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Nürnberger Archivare hüten 30.000 Spiele


Autor: Michael Schulbert

Nürnberg, Samstag, 27. Sept. 2014

Warum ist Deutschland das Land der Spiele? Und womit amüsierten sich unsere Eltern und Großeltern? Antworten gibt es im Deutschen Spielearchiv in Nürnberg.
Stefanie Kuschill und Torsten Lehmann im Depot des Deutschen Spielearchivs. Foto: Ronald Rinklef


Glück im Spiel muss man haben! Aber auch eine clevere Marketing-Idee, und so ließ der Münchner Angestellte Josef Friedrich Schmidt anno 1914 das Spiel, das er einige Jahre zuvor für seine Kinder gebastelt hatte, in Serie gehen und schickte 3000 Exemplare an die Front und in Lazarette, damit sich die Soldaten die Zeit vertreiben konnten. Das Spiel war nicht neu - seine Wurzeln reichen 2000 Jahre zurück bis nach Indien -, aber Schmidt (1871-1948) verpasste dem Ganzen eine einprägsame Grafik und einen genialen Titel: "Mensch ärgere dich nicht". Mit diesem Klassiker, der sich bis heute millionenfach verkaufte, wurden Brettspiele massentauglich.


Archiv auf 800 Quadratmetern


Wer mehr darüber wissen und in die magische Welt der Spiele eintauchen möchte, muss durch ein tristes Treppenhaus in den zweiten Stock des Nürnberger Pellerhauses am Egidienplatz 23 steigen.

Im Innenhof sind die Altstadtfreunde gerade dabei, dem 1945 völlig zerstörten und in moderner Form wieder aufgebauten Gebäude einen Teil seiner einstigen Renaissance-Pracht wiederzugeben. Doch wir haben ein ganz anderes Ziel: Wo bis vor einigen Monaten noch die wertvollen Handschriften der Stadtbibliothek lagerten, hat sich das Deutsche Spielearchiv auf 800 Quadratmetern breit gemacht.

So viel Platz ist auch nötig, um die etwa 30 000 Spiele unterzubringen, die der Sammler, Tester und Rezensent Bernward Thole seit 1985 in Marburg zusammentrug. 2010 rettete die Stadt Nürnberg das gesamte Material, zu dem auch eine Fachbibliothek mit etwa 7000 Bänden, Zeitschriften und Katalogen gehört, vor der Zerschlagung, kaufte den Fundus mit Sponsorengeldern und gliederte ihn dem Spielzeugmuseum an.


Jährlich 1000 neue Spiele


Bislang ist erst ein Teil der 2000 Umzugskartons, die in sieben Lastwagen von Marburg nach Nürnberg gebracht wurden, ausgepackt. "Wir wissen also gar nicht, was unser ältestes Spiel im Depot ist. Vielleicht 'Wir reisen nach Berlin' von 1949?", vermutet die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Spielearchivs, Stefanie Kuschill. Tatsächlich sammle man vor allem deutschsprachige Brett-, Tisch- und Rollenspiele seit 1945. "Deutschland ist das Land der Spiele. Der Hauptumschlagplatz. Seit 'Die Siedler von Catan' gibt es den weltweiten Begriff der German Games", erklärt die 35-Jährige und vermutet, dass von etwa 1000 neuen Spielen, die alljährlich auf den Markt kommen, zwei Drittel in Deutschland, dem Land der Tüftler und Denker, erfunden wurden. 400 bis 500 davon werden ins Archiv aufgenommen. Jährlich. Gerade ist der Paketbote gekommen und hat wieder neue Ware angeliefert. "Diese Spiele werden nur kurz gesichtet und landen dann gleich im Depot", sagt Kuschill.

Anders ist es mit der historischen Sammlung aus Marburg. Hier müssen die Spiele erst auf Vollständigkeit überprüft, fotografiert und katalogisiert werden. Zuständig dafür ist der Historiker Torsten Lehmann, der sich mit Stefanie Kuschill eine Stelle teilt. Nicht selten ist eine aufwändige Recherche nötig, denn auf den alten Kartons sind zuweilen weder der Name des Spiele-Erfinders noch eine Jahreszahl dokumentiert. "Aber Spiele sind immer auch ein Ausdruck des jeweiligen Zeitgeistes", weiß Lehmann. So spiegelte sich die erste deutsche Reisewelle in den 1950er Jahren ebenso in den Spielen wider wie die Quizbegeisterung der 60er oder das ökologische Bewusstsein der 70er Jahre.


Kurze Haltbarkeit

Doch Klassiker wie "Mensch ärgere dich nicht" oder "Monopoly", das als das meist verkaufte Gesellschaftsspiel überhaupt gilt, sind selten. "Wenn eine Neuerscheinung nicht das Prädikat 'Spiel des Jahres' trägt, ist sie meist nach zwei Jahren wieder verschwunden", sagt Lehmann. Das Deutsche Spielearchiv bewahrt die Ideen für die Nachwelt und die Forschung - ist quasi das "Gedächtnis" der Branche, die in Nürnberg auf eine reiche Tradition zurückblicken kann. Mit dem Spielzeugmuseum, das eine feine Spielesammlung aus dem 19. Jahrhundert besitzt, und dem Museum Industriekultur, wo Computerspiele zusammengetragen wurden, werde man sich in Zukunft noch enger vernetzen, erklären Kuschill und Lehmann.
Doch die beiden Archivare wollen und sollen nicht nur dokumentieren, sondern ihre Einrichtung auch zu einem aktiven Spielezentrum ausbauen. Sie kooperieren eng mit dem Ali Baba Spieleclub, der sich 1991 in Nürnberg gründete, mittlerweile Regionalverbände über Bayern hinaus hat und mit fast 500 Mitgliedern zu den größten Vereinen seiner Art in Deutschland zählt. Gemeinsam werden regelmäßig Spielenachmittage im Pellerhaus veranstaltet. Darüber hinaus ist das Spielearchiv auf der Consumenta (25. Oktober bis 2. November, Messe Nürnberg) ebenso vertreten wie bei der Spielwarenmesse oder der Blauen Nacht. Zum zweiten Mal fand vor zwei Wochen außerdem die bundesweite Aktion "Stadt-Land-Spielt! Der Tag des Gesellschaftsspiels" statt, die Stefanie Kuschill und Torsten Lehmann zusammen mit der Spiele-Autoren-Zunft und dem Deutschen Spielemuseum Chemnitz initiierten.


Auch privat "total verspielt"


Wenn beruflich so viel Spiel im Spiel ist - hat man da im Privatleben überhaupt auch noch Muse dazu? "Na klar", sagt Stefanie Kuschill, die gerne ihre Kartrunde zu einer Partie "Tichu" zusammenruft. Und Torsten Lehmann mag noch immer "Hase und Igel", das 1979 zum ersten "Spiel des Jahres" gekürt worden ist. "Das Spielen ist eine der wichtigsten Errungenschaften des Menschen überhaupt. Spiel ist Kulturgut", unterstreicht der 47-Jährige und engagiert sich deshalb gemeinsam mit seiner Kollegin dafür, dieses Genre in die Deutsche Nationalbibliothek, dem zentralen Archiv für alle Medienwerke, mit aufzunehmen. Und das ist nun wirklich alles andere als ein Kinderspiel.


Die nächsten Termine


Stadt(ver)führungen An diesem Wochenende, 27./28. September, steht Nürnberg ganz im Zeichen dieser Aktion. Torsten Lehmann wird am Samstag und Sonntag jeweils um 14 und um 15.30 Uhr durch das Deutsche Spielearchiv am Egidienplatz 23 führen. Am Sonntag gibt es außerdem von 14 bis 18 Uhr einen Spielenachmittag im Pellerhaus.

Spielenachmittage Unter der fachkundigen Betreuung des Ali Baba Spieleclubs lädt das Deutsche Spielearchiv sonntags von 14 bis 18 Uhr zum Ausprobieren lustiger Familien- und spannender Strategiespiele ins Pellerhaus ein. Die nächsten Termine: 12./26. Oktober; 9./23. November; 7./21. Dezember.