islamfeindliche Botschaften. Wir haben damals die Polizei verständigt, die aber den Urheber des Briefes nicht ermitteln konnte", erinnert sich Sameh Kanawati zurück.
Böser Brief im Briefkasten
Ansonsten ist er dankbar, wie viel Hilfe und Unterstützung er und seine Familie bekommen. "Wir haben häufig Besuch von Menschen, die zu uns Kontakt halten und die uns beistehen." Gibt es manchmal auch böse Blicke auf der Straße? "Das kommt schon vor und bleibt leider im Kopf", gesteht die Mutter. Doch in solchen Augenblicken denkt sie an ihre deutschen Freunde, um das zu verdrängen. Allmählich gewöhnen sich die Kanawatis an den Lebensrhythmus in Deutschland. "Hier sind die Menschen auf ihre Arbeit fokussiert. Abends essen sie, lesen danach, sehen fern und gehen früh ins Bett", so Sameh Kanawati. In Syrien sei das anders, dort würden die Menschen nach dem Abendessen ausgehen und erst spät schlafen gehen. "Die Deutschen sind viel produktiver. Ich finde das deutsche System beneidenswert. Recht und Gesetz werden geachtet. Bei uns zuhause dagegen ist alles korrupt und die Gesellschaft leidet unter dem blutigen Krieg." Er hofft, dass seine Landsleute so wie er von den Deutschen lernen. "Wir brauchen Ideen, wenn Syrien einmal wieder aufgebaut werden soll. Daher ist es ein Fehler, wenn andere Flüchtlinge kein Deutsch lernen wollen."
Jetzt setzt der Familienvater darauf, dass sein Ingenieurs-Titel anerkannt wird. "Dann läuft die Arbeitssuche hoffentlich erfolgreich. Ein Praktikum bei Schaeffler habe ich bereits absolviert."
Seine Frau lächelt und ist froh über diese große Chance. Die Chance auf ein unbekümmertes Leben in Frieden - vor allem für ihre Kinder.
Marathon-Mann Firaa'ol Eebbisaa: Sein längster Lauf
Eigentlich müsste Firaa'ol Eebbisaa derzeit ein glücklicher Mann sein. Monatelang rannte der äthiopische Läufer, der im Vorjahr trotz fünfminütiger Verspätung den Fränkische-Schweiz-Marathon gewinnen konnte, auf eigenen Faust durch die Hofer Wälder. Nichts wünschte er sich sehnlicher als professionelle Trainingsbedingungen. Und dann die Erlösung: Der Flüchtling durfte vor einigen Wochen von Hof nach Nürnberg umziehen und ist seither Teil des renommierten Leichtathletikvereins SG Quelle Fürth. Ein Quantensprung - und die Ergebnisse sprechen für sich: Beim Berlin-Marathon erreichte der 27-Jährige kürzlich einen bemerkenswerten 54. Platz - trotz Krankheit. "Die ersten zehn Kilometer ging es noch. Dann habe ich mich gequält."
Trotz all der guten Nachrichten sitzt Firaa'ol Eebbisaa frustriert in seinem Zimmer in einer Nürnberger Flüchtlingsunterkunft. "Ich hänge in der Luft. Weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Ich fühle mich wie ein Tier in einem Gehege." Seit sechs Jahren tingelt er durch Europa, drei Jahre davon lebt er bereits in Deutschland. Auf seine Anhörung wartet er bisher vergebens, Auskünfte bekommt er nur bruchstückhaft. "Ich will Deutsch lernen, Kontakte knüpfen, arbeiten, eine Wohnung finden. Doch ich weiß immer noch nicht, ob ich das alles überhaupt jemals darf."
Schlimme Erinnerungen an die Heimat
In sein Heimatland zurückkehren will Eebbisaa nicht. Das Land sei von Gewalt und Korruption gezeichnet, die Erinnerungen holen ihn regelmäßig im Schlaf ein. Er selbst wurde gefoltert, sein Bruder ermordet. Kontakt zur Familie gibt es nur sporadisch. "Ganz kurz per Telefon. Die Regierung kontrolliert alles."Der Frust ist groß, trotzdem gibt sich Firaa'ol Eebbisaa kämpferisch. "Ich gebe nicht auf." Er sei dankbar für das, was ihm die Deutschen ermöglicht haben. Und das tägliche Laufen, erzählt der Äthiopier, helfe ihm beim Abschalten. "Ich werde weiter warten - und weiter laufen."