Klinikum Nürnberg warnt vor mehr Magersucht seit Corona: Lea (16) kämpft sich Gramm für Gramm zurück ins Leben
Autor: Redaktion, Agentur dpa
Nürnberg, Montag, 11. April 2022
An Magersucht erkranken vor allem Mädchen in der Pubertät. Während der Corona-Krise ist die Zahl der Fälle gestiegen. Und Fachleute sehen noch einen weiteren besorgniserregenden Trend.
Zehn Kilogramm hat Lea (Name geändert) in den vergangenen Monaten zugenommen. Ein täglicher Kampf - auch emotional. Noch immer ist die große 16-Jährige dünn. Doch wenn sie in den Spiegel schaut, sie sieht etwas ganz anderes. "Weil man ein gestörtes Wahrnehmungsbild hat, hält man sich für doppelt so breit", erzählt sie. Eigentlich habe sie sich noch nie wohl in ihrem Körper gefühlt. Und irgendwann habe sie dann heimlich immer weniger gegessen.
20 Kilogramm hatte Lea am Ende abgenommen, als sie auf die psychosomatische Station für Kinder und Jugendliche am Klinikum in Nürnberg kam. Diese hat seit Beginn der Corona-Krise zunehmend mit magersüchtigen Patientinnen wie Lea zu tun. "Es sind eineinhalb bis zweimal so viele wie vor der Pandemie", sagt Chefarzt Patrick Nonell.
Magersucht-Patientinnen werden jünger
Eine ähnliche Entwicklung sieht der Bundesfachverband Essstörungen überall im Land. "Dadurch, dass die Zahlen so zugenommen haben, fehlen Therapieplätze", sagt der Verbandsvorsitzende Andreas Schnebel, der auch die Beratungsstelle Anad in München leitet. "Auch in den stationären Einrichtungen wird es eng." Und er sieht noch eine andere Entwicklung: Die Patientinnen werden jünger.
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Dass seit Corona mehr Jugendliche mit einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie behandelt werden müssen, bestätigen auch die Auswertungen von Krankenkassen unter ihren Versicherten. Demnach stellt die DAK-Gesundheit für 2020 eine Zunahme bei den Krankenhaus-Behandlungen wegen Essstörungen von 9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fest, unter den 15- bis 17-Jährigen sind es sogar 13 Prozent mehr.
Die KKH kommt nach eigenen Angaben auf ein überproportionales Plus von rund 7 Prozent bei den 13- bis 18-Jährigen.
Was löst Magersucht bei jungen Mädchen aus?
Eine gesicherte Erklärung haben die Fachleute dafür nicht, nur eine Vermutung, die auch der Nürnberger Spezialist Nonell teilt. Gerade Mädchen, die an Magersucht erkrankten, könnten Stress oft nicht so gut verarbeiten, sagt er. In der Pandemie litten sie besonders stark unter der Verunsicherung und der Sorge, die Kontrolle zu verlieren. "Ihr Essverhalten zu kontrollieren, ist eine Form Bewältigungsstrategie, um wieder mehr Kontrolle zu bekommen."
Hilfe bei Magersucht & Bulimie: Essstörungen erkennen und verstehenWas genau ihre Magersucht ausgelöst hat, kann Lea heute nicht mehr genau sagen. Während der Lockdown-Zeiten sei sie viel alleine zu Hause gewesen, weil ihre Mutter und ihr Stiefvater weiter arbeiten gingen. "Das hat es mir auf jeden Fall leichter gemacht, es zu verbergen", sagt sie. Sie habe sehr ungeregelmäßig gegessen, Mahlzeiten ausgelassen oder sich nach Fressattacken übergeben.