Verlorene Kunst taucht in Schweinfurt auf
Autor: Günter Flegel
Schweinfurt, Freitag, 03. Januar 2014
Der Fall Gurlitt ist nur die berühmte Spitze des Eisbergs. In vielen Sammlungen schlummern Kunstwerke fragwürdiger Herkunft - auch in Franken. Die Forschung steht noch ganz am Anfang.
Wem gehört die Kunst? Diese Frage war noch nie völlig eindeutig zu beantworten und wird jetzt wieder neu gestellt: Der spektakuläre Kunstfund in Schwabing hat die Debatte um geraubte Kunst neu belebt. Und deutlich gemacht, dass dieses Kapitel der Vergangenheit noch nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet ist. Auch in Franken hat die schwierige Spurensuche begonnen.
In Schweinfurt weiß man nicht erst seit dem Fall Gurlitt, dass die Sammlung des Industriellen Georg Schäfer nicht nur kunstgeschichtlich bedeutsam ist, sondern auch ein Licht auf ein düsteres Kapitel der Zeitgeschichte wirft. Seit 2007 ist bekannt, dass sich in Schäfers Sammlung mindestens 21 Werke befinden, die wohl von den Nazis ihren rechtmäßigen Besitzern weggenommen wurden. Darunter war der in Auschwitz ermordete jüdische Industrielle und Kunstsammler Max Silberberg. Die Kunsthistorikerin Monika Tatzkow, die für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach verlorener Kunst forscht, hat die Spuren nach Schweinfurt vor sechs Jahren publiziert.
Bilder zurück nach Dresden
Die Stiftung und das Museum Schäfer reagierten prompt und traten mit möglichen Erben in Kontakt. Es kam unter anderem zu einer gütlichen Einigung mit der Stadt Dresden, die einige Bilder aus dem Schweinfurter Fundus zurückerhielt Es habe in keinem Fall bisher einen Rechtsstreit gegeben, betonen die Stiftung und das Museum.
Schäfer, der mit Kugellagern reich wurde (FAG-Kugelfischer), kaufte in den 50er Jahren in großem Stil Kunstwerke. Seine Sammlung umfasst 5000 Gemälde und Zeichnungen. "Damals war die Frage nach der Herkunft nicht so das Thema", sagt Sigrid Bertuleit, die Leiterin des Museums Georg Schäfer, das der Öffentlichkeit seit 2000 einen Blick in die Schatzkammer des Sammlers erlaubt.
Offener Umgang
Fritz Schäfer, der Sohn des Sammlers, und Wolfgang Köster, die der Stiftung Georg Schäfer vorstehen, plädieren für einen offenen Umgang mit dem Thema Raubkunst. Schäfer habe die Bilder "gutgläubig" erworben, zu den damals üblichen Preisen auf dem freien Markt. Sein Interesse galt der Kunst, er wollte mit den Bildern keinen Profit machen. Seine Intention sei gewesen, die Bilder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, verwahrt sich Köster gegen den Verdacht, Schäfer sei ein Profiteur des staatlich verordneten NS-Kunstraubs.
Wem gehört die Kunst? Die Frage ist 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und nach dem Verlust ungezählter Kunstschätze durch Barbarei, Bomben und Ignoranz schwerer zu beantworten denn je. Im Auftrag des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Bildung (seit Dezember Monika Grütters, bis dahin Bernd Neumann) sucht ein eigenes Forschungsinstitut nach Spuren.
Schwierige Spurensuche
Die "Arbeitsstelle Provenienzforschung" in Berlin steht nach den Worten ihres Leiters Uwe Hartmann vor der Herkulesaufgabe, "verlorene Kunst" zu lokalisieren und rechtmäßige Eigentümer/Erben ausfindig zu machen. Der Schwerpunkt liege zunächst weniger auf der Rückgabe oder Entschädigung, sondern auf der Forschung und Dokumentation. Forschungsgelder aus Berlin fließen auch an die Museen der Stadt Bamberg.
Die Spuren, die auch nach Franken führen, findet man in einer wachsenden Datenbank im Internet.
Kommentar: Ein bisschen Gerechtigkeit - mehr wird es wohl niemals geben
Wann hört Raubkunst auf, Raubkunst zu sein? Verjährung ist ein juristischer Begriff, der mit Moral und Gerechtigkeit nicht viel zu tun hat. Doch es braucht es ihn, sonst könnte Ägypten noch heute auf die Rückgabe der Nofretete klagen, die unter heute möglicherweise fragwürdigen Umständen in deutschen Besitz kam...um nur ein Beispiel von vielen zu nennen.
Erstaunlich am Thema Nazi-Raubkunst ist die Tatsache, dass dieser Aspekt der staatlich verordneten Barbarei 70 Jahre mehr oder weniger vergessen war wie viele der verschwundenen Kunstwerke; und erst jetzt, nach dem spektakulären Kunstfund in Schwabing, ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gelangt. Das ist spät, aber nicht zu spät, und es ist richtig und wichtig, dieses Kapitel der deutschen Geschichte aufzuarbeiten.
Dabei gibt es zwei Gefahren: Der Blick auf die geraubte Kunst darf nicht die Tatsache in den Hintergrund drängen, dass die Nazis auch Millionen Leben raubten. Für die Vernichtung so vieler Existenzen gibt es keine Wiedergutmachung.
Gerechtigkeit kann es auch beim Kunstraub nicht geben. Dem historischen Verbrechen der Nazis wird der moderne deutsche Staat gerecht, wenn er sich offen den Tatsachen stellt. Die Irrwege der Kunstwerke und die Schicksale, die damit verbunden sind, gehören zur Geschichte dieser Kunstwerke.
Man kann Geschichte nicht kitten, noch viel weniger darf man sie totschweigen. Deshalb ist der Forschungsansatz richtig, auch wenn er mit einem Jahresbudget von zwei Millionen Euro nicht eben üppig bestückt ist. Die Suche nach der verlorenen Kunst ist eine wichtige Aufgabe. Und eine Verneigung vor den Künstlern und den Opfern der Nazi-Barbarei.