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Nürnberger Autor: Die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen im Faktencheck


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Nürnberg, Dienstag, 23. August 2016

Der Nürnberger Autor Jonas Lanig setzt der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ein Buch mit einem Faktencheck entgegen.
Für viele Flüchtlinge ist Angela Merkel ein Idol. Aber einen Harem auf Staatskosten bekommen sie von der Kanzlerin genauso wenig wie Taxifahrten ins Spielcasino - alles Gerüchte, die der Nürnberger Autor Jonas Lanig in seinem Faktencheck widerlegt. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa


Als im Wohnumfeld von Jonas Lanig im Nürnberger Norden die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft angekündigt wurde, standen sie sofort im Raum: Die Vorurteile. Die typischen Geschichten von Flüchtlingen, die gespendete Matratzen auf den Müll werfen. Als Lanig zusätzlich von Lehrern mit der Frage konfrontiert wurde, wie sie ihren Schüler einen bewussten Umgang mit den Lügen beibringen könnten, war für Lanig klar: "Über dieses Thema schreibe ich ein Buch."

Im März hatte er die Idee dazu, im August ist es mit dem Titel "50 Vorurteile in der Flüchtlingskrise auf dem Prüfstand" erschienen (Verlag an der Ruhr, 8,99 Euro, auch als E-Book). Der Nürnberger war schon immer politisch aktiv in der SPD und Gewerkschaft, ist Geschäftsführer der Stiftung Civil-Courage und Bundesvorsitzender der Aktion Humane Schule. Die Integrationsarbeit ist, erzählt er, sein Lebensinhalt: Lange Zeit moderierte Lanig in Nürnberg den "Bunten Tisch", eine Initiative, die gute Nachbarschaft zwischen Deutschen und Ausländern stiften möchte. Früher selbst Gymnasiallehrer in Nürnberg kümmert er sich im Ruhestand außer ums Bücher schreiben auch um die Fortbildung seiner Kollegen.


Vermeintlich hohe Autorität des Internets

Von ihnen weiß er, "dass sie von ihren Schülern täglich mit Stories über Flüchtlinge zugeschüttet werden. Dummerweise nehmen die Jugendlichen die Geschichten ernst, weil sie dem Internet eine hohe Autorität beimessen." Lanig fühlte sich in der aktuellen Debatte an sein Buch erinnert, das er vor zwölf Jahren zum Thema "Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" geschrieben hat. "Auch damals waren Stammtischparolen an der Tagesordnung, die wir als Lehrer täglich gehört haben. Heute haben die Gerüchte durch das Internet aber eine ganz neue Qualität."

So wie er die erfundenen Geschichten über Gastarbeiter mit Fakten widerlegte, wollte er dies jetzt mit der Flüchtlingsthematik versuchen. Sein Nachschlagewerk richte sich zwar an Interessenten aller Altersgruppen, soll aber auch in Schulen verwendet werden (aktuell stehe der Verlag in Gesprächen mit der Bundeszentrale für politische Bildung, die im besten Fall die Kosten für die Anschaffung der Bücher in Schulen übernimmt). "Es bringt nichts, sich als Lehrer vor die Klasse hinzustellen und zu sagen, eure Geschichten sind falsch. Wir müssen die Schüler dazu befähigen, selbst zu recherchieren."


So viel Quatsch im Umlauf

Deshalb hat Lanig auf jeder Seite seines Buchs in Fußnoten entsprechende Internetverweise angegeben: Zum einen die Quellen der Gerüchte, zum anderen Infoseiten für den weiteren Faktencheck. Er selbst nutzte amtliche Statistiken des Bundesamts für Migration und des Statistischen Bundesamts bis hin zu denen der OECD. Seine zweite Quelle waren Gesetzestexte, Regeln und Verordnungen. Sie zeigten schnell, dass manche Dinge einfach nicht passieren können. "Von einer vermieteten Wohnung Zimmer für Flüchtlinge abzuzweigen lässt das Mietrecht gar nicht zu." Oder die Behauptung, Flüchtlinge lassen sich mit dem Taxi in den Spielsalon chauffieren: "Es ist gesetzlich geregelt, dass sie mit dem Taxi zu einer ambulanten Operation fahren dürfen oder Mütter mit Kindern unter sechs Monaten zum Arzt. Andere Fahrten sind nicht gestattet."

Ihm geht, sagt Lanig unmissverständlich, "das Gschmarri mit den Lügengeschichten auf die Nerven." Viele Gerüchte - "die allerschärfsten" - habe er beim Faktencheck herausgelassen: Dass Frau Merkel den Flüchtlingen Bordellgutscheine gibt, Flüchtlinge in Streichelzoos Ziegen geschächtet oder auf offener Straße Zeitungsausträgerinnen vergewaltigt hätten und wegen der Diebstähle durch Flüchtlinge Geschäfte schließen mussten. "Diese Geschichten finden Sie landesweit und sie sind alle Quatsch", sagt Lanig. Er fordert, den gesunden Menschenverstand einzuschalten. "Ich will mit dem Buch sagen, kommt mal wieder auf den Boden und schaut euch die Fakten an. Wir dürfen uns nicht in einen neuen Mystizismus hineintreiben lassen."

Um von vornherein Kritik auszuschließen, sei jedes Faktum in seinem Buch vom Verlag und externen Experten zusätzlich überprüft worden. Lanig gibt darin außerdem Tipps konkret für Lehrer und schlägt beispielsweise vor, Vorurteile durch die persönliche Begegnung etwa mit einem Erzählcafé als Schulprojekt oder Freiwilligenarbeit in Flüchtlingsunterkünften zu forcieren.


Ehrenamt hilft bei der Integration

Dass solche Initiativen gut sind für ein respektvolles Miteinander, hat Lanig jüngst im eigenen Umfeld erlebt. Als die Regierung von Mittelfranken bei einer Bürgerversammlung ihre Pläne zur Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in einer alten Gewerbeimmobilie in Nürnberg-Thon vorstellte, rief der Widerstand Widerstand hervor. "Einige kamen mit den üblichen Gerüchten daher und meinten, unsere Gegend wird vermüllt. Gegen diese Aussagen haben andere gleich einen Helferkreis gegründet." Jetzt sind die Flüchtlinge vor Ort und werden von Ehrenamtlichen aus dem Umfeld der evangelischen Kirche St. Andreas in Thon betreut. Es gibt ein Flüchtlingscafe und einen Besucherservice, Lanig engagiert sich in der Sprachgruppe. "Das ist eine Qualität, die es in unserem Land eben auch gibt. Da können wir schon auch mal stolz sein", sagt Lanig.


Faktencheck auf infranken.de

Was dem Nürnberger Autor Jonas Lanig mit seinem Buch gelungen ist, haben die Medien in Deutschland übrigens längst gemacht: Faktenchecks zu den Gerüchten über Flüchtlinge fanden und finden sich in vielen Zeitungen, Radio- und Fernsehbeiträgen bzw. auf den Internetseiten der jeweiligen Medien. Auch unsere Zeitungen und unser Internetportal haben einen Faktencheck anhand von Leserfragen vorgenommen. Die Antworten, die wir darauf von Ministerien, Behörden und anderen Institutionen erhalten hatten, finden Sie in unserem Dossier.