Nürnberger Forscher beenden Uhren-Streit um Peter Henlein
Autor: Michael Schulbert
Nürnberg, Samstag, 25. Oktober 2014
Im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg schlägt Peter Henlein die Stunde: Schuf der Feinmechaniker 1510 wirklich die älteste Taschenuhr der Welt? Historiker und Techniker blicken mit dreidimensionaler Computertomographie ins Innere des Zeitmessers. Und entdecken Erstaunliches.
Um es vorweg zu nehmen: Die berühmte Henlein-Uhr im Germanischen Nationalmuseum von Nürnberg muss in der Nacht zum Sonntag keine Stunde zurück auf Winterzeit gestellt werden. Seit die Uhr 1897 über den Kunsthandel ins Museum kam, ist sie nämlich niemals gelaufen. "Und vorher wahrscheinlich auch nur selten, denn es gibt fast keine Gebrauchsspuren", sagen Forscher.
Nachträgliche Signatur
Nur die Innenseite des Deckels ist verkratzt. Ausgerechnet. Denn hier befindet sich das einzige Indiz, das zu Uhrmacher Peter Henlein führt: die Sig natur "Petrus Hele" samt Jahreszahl "1510". Allerdings haben die Wissenschaftler jetzt herausgefunden, dass die Inschriften nachträglich aufgebracht wurden.
Ist also alles eine Fälschung? Ein Mythos? Was hat es nur auf sich mit diesem Peter Henlein, dessen Name auf einer Inschrift in der Ruhmeshalle Walhalla verewigt ist und nach dem Straßen u. a. in Nürnberg, Forchheim und Bad Kissingen benannt sind? Wie tickte der berühmte Uhrmacher aus Franken?
Aktenkundig als Totschläger
Nun - er war auf jeden Fall ein schlimmer Finger, denn zwischen 1504 und 1530 taucht sein Name immer wieder in Nürnberger Gerichtsprotokollen auf. Gleich der erste Eintrag ist ein Paukenschlag: Henlein, wahrscheinlich um 1480 als Sohn eines Messerschmieds geboren, soll - wohl im Rausch - einen Kollegen erschlagen haben. Er flieht in ein Kloster, wird schließlich verurteilt, an die Hinterbliebenen 21 Gulden zu zahlen (was er erst elf Jahre später tut). Noch schlimmer treibt es sein Bruder Hermann, dem vorgeworfen wird, ein achtjähriges Bettlermädchen getötet und ein zweites Kind schwer verletzt zu haben. In Augsburg wird der Mörder aufgegriffen und 1524 hingerichtet. Als Peter Henlein daraufhin einen Augsburger Messerschmied beschuldigt, Hermann wegen der ausgesetzten Belohnung denunziert zu haben, wird der Uhrmacher für zwei Wochen eingesperrt. 1530 ist der Hitzkopf erneut in eine Schlägerei verwickelt.
Brillanter Handwerker
Ungeachtet der privaten Eskapaden muss Peter Henlein ein brillanter Handwerker gewesen sein. 1509 wird er Schlossermeister. Der Nürnberger Rat beauftragt ihn mit dem Bau und der Reparatur von Turmuhren, entsendet den Fachmann bis nach Straßburg, wo eine große astronomische Uhr entsteht, und bestellt bei ihm Zeitmesser, die hochrangige Besucher in Nürnberg als Staatsgeschenke erhalten. Henlein, der dreimal verheiratet war und 1542 verstorben ist, bringt es zu einigem Wohlstand; seine Spezialität sind tragbare kleine Uhrwerke, die er in vergoldeten Hohlkugeln aus Holz, so genannte Bisamäpfel, installiert.
Die Uhren mit den schweren Gewichten sind zuvor fest in Kirchtürmen installiert, doch zu gern würde man den fahrenden Kaufleuten tragbare Zeitmesser in die Hand geben. Die Erfindung der Zugfeder bringt die Feinmechaniker diesem Ziel ein Stückchen näher. Henlein muss früh daran getüftelt haben. 1512 vermerkt der Theologe Johannes Cochläus, die tragbaren Uhren des Meisters würden 40 Stunden am Stück laufen.
Zweijähriges Forschungsprojekt
Was die Wissenschaftler heute allerdings bezweifeln und als Propagandaschrift einstufen. "Alle von uns untersuchten Uhren aus dieser Zeit liefen höchstens zwölf Stunden. Man darf nicht alles für bare Münze nehmen, was geschrieben steht", sagt Oliver Mack, Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum. Hier begegnete man dem Superlativ, die älteste tragbare Uhr der Welt zu besitzen, schon immer mit großer Skepsis. Mindestens fünf weitere, über die ganze Welt verstreute Zeitmesser könnten diesen Titel ebenfalls für sich beanspruchen. In einem groß angelegten, zweijährigen Forschungsprojekt gelang es jetzt erstmals, mehrere in Frage kommende Anwärter nach Nürnberg zu bringen, sie nach gleichen Kriterien zu vermessen und so miteinander zu vergleichen. Durch neuartige, vom Fraunhofer Institut entwickelte Röntgentechnik war es möglich, das Innere der Uhren in dreidimensionale Bilder auf den Computer zu übertragen, ohne die Objekte zerlegen zu müssen.
Wie gebannt blicken Oliver Mack und seine Kollegen Roland Schewe und Markus Raquet auf den Computer-Bildschirm, wo sich Bild für Bild das Innenleben der Henlein-Uhr aufbaut, die in natura gerade mal einen Durchmesser von fünf Zentimetern aufweist: "Wir sehen nicht nur die vergrößerte Oberfläche, sondern können auch in die Metalle hineinschauen und Aussagen zu den Legierungsbestandteilen machen." Das Gehäuse der Henlein-Uhr besteht aus vergoldetem Messing, das Werk aus Eisen mit wenigen Messing-Lagern.
Sonderausstellung ab 4. Dezember
Natürlich werden die Forscher erst alle Einzelheiten veröffentlichen, wenn ihr Projekt abgeschlossen und ab 4. Dezember im Museum eine große Sonderausstellung zum Thema zu sehen ist. Man kann allerdings jetzt schon sagen, dass die Nürnberger Museumsuhr in ihrem Ursprung tatsächlich im 16. Jahrhundert entstand, danach aber mehrfach umgearbeitet wurde. Ob Peter Henlein sie schuf, lässt sich nicht mehr herausfinden. Und ob sie die älteste Taschenuhr der Welt ist? Auch das ist wohl nicht zu enträtseln.
Ein Kandidat für diesen Titel wäre die so genannte Melanchthon-Uhr aus Baltimore, die auf das Jahr 1530 zu datieren ist. Der Humanist soll sie als Geschenk der Stadt Nürnberg erhalten haben. "Gehäuse, Werk, Datierung und Signatur - hier passt einfach alles zusammen", sagen die Nürnberger Forscher. Die Signatur lautet übrigens PHN - was als Peter Henlein Nürnberg gedeutet werden könnte. Am Meister kommt man halt doch nicht vorbei.