Die letzte Dienstleistung - Einblicke ins Schweinfurter Krematorium
Autor: Matthias Litzlfelder
Schweinfurt, Mittwoch, 22. April 2015
Immer mehr Menschen lassen sich nach dem Tod verbrennen. Einer der Orte dafür in Franken ist das Krematorium der Stadt Schweinfurt. Hier arbeitet Jürgen Matl. Sein Beruf ist mitunter äußerst schweißtreibend.
Kalt ist es an diesem von Schauern durchsetzten Frühlingstag. Am städtischen Friedhof in Schweinfurt wartet eine kleine Schar auf die nächste Trauerfeier mit Beisetzung. Eine Erdbestattung wird es sein. Hinter den Mauern der Aussegnungshalle, im direkt angrenzenden Gebäude, bringt derweil Jürgen Matl einen hölzernen Sarg in Stellung. "11.40" ist mit weißer Kreide darauf vermerkt. "Das war die Sterbezeit", erklärt er. Matl steht im Obergeschoss vor einem Gasofen. Zwei baugleiche Modelle sind hier installiert, direkt nebeneinander. Der 43-Jährige ist an diesem Tag für die Einäscherung angelieferter Särge zuständig. Bestatter im Umkreis von rund 50 Kilometern haben sie nach Schweinfurt gebracht. Schweinfurt besitzt eines von elf öffentlichen Krematorien in Bayern. Daneben gibt es im Freistaat eine Handvoll privater Unternehmen.
"Es gibt keine Wartezeiten"
Seit 6 Uhr ist Jürgen Matl im Einsatz. Sein Arbeitstag reicht nicht, um heute alles abzuarbeiten. 18 Feuerbestattungen sind an diesem Tag geplant. Um 13.30 Uhr hat er Feierabend, dann macht sein Kollege weiter. "Zehn bis 20 Einäscherungen sind es pro Tag", berichtet Helmuth Schlereth, der Leiter von Friedhof und Krematorium, Matls Chef. "Es gibt bei uns keine Wartezeiten. Alle, die gestern gebracht wurden, werden heute eingeäschert."
12.05 Uhr zeigt die kleine analoge Uhr an, die am Stützpfeiler hängt, genau zwischen den beiden Öfen. Dem Toten schlägt keine Stunde mehr. Aber Jürgen Matl hat die Zeit im Blick. "Zwischen Tod und Einäscherung müssen 48 Stunden vergangen sein", verweist er auf die Vorschrift. Jetzt erklären sich die Kreide-Ziffern auf dem Sarg: Der Tote ist vorgestern um 11.40 Uhr gestorben. Matl schiebt seinen Sarg langsam auf die Metallöffnung des linken Ofens zu. Eine spezielle Einfahrmaschine auf Schienen, bei der der Sarg wie bei einem Gabelstapler transportiert wird, hilft ihm. Die Metalltüre öffnet sich, der Sarg verschwindet in der 2,40 Meter langen Brennkammer. Flammen greifen sofort auf das Holz über. "Der Gasbrenner ist nur am Anfang des Tages notwendig, um die Schamottesteine zu erwärmen", erklärt Matl. Inzwischen ist das Schamottemauerwerk so aufgeheizt, dass sich der Sarg sofort beim Einfahren in den Ofen durch die Strahlungshitze entzündet.
45 Grad im Sommer
Jürgen Matl trägt eine anthrazitfarbene Hose und ein kurzes blaues Hemd - Dienstkleidung, eines städtischen Friedhofarbeiters. Im Gegensatz zur Trauergemeinde, die gerade auf dem Friedhof einem Verstorbenen die letzte Ehre erweist, friert er an seinem Arbeitsplatz nicht. Weder heute, noch an anderen Tagen. "Im Sommer haben wir hier 45 Grad", sagt er und grinst.
Matl weiß, wie man mit Verstorbenen umgeht. Früher arbeitete er als Bestatter. "Das war emotionaler", sagt er. Bei den Einäscherungen im Schweinfurter Krematorium sieht er in der Regel keine Toten. Mehr als fünf Jahre macht er nun diesen Job, nebenbei noch andere städtische Friedhofsarbeiten wie mit dem Bagger Gräber ausheben oder Trauerfeiern gestalten.
Dauer: eine Stunde
Immer wieder Särge. Tagtäglich. "Man schaut aufs Alter des Toten. Ist er jünger als man selbst, dann überlegt man schon mal", schildert der 43-Jährige seine Gefühle. Aber "zu nah darf man es nicht an sich ranlassen". Matl ist verheiratet und hat zwei Kinder. Wenn er nach seinem Beruf gefragt wird, antwortet er: Ich arbeite bei der Stadt. "Würde ich sagen, ich arbeite im Krematorium, dann gäbe es unzählige Fragen, kein anderes Thema mehr", erklärt er.
Auf einem Bildschirm am Schaltschrank beobachtet der Kremationstechniker die Werte der beiden Öfen. Ungefähr eine Stunde dauert die Einäscherung. Matl wirft einen Blick in das Guckloch auf der Rückseite des Brenners. Liegt nichts mehr auf den Trägersteinen, dann bedient er eine Drehscheibe und die Asche aus der Brennkammer fällt eine Etage tiefer. Hier befeuert ein kleinerer Brenner das, was noch übriggeblieben ist. "Resteverbrennung" steht auf dem Display.
Früher viel Rauch
Mit der Abwärme der Öfen kann das Friedhofsgebäude beheizt und Warmwasser bereitet werden. Rauch und Abgase entstehen heute kaum noch. "Krematorien kann man von der Abgasreinigung her mit dem Auto vergleichen", sagt Friedhofsleiter Helmuth Schlereth. Vor 20 Jahren, als Schlereth in der Friedhofsverwaltung anfing, war das anders. "Ich habe noch das alte Krematorium aus den 60er Jahren erlebt", erzählt der 57-Jährige. "Früher hatte man gar keine Filter. Schwarzer Rauch bei jeder Einäscherung. Es roch nach verbranntem Fleisch." Jetzt kommt alle sechs Wochen der Kaminkehrer. Und immer montags, vor Inbetriebnahme nach dem Wochenende, wird die Anlage zwei Stunden lang gesäubert.
Kirche lange Zeit distanziert
An der Fassade von 1963 hat sich kaum etwas geändert. Innen jedoch ist die Technik gerade mal fünf Jahre alt. "Als ich 1995 begonnen habe, hatten wir 1700 Einäscherungen im Jahr. Im vergangenen Jahr waren es 3000. Wir hatten auch schon mehr", berichtet der Krematoriumschef. Die Feuerbestattung ist in Bayern auf dem Vormarsch, der Markt, auf dem sich seit 1996 auch private Unternehmer tummeln dürfen, laut Schlereth heiß umkämpft. Dabei hatten die Europäer und insbesondere die katholische Kirche lange Zeit nichts davon wissen wollen. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Mailand Europas erstes Krematorium. Und die katholische Kirche behielt ihre negative Haltung bis 1963, gestattete erst durch das Zweite Vatikanische Konzil offiziell die Wahl zwischen Erd- und Feuerbestattung. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Bayerns erstes Krematorium 1907 im protestantisch geprägten Coburg gebaut wurde. Heute gibt es Krematorien neben Schweinfurt und Coburg unter anderem in Nürnberg und Bayreuth. Die Bestatter wählen selbst, zu welchem sie die ihnen anvertrauten Verstorbenen bringen.
Metallreste in der Asche
Die Aschereste des Toten, der vorgestern um 11.40 Uhr gestorben ist, liegen inzwischen in der Ausbrennkammer. Dass Angehörige bei so einer Einäscherung in Schweinfurt zusehen, ist laut Schlereth eher selten. "Auf Wunsch ermöglichen wir das natürlich, aber das machen nur zwei Prozent." Eine Etage tiefer zieht Jürgen Matl einen metallenen Aschekasten aus dem Ofen. Außer zerstückelten Knochenresten ist nicht mehr viel übrig geblieben vom einstigen Sarg. Mit einem Handmagneten entfernt er unter einer Abluftanlage Sargnägel und Schrauben aus der Asche. Matl zeigt auf einen Blecheimer. Hier hat er größere Teile gesammelt: ein künstliches Hüftgelenk, eine Knieprothese, einige lange Schrauben und Drähte. Dinge, die Ärzte den Toten einst eingebaut hatten.
Die letzte persönliche Nummer
Die Kiste mit der Asche schüttet Matl anschließend in einen großen kompakten Kasten, eine Aschemühle. Sie zermahlt Knochenstücke. Alles, was jetzt noch übrig bleibt - helles Aschegranulat - wird in die schwarze Urnenform auf dem Tisch eingefüllt. Ein runder Schamottestein mit sechsstelliger Nummer kommt dazu. Die letzte Nummer für einen Menschen. 104.873 steht auf dem aktuellen Stein. So viele Menschen sind in Schweinfurt bisher eingeäschert worden.
Goldreste von den Zähnen der Verstorbenen sind in den Urnen nicht mehr zu finden. Die neue Aschemühle filtert sie heraus. "Das wird sauber aufs Gramm genau in eine Liste eingetragen und kommt zu einer Scheideanstalt", berichtet Schlereth. "Das damit erzielte Geld wird dann für soziale Zwecke verwendet. Einmal im Jahr entscheidet der Stadtrat darüber." 40.000 Euro hat diese "Edelmetallfilteranlage" gekostet. Doch die Anschaffung hat sich laut Schlereth längst rentiert. "Es kommen pro Jahr über 100.000 Euro zusammen."
Einäschern oder Erdbestattung?
Seine Meinung, wie er selbst bestattet werden möchte, hat der Krematoriumsleiter in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht geändert. "Eine Erdbestattung, wegen der Familientradition", sagt Schlereth. Jürgen Matl dagegen will sich selbst einäschern lassen. "Vielleicht wird sogar irgendwann das Gesetz geändert und man darf eine kleine Urne auch zuhause beerdigen", sagt er.
Wie viele Menschen er schon verbrannt hat? Er weiß es nicht. Aber er würde auch Familienangehörige selbst einäschern. "Irgendwie ist es doch mit das Letzte, was man für jemanden machen kann."