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Pauline (†16) aus Unterfranken wog bei ihrem Tod nur noch 19 Kilo - Eltern ohne Strafe verurteilt


Autor: Julia Gebhardt, Daniel Krüger, Alexander Milesevic, Agentur dpa

Schweinfurt, Mittwoch, 27. November 2024

Während der Pandemie stirbt ein Mädchen in Unterfranken an den Folgen von Mangelernährung. Die Eltern sollen nur zugesehen, aber nicht geholfen haben. Nun wurden sie verurteilt.
Eine Frau (2.v.l.) und ihr Ehemann (3.v.l.) werden von ihren Anwälten in einen Gerichtssaal im Landgericht Schweinfurt begleitet. Laut Staatsanwaltschaft infizierte sich deren 16-Jährige Tochter kurz vor ihrem Tod im Dezember 2022 mit dem Coronavirus und litt an einer Magen-Darm-Infektion. Dennoch sollen die Eltern keine ärztliche Hilfe geholt haben, obwohl sie wussten, dass ihre Tochter in Lebensgefahr war.


Knapp zwei Jahre nach dem mutmaßlichen Hungertod eines Mädchens in Unterfranken standen die Eltern der 16-Jährigen seit dem 21. November 2024 vor dem Landgericht Schweinfurt. Die Staatsanwaltschaft warf dem Paar vor, keine ärztliche Hilfe geholt haben, obwohl beide wussten, dass ihre Tochter in Lebensgefahr war. 

Die essgestörte Jugendliche war mangelernährt, hatte sich kurz vor ihrem Tod im Dezember 2022 mit dem Coronavirus infiziert und litt an einer Magen-Darm-Infektion. Der 51-Jährige und seine 48 Jahre alte Frau aus Unterfranken waren wegen versuchten Totschlags, Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Für den Prozess waren insgesamt drei Verhandlungstage angesetzt.

Update vom 27.11.2024: Eltern von Pauline verurteilt - eine Frage bleibt offen

Im Prozess um den Tod eines mangelernährten Mädchens in Unterfranken sind die Eltern wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Das Gericht entschied jedoch, keine Strafe zu verhängen, wie ein Gerichtssprecher erklärte. Aus Sicht der Kammer am Landgericht Schweinfurt sind der 51 Jahre alte Vater und die 48 Jahre alte Mutter vom Tod ihres Kindes schon so schwer getroffen, sodass eine Strafe unangebracht wäre.

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Die 16-Jährige war am 19. Dezember 2022 an multiplem Organversagen infolge von Unterernährung gestorben. Bei der rechtsmedizinischen Untersuchung stellte man fest, dass ihr zierlicher Körper nur noch 19 Kilogramm wog. Nach den Worten von Oberstaatsanwalt Markus Küstner war die Jugendliche essgestört und mangelernährt, hatte sich kurz vor ihrem Tod mit dem Coronavirus infiziert und litt an einer Magen-Darm-Infektion. Die Eltern sollen trotzdem keinen Arzt verständigt haben. Das psychisch labile Mädchen starb im elterlichen Bett. 

Die Anklage lautete auf Aussetzung, gefährliche Körperverletzung und versuchten Totschlag. Ob das Mädchen durch eine medizinische Behandlung noch hätte gerettet werden können, bleibt unklar. Dennoch hätten die Eltern laut Anklage ihre Pflichten verletzt, indem sie keine Hilfe suchten.

Eltern hatten Schuld auf sich genommen

Zum Prozessbeginn hatten die Eltern – die Mutter eine Erzieherin und der Vater ein technischer Angestellter in einer Behörde – die Verantwortung für den Tod ihres jüngsten Kindes übernommen. Die Schülerin habe aufgrund einer Angststörung nicht ins Krankenhaus gehen wollen und sie hätten sie nicht dazu gedrängt. Ihnen sei nicht bewusst gewesen, dass ihre Tochter in Lebensgefahr schwebte.

Der Rechtsanwalt der 48-jährigen Frau erklärte, dass seine Klientin die Gefahr der Situation nicht erkannt habe. "Natürlich bewerte ich mein Verhalten im Nachhinein völlig anders. Ich bin sehr traurig und fühle mich Pauline gegenüber sehr schuldig", hieß es in einer Stellungnahme, die vom Anwalt vorgelesen wurde.

Auch der Vater äußerte sich über seinen Anwalt: "Wir haben uns bis zuletzt nicht vorstellen können, dass Pauline stirbt. Ich hatte bis zuletzt gedacht, dass alles wieder gut wird. (...) Ich hätte dafür sorgen müssen, dass Pauline auch gegen ihren Willen in einem Krankenhaus behandelt wird."

Richter wenden Paragraf 60 des Strafgesetzbuches an

Laut der Staatsanwaltschaft hätten die Eltern wegen versuchten Totschlags schuldig gesprochen werden müssen. Ihr Plädoyer lautete deshalb: zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung. Die Forderung der Verteidigung entsprach letztlich dem Urteil. Die Angeklagten verzichteten daraufhin auf Rechtsmittel. Die Richter wandten Paragraf 60 des Strafgesetzbuches an. Darin heißt es: "Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre."

Update vom 26.11.2024: Plädoyers im Prozess um Tod von abgemagerter Pauline erwartet

Nach dem Tod eines mangelernährten Mädchens in Unterfranken werden am Dienstag (26. November 2024) die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung ihre Schlussworte vortragen. Ob das Urteil noch am selben Tag verkündet wird, bleibt unklar.

Die Eltern der 16-Jährigen sind angeklagt. Der 51-jährige Vater und die 48-jährige Mutter sollen trotz der gefährlichen Situation keinen Arzt für ihre Tochter gerufen haben, die stark untergewichtig und durch Infektionen geschwächt im elterlichen Bett lag. Das Mädchen starb am frühen Morgen des 19. Dezember 2022 infolge von multiplem Organversagen aufgrund der Unterernährung.

Die Anklage, die gegen die Mutter, eine Erzieherin, und den Vater, ein technischer Angestellter in einer Behörde, erhoben wurde, lautet versuchter Totschlag, Aussetzung und gefährliche Körperverletzung. Beim Prozessauftakt in der letzten Woche räumten die Eltern ihre Schuld am Tod des jüngsten Kindes ein. Die Schülerin habe wegen einer Angststörung nicht in ein Krankenhaus gewollt, und sie hätten auch nicht darauf gedrängt. Sie erklärten, dass ihnen nicht bewusst gewesen sei, wie lebensgefährlich geschwächt ihre Tochter wirklich war.

Hätte der Teenager mit einer medizinischen Behandlung gerettet werden können?

Die rechtsmedizinische Untersuchung ergab, dass der zierliche Körper der Jugendlichen nur noch 19 Kilogramm wog.

Die Anklage lautet auf versuchten Totschlag, obwohl das Mädchen bereits gestorben ist. Der Grund dafür ist, dass nicht eindeutig ist, ob eine medizinische Behandlung das Kind hätte retten können. Es sei jedoch ein pflichtwidriges Unterlassen der Eltern gewesen, keine Hilfe zu rufen, so die Anklage.

Update vom 21.11.2024: Aussehen der toten Teenagerin schockierte auch die Polizei - "verstörend"

Das Elend der angeklagten Eltern ist spürbar. Die Mutter weint schon vor Prozessbeginn, der Vater senkt immer wieder den Kopf. Beide sprechen von Schuld am Tod ihrer jugendlichen Tochter, die vor etwa zwei Jahren im elterlichen Bett starb. Abgemagert und geschwächt durch eine Corona-Infektion und einen Magen-Darm-Virus. Doch bis zu Paulines Tod wurde kein Arzt gerufen.

Vor dem Landgericht Schweinfurt sitzen zwei Menschen, deren Familie sich während der Corona-Pandemie zurückgezogen hat. Außer dem Sohn war keiner gegen das Virus geimpft, ein kleiner Schrank mit Globuli hängt im Schlafzimmer. Die sensible Pauline war psychisch labil und in Therapie. Laut der Verteidigung der Mutter litt sie an einer Angststörung und wurde in der Schule gemobbt. Sie häkelte leidenschaftlich und präsentierte ihre Arbeiten online. "Sie liebte Mode", erzählt der Anwalt des Vaters. Aber die 16-Jährige zog sich zurück, hatte wenig Freunde, war introvertiert, hatte Angst vor Corona und ging nicht mehr zur Schule.

Als Polizei und Notarzt am 19. Dezember 2022 zum Haus der Angeklagten gerufen werden, finden sie das leblose Mädchen. "Ein Skelett mit Haut und Knochen", schildert ein Kommissar. "Verstörend. (...) Der Körper war vollkommen ausgezehrt." Der Polizist vermutet, dass die Eltern mit der Situation überfordert waren und sich dem Willen ihres Kindes beugten, kein Krankenhaus aufzusuchen. 

16-Jährige aus Unterfranken wog nur noch 19 Kilo - doch ihre Eltern riefen keinen Arzt 

Die Geschwister waren wohlgenährt, das Haus sauber. Oberstaatsanwalt Markus Küstner spricht von einer essgestörten Jugendlichen. Der damals anwesende Notarzt sagt: "Sie war stark untergewichtig. (...) Sie war unterernährt." Bei der Obduktion wog sie etwa 19 Kilogramm. Paulines Eltern, 51 und 48 Jahre alt, riefen keinen Arzt, obwohl die Situation gefährlich war. Beide sind wegen versuchten Totschlags, Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung angeklagt.

Drei Verhandlungstage sind angesetzt. Der Oberstaatsanwalt erklärt den Vorwurf des versuchten Totschlags damit, dass unklar sei, ob das Kind noch hätte gerettet werden können. Es sei pflichtwidrig gewesen, keine Hilfe zu holen. Die Mutter bestreitet am ersten Prozesstag, den Tod der Tochter in Kauf genommen zu haben. "Sie hat selbstständig getrunken und auch immer wieder Salzstängchen gegessen", sagt ihr Anwalt. Sie habe die Gefahr nicht erkannt.

"Im Nachhinein bewerte ich mein Verhalten völlig anders. Ich bin sehr traurig und fühle mich Pauline gegenüber sehr schuldig", liest ihr Anwalt eine Erklärung vor. "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass Pauline stirbt", erklärt der Anwalt des Vaters. "Ich dachte bis zuletzt, dass alles wieder gut wird. (...) Ich hätte dafür sorgen müssen, dass Pauline ins Krankenhaus kommt."

Erstmeldung vom 20.11.2024: Nur noch Haut und Knochen: Jugendliche Schülerin abgemagert und mangelernährt

Den Ermittlungen zufolge hatte die Schülerin eine Essstörung. Dadurch war sie mangelernährt und abgemagert - sprich: nur noch Haut und Knochen. Gesundheitlich soll es der 16-Jährigen zunehmend schlechter gegangen sein.

Das Coronavirus und die Magen-Darm-Infektion sollen den Körper des Mädchens zusätzlich geschwächt haben. Dennoch holten die Eltern laut Staatsanwaltschaft keine Hilfe für ihre Tochter, die mit ihnen zusammen in einem Haus lebte.

Das Paar habe daher billigend in Kauf genommen, dass sein Kind an den Folgen der Erkrankungen sterben könnte, so die Anklagebehörde. Dabei sollen es die Angeklagten zumindest für möglich gehalten haben, dass ihre Tochter bei ärztlicher Hilfe hätte gerettet werden können. Die Jugendliche starb am 19. Dezember 2022 mutmaßlich an den Folgen von Unterernährung.

Massiver Anstieg von psychische Erkrankungen während Corona-Pandemie - vor allem bei Mädchen 

Wissenschaftlern zufolge ist die Zahl der Jugendlichen mit Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie bundesweit gestiegen - besonders in der Corona-Pandemie. Vor allem bei 12- bis 17-jährigen Mädchen und Frauen gab es einer Studie der KKH Kaufmännische Krankenkasse zufolge zwischen 2020 und 2021 einen massiven Anstieg um mehr als 30 Prozent. Einer der Gründe - neben der Pandemie: Sogenannte Fake-Ideale und die Flut von Bildern vermeintlich makelloser Menschen auf Social-Media-Plattformen.

2021 litten 17,6 von 1.000 jungen Leuten in dem Alter an einer Essstörung, ein Jahr zuvor waren es 13,4 und im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 12,9 von 1.000, wie aus den Daten der KKH in Hannover hervorgeht. 2011 waren es 11 von 1.000. 

Laut Hochrechnung dürften bundesweit etwa 50.000 Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren von einer Essstörung betroffen sein - die meisten davon Mädchen und junge Frauen. Die Dunkelziffer sei hoch, die Daten bildeten nur ärztlich diagnostizierte Fälle ab.

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