Wöhrl fordert Rechtssicherheit beim ärztlich assistierten Suizid
Autor: Nikolas Pelke
Nürnberg, Donnerstag, 13. November 2014
Beim Thema Sterbehilfe liegt die CSU-Bundestagsabgeordnete Dagmar Wöhrl aus Nürnberg nicht auf der Linie ihrer Partei.
Wöhrl setzt sich gemeinsam mit einer Gruppe von Parlamentariern um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU) für eine liberalere Regelung der Sterbehilfe ein. Im Interview erklärt Wöhrl, warum sie Rechtssicherheit beim ärztlich assistierten Suizid schaffen möchte.
Frau Wöhrl, die Mitglieder im Bundestag haben sich eigentlich darauf verständigt, dass es bei der Abstimmung zum Thema Sterbehilfe keinen Fraktionszwang geben soll und jeder Abgeordnete frei nach seinem Gewissen entscheiden kann. Nun legt ihre Partei ein eigenes Positionspapier vor. Setzt Sie das nicht unter Druck?
Wöhrl: Nein, keineswegs. Bei der Debatte über das Thema Sterbehilfe gibt es kein Richtig oder Falsch. Es gibt keinen Anspruch auf absolute Wahrheit. Das Wertvollste an der Diskussion ist, dass sie stattfindet.
Die CSU möchte einerseits den ärztlich assistierten Suizid strafrechtlich verbieten, was über die aktuelle rechtliche Situation hinausgehen würde. Andererseits will die Partei in ihrem Positionspapier Ärzten im Einzelfall wieder einen gewissen Handlungsfreiraum lassen, um dann doch eine ärztliche Sterbebeihilfe leisten zu können. Ist das nicht ein Widerspruch?
Es trägt sicherlich nicht dazu bei, die vorhandenen rechtlichen Grauzonen im Bereich Sterbehilfe auszuräumen. Ich kann nicht ein komplettes Verbot für den ärztlich assistierten Suizid postulieren, um es dann im nächsten Schritt doch wieder fallbezogen zu lockern, dabei dann aber nicht zu benennen, unter welchen Voraussetzungen ein solcher "Einzelfall" vorliegen soll. Wer entscheidet hierüber? Ein Arzt? Zwei Ärzte? Ein Gericht? Diese Rechtsunsicherheit stellt doch nur eine weitere Belastung für Ärzte, Betroffene und Angehörige dar. Im Übrigen handelt es sich bei Situationen, in denen jemand eine Sterbebegleitung überhaupt in Erwägung zieht, sowieso immer um Einzelfallentscheidungen. Es geht hier ja nicht um die pauschale Behandlung von Kopfschmerzen oder Grippe. Die Bevölkerung sieht dies ähnlich. Nach mehreren Umfragen sprechen sich über 75 Prozent der Deutschen dafür aus, dass ein Arzt Patienten mit tödlichen Krankheiten Sterbehilfe leisten dürfen soll.
Aber was ist dann das eigentliche Problem bei der aktuellen gesetzlichen Regelung?
Während die Hilfestellung zum Suizid straflos ist, untersagt die Bundesärztekammer jede Form der Hilfestellung zur selbstvollzogenen Lebensbeendigung ihrer Patienten. Dem behandelnden Arzt droht ein Berufsverbot bei Zuwiderhandlung. Einige der 17 Landesärztekammern haben dieses Verbot übernommen, andere nicht. Es kann aber nicht sein, dass wir in Deutschland 17 verschiedene Wege zum Sterben haben. Es ist einigermaßen irre, dass für jemanden aus Hof andere Regeln für das Sterben gelten als für jemanden aus Plauen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf die Bayerische Landesärztekammer verweisen. In der Berufsordnung für bayerische Ärzte steht, dass sie Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und ihres Willens beizustehen hätten. Sterbehilfe zu leisten führt also nicht zu einem Berufsverbot. Auf diese bayerische Gewissensfreiheit sollen sich alle Ärzte in Deutschland berufen können.
Kritiker sagen, dass Ärzte nicht zu regelmäßigen Sterbehelfern werden sollen. Die CSU schlägt deshalb vor, dass enge Verwandte weiterhin assistierte Sterbehilfe leisten können sollen. Warum möchten Sie, dass hier ein Arzt dazwischen geschaltet wird?
Die Entscheidung zum Suizid ist in einem vertrauensvollen Ärzte-Patientenverhältnis am besten aufgehoben. Es ist problematisch, diese Verantwortung allein betroffenen Familienangehörigen zu überlassen, die meistens keine medizinischen Fachkenntnisse besitzen.
Sie wollen die Entscheidung über das Lebensende in die Hände schwerkranker Menschen legen. Fürchten Sie nicht, dass Angehörige die Sterbehilfe-Kandidaten in einer alternden Gesellschaft zum Tod nötigen könnten?
Zum einen gibt es keinerlei empirische Belege in den Ländern, in denen der ärztlich assistierte Suizid zulässig ist, dass es zu einer derartigen gesellschaftlichen Entwicklung kommt. Zum anderen schließen wir durch unsere engen Voraussetzungen genau dieses Szenario aus. Nach unserem Positionspapier muss es sich um eine organische Krankheit handeln, das heißt, dass dement oder psychisch kranke Menschen nicht erfasst wären. Ebenso muss die Krankheit irreversibel zum Tode führen. Somit wären Menschen, die lebensmüde sind, ebenfalls nicht erfasst. Wir sind der Überzeugung, dass ein Leben im hohen Alter, auch wenn es Einschränkungen geben mag, zumutbar ist. Auch wenn wir hier über das Ende der menschlichen Existenz sprechen, dürfen wir nie vergessen, dass das Leben unser wertvollstes Geschenk ist.