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Nürnberg: Corona und Behinderung? So geht Autist Nicolas (18) mit Beschränkungen um


Autor: Kilian Nickol

Nürnberg, Freitag, 12. Juni 2020

Der 18-jährige Nicolas ist Autist. Die Corona-Pandemie birgt für ihn besondere Herausforderungen: Seine alltäglichen Strukturen fallen weg. Das führt zu Problemen mit Aggression, Unruhe und Schlaf. Sein Vater übt im Gespräch mit inFranken.de scharfe Kritik: "Behinderte wurden komplett vergessen in dieser Krise."
Der 18-jährige Nicolas ist Autist. Der Umgang mit den Beschränkungen durch die Corona-Pandemie ist für ihn besonders schwer.


Autisten zählen zur Corona-Risikogruppe. So auch Nicolas (18) aus der Nähe von Nürnberg. Die Einschränkungen durch die Pandemie halten besondere Schwierigkeiten für das Alltagsleben seiner Familie bereit, erklärt sein Vater Alexander Geist gegenüber inFranken.de.

Seit Anfang März ist der 18-jährige Nicolas zu Hause bei seiner Familie. Er ist Autist, hat Pflegestufe fünf. Schwierig sind vor allem die damit einhergehenden Probleme. "Für Autisten ist es irgendwann fatal, wenn tägliche Strukturen wegfallen. Es wird immer schwieriger, da nochmal reinzukommen", erklärt Alexander Geist, Nicolas' Vater und zweiter Vorstand des Vereins "Autismus Mittelfranken e.V.". Für Nicolas sind seine Arbeit, das tägliche frühe Aufstehen und fast alle Alltagsstrukturen weggefallen.

Strukturen und Rituale fallen weg: Aggression, Unruhe und Schlafstörungen als Folge

Besonders alltägliche Rituale sind für Menschen mit Autismus wichtig: "Die Besonderheiten im Verhalten sind charakterisiert durch eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten. Alltägliche Aufgaben werden starr und routiniert ausgeführt. Kinder können darauf bestehen, bestimmte Handlungsroutinen in bedeutungslos erscheinenden Ritualen auszuführen", schreibt "Autismus Deutschland e.V." auf seiner Website. 

Die Reaktionen können individuell ausfallen. Im Fall von Nicolas spiegelt sich das so wider: "Er wird aggressiv, schlägt sich selbst mit der Faust gegen den Kopf. Er versteht einfach nicht, warum das alles so lange dauert", erklärt Alexander Geist. Insgesamt sei Nicolas momentan isoliert vom öffentlichen Leben, seine Nichte besuche ihn ab und an. Die negativen Auswirkungen seien deutlich sichtbar: Neben den Aggressionen habe Nicolas mit Unruhe und Schlafstörungen zu kämpfen. Insgesamt merke man ihm das Wegfallen seiner Strukturen deutlich an, erzählt sein Vater.

"Behinderte wurden komplett vergessen in dieser Krise"

Allerdings zieht Alexander Geist persönlich auch positive Resonanz aus der Pandemie: "Nicolas ist ausgeglichener. Er ist gerne zu Hause. Wir sind als Familie näher zusammengerückt". 

Was dem zweiten Vorstand des "Autismus Mittelfranken e.V." besonders Sorgen bereitet, ist die Politik: "Behinderte wurden komplett vergessen in dieser Krise". Deswegen haben sich mehrere Organisationen zusammengeschlossen und ein Schreiben an Markus Söder, Caroline Trautner (Sozialministerin), Melanie Huml (Gesundheitsministerin), Holger Kiesel (Behindertenbeauftragter), Maria Kaminski (Vorsitzende "Autismus Deutschland e.V.") abgeschickt. Damit wollen sie auf die Situation der betroffenen Menschen aufmerksam machen. 

Folgende Forderungen stellen die Verfasser im Schreiben:

  • Unterstützung von Familien mit Kindern, die zu Hause versorgt werden und einer 24-Stunden-Pflege und -Aufsicht bedürfen.
  • Bei Familien, die in diesem Umfang pflegen müssen, sollte es keine Relevanz haben, ob die Eltern systemrelevanten Berufen nachgehen, da sie rund um die Uhr pflegen.
  • Essenzielle Therapien, wie zum Beispiel das Sozialtraining, sollten für Autisten erlaubt sein.
  • Von der Maskenpflicht sollten Autisten, die eine Maske aufgrund ihrer Wahrnehmungsbesonderheiten nicht tragen können, ausgenommen werden.

Vater übt Kritik: "Randgruppen werden nicht gehört"

Eine Antwort gibt es noch nicht, verschickt wurde das Schreiben vor rund drei Wochen. "Es passiert seit sieben Wochen gar keine Kommunikation", beklagt Alexander Geist. Dabei sei genau das jetzt gefragt. Auch in den Medien sei das Thema wenig bis gar nicht präsent. "Man muss auch die Randgruppen betrachten. Die werden nicht gehört", so Geist. 

Wenn die Beschränkungen vorbei seien, führe das zu Überforderung - sowohl bei Autisten selbst als auch bei den Pflegekräften: "Dann brennt es hier lichterloh", kommentiert Alexander Geist.