Verlorene Seelen und sexy Vampire in Nürnberg
Autor: Michael Schulbert
Nürnberg, Samstag, 09. Mai 2015
Warum gruseln wir uns vor Drachen und Vampiren, obwohl wir gleichzeitig von ihnen fasziniert sind? Brauchen wir vielleicht sogar solche Unwesen? Die Ausstellung "Monster" im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg gibt Antworten.
Ein Höllenschlund hat uns verschluckt und schon sind wir mittendrin in einer Geisterbahn der Kunstgeschichte. Schaurige Wesen fletschen ihre Zähne, glotzen uns an aus toten Augen, dürsten nach Blut oder leiten die armen Seelen mit einem bösen Grinsen ins Fegefeuer. Wenn nicht das sanftmütige Einhorn über allem schweben und der lustige Disney-Drache einen Kaffee spendieren würde, könnte man glatt den Verstand verlieren in diesem Gruselkabinett.
Aber keine Sorge: Es werden alle wieder heil herauskommen aus der Ausstellung "Monster", die bis 9. September im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg zu besichtigen ist. Denn die Darstellungen, vor denen unsere Vorfahren noch zitterten, sind für uns heute allenfalls Kuriositäten. Aber stehen wir wirklich über den Dingen? Oder plagen uns nur andere Dämonen?
Durch den Höllenrachen ins Paradies
Für den Generaldirektor des Museums, Ulrich Großmann, drückt sich die Doppelsinnigkeit des Themas schon im Eingang zur Ausstellung aus. Die Fratze, die ihr Maul öffnet, um alle Besucher zu verschlingen, ist dem Portal des Palazzo Zuccari - heute Bibliotheca Hertziana - in Rom nachgebildet und war einst als Gartenpforte gedacht. Durch den animalischen Höllenrachen führt der Weg ins Paradies. "Uns interessierte, wie ein Motiv vom Symbol für quälende Seelenpein zum heiter-kuriosen Capriccio mutieren konnte. Trugen aufklärerische Ideen dafür Sorge, den Aberglauben ein für alle Mal zu überwinden? Oder sind Rückfälle in das bisweilen magische Reich der Fantasie festzustellen?", formuliert Großmann die Zielsetzung für diese anregende Präsentation, die mit 230 Exponaten aufwartet, darunter ein Drittel als Leihgaben.
Heimat der Drachen ist das Buch
Vielleicht kann Johannes Pommeranz die Antwort geben? Der Ausstellungskurator, als Leiter der Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums Herr über 700 000 Bände, ist sich einig mit dem französischen Philosophen Michel Foucault: Die Heimat aller Unwesen ist das Buch! Schon Plinius schrieb in der Antike über Drachen - und keiner hat sie mehr aus den Überlieferungen getilgt: nicht die mittelalterlichen Klosterschreiber, nicht die Autoren des 21. Jahrhunderts. Aber sind sie durch ständige Wiederholung Wahrheit geworden? Kein Wunder, dass sich irgendwann auch Maler, Bildhauer und später Filmemacher mit dem spannenden Sujet beschäftigten.
Die Spurensuche führt uns also zunächst zu den unheimlichen Tieren, und wir stellen erfreut fest: Wo ein Drache ist, ist auch ein Held, der das Böse bezwingt. Ob Herkules und Siegfried, ob St. Georg und die heilige Margaretha - das Motiv des Drachenkampfes ist kulturgeschichtliches Gemeingut. Auch Seeungeheuer treiben im großen Sündenmeer ihr Unwesen. Doch als in den Naturalienkabinetten mumifizierte Rochen als "Basilisken" (zwei schöne Beispiele sind als Leihgaben aus dem Naturkundemuseum Verona zu sehen) verkauft werden, wird der Mythos Drache langsam entzaubert. Spätestens Ende des 19. Jahrhunderts wird aus dem einstigen Dämon ein putziges Schmunzelmonster; verantwortlich dafür ist Kenneth Grahams Kinderbuch "Der Drache, der nicht kämpfen wollte", das 1941 von Walt Disney verfilmt wurde.
Der Vampir als Sexsymbol
Von tierischen zu menschlichen Unwesen ist der Weg nicht weit. Diese Spezies hebt sich durch abnorme Gestalt oder widernatürliche Charaktereigenschaften von den Anderen ab und haust an dunklen, verborgenen Orten. Zwar schießen die "Wilden Leute" auf einem Bildteppich von 1420 bei der Erstürmung der Minneburg noch mit Blumen, doch der Wilde Mann, einstmals Skulptur an einem gleichnamigen Wirtshaus in Basel, ist bereits von ganz anderem Kaliber: mit hässlicher Larve und behaart am ganzen Körper. Ein Urviech, das den zivilisierten Städtern als Symbol für Ursprünglichkeit diente. Besonders schaurig ist der Rübezahl als Kinderfresser, während das Grauen, das Vampire bringen, subtiler daherkommt.
Auch sie erblicken das Licht der Welt in Büchern, und es sei nur am Rande angemerkt, dass der populärste Schriftsteller, der die Untoten aus dem Schattenreich holte, nämlich Bram Stoker, in Nürnberg für einige seiner Kurzgeschichten recherchierte. In der Museumsausstellung spannt sich der Bogen von Edvard Munchs Gemälde "Der Vampir" zu den Kinoplakaten für "Interview mit einem Vampir" oder "Twilight", wo aus den Blutsaugern Sexsymbole werden.
Durch Monster zu den Sternen
Neben den tierischen und den menschlichen Monstern werden in einem dritten Schwerpunkt die "Bedrohten Seelen" beleuchtet und mit ihnen schließlich und endlich die Dämonen, die in uns allen stecken. Die Höllenqualen reichen von der Schembart-Handschrift, die das Fastnachtstreiben in Nürnberg thematisiert, und den Leidensschreien des Neapolitaner Künstlers Giovanni Azzolino bis zu den Comics von Christian Moser (1966-2013), der den Groll, die Langeweile oder das schlechte Gewissen zu Fratzen verzerrt: "Hinter unseren Zwängen und Trieben steckt niemand anders als die Monster des Alltags." Sie gilt es zu überwinden. "Monster sind für uns Menschen geradezu unverzichtbar, weil sie Ängsten eine äußere Form, ein Bild geben. Nur wenn wir mit unseren inneren Drachen kämpfen, können wir sie besiegen", sagt Johannes Pommeranz. Und macht Hoffnung mit einem Zitat des Kulturhistorikers Aby Warburg (1866-1929): "Per monstra ad astra - durch Monster zu den Sternen".
Die Ausstellung "Monster - Fantastische Bilderwelten zwischen Grauen und Komik" läuft bis zum 6. September im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Kartäusergasse 1 (Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr, Mo geschlossen).
Der Katalog zur Ausstellung umfasst 500 Seiten mit farbigen Abbildungen aller Exponate (39,80 Euro, im Buchhandel 53 Euro).
Das Begleitprogramm beinhaltet Sonderführungen an jedem Sonntag um 14 Uhr und jedem Mittwoch um 18 Uhr. Das Filmhaus Nürnberg zeigt Klassiker der Stummfilmära, ausgewählte Horrorstreifen und monstermäßige Kinderfilme. Ein Monster Poetry Slam steigt am 28. Mai ab 20 Uhr. Am Samstag, 13. Juni, findet von 16 bis 23 Uhr die Museums-Monsternacht mit zahlreichen Aktionen statt (Näheres unter www.gnm.de).