Sebastian (27), HIV positiv: Warum der Franke dankbar für seine Infektion ist
Autor: Stephan Großmann
Schwaig bei Nürnberg, Mittwoch, 18. Dezember 2019
Angesteckt vom Leben: Sebastian Süß aus Schwaig bei Nürnberg ist HIV-positiv. Sterbenskrank ist der 27-Jährige nicht. Im Gegenteil: Dank Therapie und positiver Einstellung geht es ihm besser denn je.
15 Minuten reichen, um sein Leben zu verändern. Nur 15 Minuten nach dem kleinen Pieks in den Finger ist Sebastian Süß kein normaler, junger Mann mehr. Sondern ein normaler, junger Mann mit HIV. Träume, Vorlieben, Sehnsüchte und Ängste reduzieren sich auf drei Worte: "Sie sind positiv". Dieser Satz ändert alles. Ein ganzes Leben krempelt sich durch ein verändertes Vorzeichen um.
Das ist sechs Jahre her. Seither hat sich viel getan im Leben des heute 27-Jährigen. Wer ihm begegnet, legt all seine Vorurteile über "die Infizierten" ab. Weder ist Sebastian Süß sterbenskrank noch sieht er so aus. Im Gegenteil: Der selbstständige Ernährungsberater und Gesundheitscoach strotzt vor Lebenskraft. "Ich habe mehr Energie als irgendwann sonst." Er treibt Sport, ernährt sich gesund, geht bewusst mit sich selbst um. "Im Nachhinein bin ich dankbar für meine Infektion."
"Aids - das haben doch nur die anderen"
Gemerkt hatte er es, als eine vermeintliche Sommergrippe nicht abklingen wollte. Sie wird schlimmer, der junge Student fühlt sich ausgelaugt, selbst der Weg ins Badezimmer wird zur Qual. Es folgt eine Odyssee durch Wartezimmer verschiedenster Fachmediziner - ohne Erfolg. Keiner findet heraus, warum es dem jungen Mann plötzlich so schlecht geht. Dann beginnt das Grübeln. "HIV war kein Thema für mich", erzählt Sebastian, "ich war in einer festen Beziehung und überhaupt: Aids - das haben doch nur die anderen." Bis er sich doch für einen Schnelltest entscheidet, bis ein kleiner Pieks in den Finger alles an sich reißt. X plus 15 Minuten.
Sein Kopf dröhnt, niedergeschlagen steigt er in die U-Bahn, fährt nach Hause und vertraut sich seiner besten Freundin an. "Ich war geschockt", erzählt er. "Wie so viele Menschen heute noch hatte auch ich damals ein falsches Bild vor Augen, über HIV und Aids wusste ich im Prinzip gar nichts." Seine Familie informiert er erst später. Deshalb ist er zu lange - aus wie er heute sagt "falscher Rücksicht" - auf sich alleine gestellt.
Heute ein abgeklärter Optimist
Mittlerweile geht er offen damit um. "Angst vor schiefen Blicken habe ich nicht, als schwuler Mann habe ich genug erlebt." Sein Rezept klingt einfach: Wenn man zu sich selbst steht, akzeptieren einen auch andere. Und doch braucht er eine Zeit, bis er sich vom verunsicherten Neu-Infizierten zum abgeklärten Optimisten entwickelt.
Abgesehen von der täglichen Tablette, die seinen Virus an der Ausbreitung hindert, und dem medizinischen Großcheck alle vier Monate, spielt HIV körperlich gesehen meist nur eine Nebenrolle in seinem Leben. Seit Jahren ist er wieder in einer festen Beziehung, sein Freund ist negativ. Ein Problem? "Nein. Ich bin ja therapiert, es kann also nichts passieren. Theoretisch könnte ich sogar literweise Blut spenden."
Das Wissen über HIV und Aids ist lückenhaft, die Tabuisierung seit dem Aufkommen in den späten 1980ern wirkt nach. Das weiß Süß aus eigener Erfahrung. Obwohl vor allem homo- und bisexuelle Männer den Fallzahlen nach sehr häufig betroffen sind, reden sie nicht zwangsläufig öfter darüber. Es ist kein Thema. Dabei kann es Leben retten, die falsche Scham abzulegen.