Nürnberg: Menschenhändler zwang junge Frau in Bordell-Hölle - heute kämpft sie gegen Prostitution
Autor: Isabel Schaffner
Nürnberg, Dienstag, 10. Mai 2022
Sandra Norak lernte als Schülerin einen Loverboy kennen, der sie durch psychischen Druck dazu brachte, Vollzeitprostituierte zu werden. Völlig von der Außenwelt isoliert und dem Selbstwert beraubt, folgten mehrere traumatisierende Jahre - bis die junge Frau es schaffte auszubrechen.
- Sandra Norak lebt als junge Frau sechs Jahre lang als (Zwangs-)Prostituierte
- Wegen toxischer Elternbeziehung: Nürnberger Loverboy wird einzige Bezugsperson
- "Wenn du nicht dazu bereit bist, kannst du mich nicht lieben": Norak geht für ihn anschaffen
- Als künftige Anwältin will sie heute gegen Zuhälter und Menschenhändler vorgehen
Sandra Norak - ihr Name ist ein Pseudonym - geriet als Schülerin über einen Online-Chat an einen Zuhälter (Loverboy) aus dem Raum Nürnberg, der ihr die Liebe vorgaukelte, die sie zu Hause vermisste. Mit psychischem Druck brachte er sie schließlich dazu, als Prostituierte für ihn anschaffen zu gehen. Tausende traumatisierende Stunden mit Freiern, das Leben in einem Kellerzimmer und Bedrohungen führten bis zum psychischen Zusammenbruch, erzählt sie im Gespräch mit inFranken.de. Aus diesen Erfahrungen schöpft die generelle Gegnerin von Bordellen eine starke Motivation, als künftige Anwältin Betroffenen zu helfen.
Nürnberger Loverboy baut Vertrauen auf - und nutzt Einsamkeit aus
Norak berichtet im Gespräch: "Ich wuchs in einem kleinen Ort in Niederbayern auf. Mein Elternhaus war von Grenzüberschreitungen und auch Gewalt durch meine Mutter geprägt. Von Mitschülern habe ich mich distanziert, ihnen nichts von den Zuständen zu Hause erzählt. Stattdessen habe ich Online-Chats vorgezogen, als Flucht aus der Realität. Als 16-Jährige begann der Rekrutierungsprozess durch meine Täter in Form der sogenannten Loverboy-Methode, eine Form von Menschenhandel. Ich habe im Internet zunächst eine Frau kennengelernt, die mich schließlich an meinen späteren etwa 20 Jahre älteren 'Loverboy' vermittelt hat. Beide waren schon länger im Rotlichtmilieu unterwegs - die Frau war Prostituierte für ihn."
Das gemeinsame Ziel der beiden beschreibt Norak so: "Eine neue Prostituierte zu rekrutieren, um sie in der Prostitution auszubeuten und Geld zu machen. Vor allem instabile Frauen sind hierbei eine beliebte Zielgruppe, da deren Hemmschwelle, weitere Gewalt zu ertragen, durch bereits vorhandene schwere Lebensumstände geringer ist. Es war ein langsamer Vertrauens- und Beziehungsaufbau. Das Thema Prostitution spielte bei unserem Kennenlernen anfangs keine Rolle und kam auch nicht vor. Ich habe ihnen von meinen Problemen zu Hause erzählt und sie wussten, dass ich da rauswollte. Das haben sie ausgenutzt."
"Der Mann ist im Laufe der Zeit zu meiner engsten Bezugsperson geworden. Irgendwann hat er mir gesagt, dass er sich durch das häufige Schreiben und den dabei tiefgehenden Gesprächen in mich verliebt hat. Ein erstes Treffen ist dann in meinem Heimatort zustande gekommen. Ich hatte ein komisches Bauchgefühl, aber ich habe mich sehr einsam gefühlt und wollte an der Vorstellung, einen Menschen gefunden zu haben, der mich liebt und dem ich wichtig bin, festhalten. So habe ich versucht, dieses Bauchgefühl zur Seite zu schieben."
Schulden, Erpressungen, psychischer Druck: So läuft die Zuhälter-Masche
"Später habe ich ihn regelmäßig am Wochenende besucht, bin mit dem Zug nach Nürnberg gefahren. Eines Tages nahm er mich mit in ein Bordell, um mit seinen 'Freunden' Kaffee zu trinken, die Bordellbetreiber und/oder Zuhälter waren. Davon, dass ich mich prostituieren soll, war keine Rede. Ich begleitete ihn nur. Er hat mich langsam in die Szene eingeführt. Zu Beginn war diese Umgebung schockierend für mich und ich fühlte mich fremd, dort zu sein, aber wenn man das jedes Wochenende sieht und die Leute einem ein familiäres Gefühl geben, wird es irgendwann in gewisser Hinsicht normal."
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"Nachdem etwas Zeit vergangen und ich öfter mit ihm in diesen Bordellen war, hat er mich gefragt, ob ich mich nicht auch einmal prostituieren wolle. Man könne dabei immerhin viel Geld verdienen und es sei ein normaler Beruf. Nachdem ich es verweigert hatte, ist er in das zweite Stadium übergegangen: Er habe Schulden. Wenn er diese nicht abbezahlen könne, bekomme er Probleme und Prostitution sei der Weg, schnell viel Geld zu verdienen, um ihm zu helfen. Ein Satz ist öfter gefallen, um mich zur Prostitution zu bringen: 'Wenn du mich wirklich liebst, hilfst du mir und gehst in die Prostitution.' Ich würde mittlerweile ja sehen, dass dort alle Frauen für ihre Männer anschaffen gingen und ihnen helfen würden."