Cannabis auf Rezept: Zwischen Leid und Linderung - ein Nürnberger erzählt
Autor: Stephan Großmann
Nürnberg, Montag, 01. April 2019
Patienten in Deutschland bekommen seit etwas mehr als zwei Jahren Cannabis auf Rezept. Das Gesetz ist umstritten und hat seine Tücken - für Ärzte und Patienten. Andreas Steitz etwa leidet an chronischen Schmerzen. Deshalb kifft der Nürnberger. Wir haben den 52-Jährigen besucht.
Andreas Steitz bläst den Rauch aus und schaut nachdenklich aus dem Fenster. Sein Blick bleibt am wuchtigen Bau der Arbeitsagenturzentrale hängen. "Was Glück für mich bedeutet? Frei sein!", sagt der 52-Jährige, während er seinen Joint behutsam auf den Rand des Aschenbechers legt. "Im Kopf, in meinen Entscheidungen und frei sein von Schmerzen." High wirkt er nicht, obwohl es nicht seine erste Graszigarette an diesem noch jungen Tag ist. Ohne Rausch möchte er nicht mehr sein. Weil er ihm hilft.
Steitz macht nicht den Eindruck eines gebrechlichen Mannes. Aber die Liste seiner Diagnosen ist lang. Sie lesen sich wie das Tagebuch eines Lebens voller Rückschläge. Und Tiefschläge. "Angefangen hat alles ganz früh", sagt er. Als Junge habe der gebürtige Frankfurter Gewalt erfahren, ist misshandelt worden. Zu seinen psychischen Leiden gesellten sich nach kräftezehrenden Arbeitsjahren körperliche. Einen Job hat er gerade nicht. In seiner Freizeit engagiert er sich für soziale Zwecke. Wenn die Schmerzen nicht so schlimm sind.
Knapp 15 Joints am Tag
Um die in den Griff zu bekommen oder zumindest halbwegs abzumildern, raucht er etwa 15 Joints am Tag. 100 Gramm der "Wunderpflanze", wie er Cannabisblüten nennt, bekommt er pro Monat verschrieben. "Sich selbst reglementieren, ist enorm wichtig", sagt Steitz. Denn: Auch wenn er die ablenkende Wirkung des Rausches schätzt, das medizinale Hanf entfaltet eine starke Wirkung, weshalb er genau auf die Dosierung achtet. Zudem macht der 52-Jährige viel Sport. "Ohne könnte ich mich wohl gar nicht mehr bewegen", sagt der gelernte Dachdecker und Landschaftsgärtner.
Ein Kommentar zum Thema Cannabis: Die Legalisierung kommt auf jeden Fall
Erst seit etwa einem Jahr darf Steitz offiziell Cannabis konsumieren. Weil die Krankenkasse seinen Antrag auf Kostenübernahme trotz Diagnosenkatalog ablehnte, ging er vor Gericht. Mit Erfolg. "Das Gesetz ist vom Grundsatz her gut", sagt er. Aber die Praxis? Lieferengpässe, bürokratische Hürden und fehlende Akzeptanz: "Wenn das Gesetz in der Realität ankommen würde, könnte viel mehr Leuten geholfen werden."
Ärger mit Ämtern und Behörden
Steitz beschäftigt sich intensiv mit dem Thema, verfolgt politische Debatten und neue Erkenntnisse genau. "Die Menschen sind krank, sind sowieso geschwächt und müssen sich dann durch Ämter und Behörden kämpfen. Das kann nicht sein." Deshalb ärgert es ihn, dass es Leute gibt, die sich über das Gesetz ihren "Party-Rausch" zu finanzieren suchen. Weil er und viele andere Betroffene auf eine Stufe mit denen gestellt würden.
Unterkriegen lassen will sich Steitz nicht. Nicht von den Schmerzen und nicht von Gegnern der Idee, Cannabis als Medizin einzusetzen. Zahlreiche Aktenordner dokumentieren seinen Weg, die Schmerzen legal zu lindern. Ein Schrankfach darunter liegen seine Utensilien für den Konsum, akkurat verstaut. Auf herkömmliche, chemische Medikamente will Steitz nicht vertrauen. Er baut lieber auf Cannabis.