So reagieren die Türken in Nürnberg auf den Putschversuch
Autor: Nikolas Pelke
Nürnberg, Sonntag, 17. Juli 2016
Traurig, aber auch erleichtert sind die türkischen Mitbürger in Nürnberg nach dem gescheiterten Putschversuch.
Geschlafen haben sie nicht in dieser Nacht. "Wir waren alle bis um vier Uhr morgens auf den Beinen", erzählt Hasan am Morgen nach dem gescheiterten Putschversuch. Gemeinsam mit rund 500 Landsleuten ist der 46-jährige Facharbeiter kurz nach Mitternacht zum Generalkonsulat gezogen, als sich die Nachricht vom Militärcoup am Bosporus in Nürnberg in Windeseile verbreitete. "Wir sind für die Demokratie auf die Straße gegangen", sagt Hasan und reibt sich die verschlafenen Augen.
Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Ein Siegeslächeln ist es nicht. Für Triumphgefühle gibt es darin keinen Platz an diesem Tag.
"So viele Menschen sind gestorben." Trauer und Glück, Wut und Erleichterung sind Nachbarn an diesem Samstagmorgen. In einem Café in der Hauptstraße in Gostenhof hocken drei Männer und nippen lustlos an kleinen Teegläsern. "Schade, um die armen Leute", sagt Turgut und wirft, wohl um sich die Laune zu versüßen, noch ein Stück Würfelzucker in den schwarzen Tee. Geschlafen haben auch sie nicht viel in der letzten Nacht. Nervös haben sie die Ereignisse in der Ferne verfolgt. Die einen saßen vor dem Fernseher. Die anderen standen von dem Generalkonsulat. Angespannt aber friedlich sei die Lage dort gewesen. Erdogan hat gerufen, alle sind gekommen. Parteigänger des Präsidenten sind sie deshalb nicht.
Der Demokratie wollten sie zum Sieg verhelfen.
Auch wenn die noch Ecken und Kanten habe. Besser als Generäle an der Macht sei sie allemal. Früher hätten sie am nächsten Tag von dem Umsturzversuch erfahren. Früher war die Heimat weit weg. Damals, also sie noch Briefe geschrieben haben. Heute haben sie Handy und Internet. Heute sind sie ständig mit der Heimat verbunden. Alles ganz nah. Nichts mehr fern. "Gestern Nizza, heute Türkei - schlimm!", sagt ein Herr mit grauem Schnurrbart und sanften Augen. Gegenüber parkt eine große Limousine vor dem Brautmodengeschäft. "Wir waren gestern auf dem Standesamt. Heute ist die Feier. So ist das bei uns", sagt ein junger Mann, der sich wie ein Sultan herausgeputzt hat.
Viele Läden haben türkische Flaggen ins Schaufenster gehängt. Am Aufseßplatz feiern sie deutsch-türkische Freundschaft. "Wir arbeiten zusammen, wir leben zusammen. Da feiern wir auch zusammen", sagt Hulisi Kocak, der das Fest auf dem zentralen Platz in der Südstadt gemeinsam mit seinen Freunden vom türkischen Kulturverein organisiert hat. Absagen wollten sie die Feier nicht. Auch wenn sie traurig sind, weil so viele Menschen ums Leben gekommen sind. "Wir machen keine laute Musik und tanzen nicht. Dafür beten wir für die Verstorbenen", sagt der Mann mit Anzug und Krawatte und rollt mit seinen Mitstreitern ein Plakat aus. Herzen in den Farben der alten und neuen Heimat haben sie darauf gedruckt.
Über den Bierbänken wehen türkische und deutsche Fähnchen im Wind.
Überhaupt liegt ihnen die Freundschaft zwischen den beiden Ländern am Herzen.
Probleme gibt es trotzdem. Aber sie haben Respekt für die deutschen Leute. Und die haben Respekt für die türkischen. Gemeinsam gehen sie seit 50 Jahren zur Arbeit. Gemeinsam leben sie seit Generationen in der gleichen Straße. Manchmal hapert es noch immer an der Verständigung. Mit dem Sommerfest wollen sie auf die Deutschen zugehen. Es gibt türkische Spezialitäten vom Grill. Dazu deutsche und türkische Folklore auf der Bühne. Sie entschuldigen sich, dass sie die deutsche Sprache noch nicht perfekt sprechen. Dass sie nach all den Jahren noch immer das Land ihrer Vorväter lieben, dafür entschuldigen sie sich nicht. Sie sind stolz auf ihr Land. Gerade an diesem Morgen. "Deswegen feiern wir auch ein bisschen", sagt Murat Kaynak und holt tief Luft. Es ist nochmal gut gegangen, denkt er wohl. Dann stecken die Männer wieder die Köpfe zusammen. Natürlich haben sie heute nur ein Thema. Den Putsch in der alten Heimat. Und das was folgt.