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Snowden wünscht sich in Nürnberg eine Welt ohne Überwachung


Autor: Nikolas Pelke

Nürnberg, Donnerstag, 08. Oktober 2015

Die IT-Gemeinde ist elektrisiert. Edward Snowden hat sich angekündigt, um via Video-Übertragung aus Moskau zu den Fachleuten auf der IT-Sicherheitsmesse "it-sa" in Nürnberg zu sprechen. Die Veranstalter haben aufgrund des großen Andrangs kurzerhand sogar einen zweiten Saal organisieren müssen.
Foto: Nikolas Pelke


Snowden sieht nach dem Urteil gegen "Safe Harbor" die "Stunde der Europäer" gekommen.

"Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat", sagt Christian Weber, der für eine Computerfirma aus Düsseldorf arbeitet. Aylin hat sich auch einen der begehrten Plätze gesichert. "Ich mache eine Ausbildung zur Fachinformatikerin", sagt die junge Frau aus Nürnberg. "Für mich ist Snowden kein Verräter sondern ein Freiheitskämpfer", sagt die angehende Computerspezialistin.

In der allerletzten Reihe sitzt ein Fachmann aus München mit einem Aktenberg auf dem Schoß. "Ich bin Vertriebsleiter und habe seit 20 Jahren mit personenbezogenen Daten zu tun. Das Thema IT-Sicherheit wird dabei immer bedeutender." Schließlich stehe er gegenüber seinen Kunden im Wort, dass ihre persönlichen Daten sicher bei der Firma aufgehoben seien.

Diese Gewissheit hat Edward Snowden mit seinen Enthüllungen über die vielfältigen Spionagetätigkeiten der amerikanischen Geheimdienste ein für allemal widerlegt.


Sören von Varchmin kündigt den bekannten Wistleblower als den "meist gesuchten Mann der Welt" an.

Mit seinen Enthüllungen der systematischen NSA-Schnüffelei habe Snowden der "ganzen Welt die Augen geöffnet", sagt der Moderator während Snowden auf der großen Leinwand erscheint. Mit dunklem Anzug, Brille und Dreitagebart winkt Snowden aus dem Moskauer Exil lässig den Gästen in Nürnberg zu. Sichtlich freut er sich über den Applaus und den herzlichen Empfang. Aber nur für einen kurzen Moment. Dann spricht er Klartext zu den Fachleuten. Der Titel seines Vortrages lautet: "Defense against the Dark Arts: Today's cybersecurity problem and how to fix it".

Angreifer hätten es viel einfacher als die Verteidiger von Cyberattacken. Diese Erkenntnis ruft Snowden seinen Zuhörern zunächst zu. Freilich seien die Methoden der Angreifer nicht simpel. Bis auf die Zähne bewaffnete Cyberspione wie die NSA vergiften komplette Computer-Infrastrukturen, um die ganze Welt zu verwanzen. Beispielsweise hätten die Amerikaner einem holländischen Hersteller von SIM-Karten für das Mobiltelefon so ein gemeines Ei ins Software-Nest gelegt. Die Folge solcherlei heimtückischer Aktivitäten sei verheerend. Am Ende stehe die elektronische Welt ohne es zu wissen ohne Hemd und Hose splitterfasernackt vor den neugierigen Augen der Datenspione da.


Besonders erschreckend findet Snowden, dass eine ganz kleine Minderheit, über das Geld, die Macht und das Wissen verfüge, dazu in der Lage sei, die überwältigende Mehrheit der Menschheit auszuspionieren.

Noch nicht einmal ein Richter müsse dafür seine Zustimmung geben. "Was bedeutet das für unsere Demokratie und unsere Freiheit?", fragt Snowden. Er setze seine Hoffnung nun in die Europäer. Die Gelegenheit sei nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, das transatlantische Abkommen zum Datenaustausch "Safe Harbor" für null und nichtig zu erklären, günstig. "Jetzt schlägt die Stunde der Europäer, das Abkommen mit den Amerikanern neu zu verhandeln und die Menschenrechte bei einem neuen Datenabkommen durchsetzen", fordert Snowden unter dem tosenden Beifall der zahlreichen Zuhörer. Die amerikanische Bevölkerung, die in Demokratie und Freiheit leben will, sei auf die Hilfe der Europäer angewiesen, ist sich Snowden sicher.

Seine eigene Regierung kritisierte Snwoden für ihre Allmachtsphantasien und Überwachungsexzesse. Gerne würde er zurückkehren in sein Heimatland. Aber dort behandle die Obama-Administration ihn weiterhin wie einen Schwerverbrecher. Er gelte in den USA als Verräter, weil er seinen Landsleuten die Augen geöffnet habe, um ihre Freiheit zu retten. Snowden hofft nun, dass die Europäer gegenüber den Amerikanern beim Thema Datenschutz keinen Jota zurückweichen und sich nicht von den übermächtigen Geheimdiensten erpressen lassen. "Wir müssen eine freie und faire IT-Infrastruktur schaffen. Und das muss für alle auf der ganzen Welt gelten", fordert Snowden zum Abschluss seines genauso analytisch präzisen wie leidenschaftlichen Vortrages.

Der großen Applaus am Ende kann auch als Zeichen des Dankes gewertet werden. Schließlich hat Snowden mit seinen Enthüllungen beinahe im Alleingang dafür gesorgt, dass sich die IT-Sicherheitsbranche vor Aufträgen kaum retten kann.