Druckartikel: Helene Fischer in Nürnberg - Fee im Schlager-Zauberwald

Helene Fischer in Nürnberg - Fee im Schlager-Zauberwald


Autor: Jochen Nützel

Nürnberg, Freitag, 26. Juni 2015

Kollektiver Taumel im Nürnberger Stadion: Helene Fischer fährt auf ihrer "Farbenspiel"-Tour die großen Showgeschütze auf. Stimmlich ist sie überragend.
Foto: Matthias Merz


Gibt es etwas, was diese Frau nicht hinbekommt? Jetzt kann sie auch noch das rollende R, jenen fränkischen Zungen-Guttural-Laut, an dem Künstler ohne jedweder dialektaler Sprachfärbung lebenslang scheitern. "Einen schönen guten Abend, Frrrangnland!" Ein erster Satz, eine erste Ansage. Damit hat sie das Nürnberger Grundig-Stadion am Donnerstag im Sturm genommen. Club-Schals mit dem Slogan "Ich bereue diese Liebe nicht" werden in die Höhe gereckt. Der Spruch passt auch bei Helene Fischer.

Die kollektive Rauschwirkung an der Ausnahmeerscheinung tritt gleich mit den ersten Tönen von "Das ist unser Tag" ein. Den Auftakt bekommen übrigens eine ganze Menge Konzertbesucher nicht mit: Aufgrund der mit "aufreibend" nur äußerst unzureichend umschriebenen Zufahrtsituation zum Spielgelände strömen zum vierten Song noch zahlreiche Fans durch die Einlässe.

Da hat sich die 30-Jährige auf der Bühne bereits ihres goldgelben Umhangs entledigt und schreitet rampengreifend und mit güldenen Stiefeln den ihr Ergebenen entgegen.

Der Bühnenboden allein, der ist ihr nicht genug. Dann hebt Helene Fischer kurz mal ab. In vielen Belangen ist sie Überfliegerin - wie ließe sich das eindrücklicher visualisieren als mit einem Flug über die Fans? "Von hier bis unendlich" liefert die textliche Blaupause für die ansonsten Bodenständige. Aber für diese Minuten Freiheit an einem Trapez in der Luft über dem Grundig-Stadion, in 20 Metern über den Köpfen von fast 40 000 ihrer Anhänger, zollen ihre alle Respekt, denn das zeugt von ganz wenig ganz realer Höhenangst.


Nicht ohne "Atemlos"
In Metern ausgedrückt ist es klar der Höhe-Punkt von zweieinhalb Stunden Helene-Fischer-Show. Aber eben nicht in gefühlten Hype-Distanzen. Denn da ist ja noch dieses Lied, dieser eine Song, auf den die Nation offenbar wartet wie auf das Amen in der Kirche zur blonden Glückseligkeit. Die 30-Jährige trägt dazu eine, man möchte fast spöttisch sagen Glitzer-Jogginghose (aber keine Sorge, das wird noch trendy); unter ihr bauchfreies weißes Top fährt die Luft aus den Windmaschinen, vermengt mit den Beifallsbekundungen im weiten Rund.

So muss er aussehen: der neue Saturday-Night-Fever-Look, und die Sängerin kredenzt dazu gleich selber den Dancefloor-Hit: "Atemlos" hat Hymnen-Status. Der Text, gepresst aus den 40 000 Kehlen, der Rhythmus mitgegroovt in Tausenden Hüften. Disco-Fox anno 2015. Männer in Krachledernen und aus dem gleichen Baujahrholz geschnitzt wie Helene Fischer, schwofen dazu in Macho-Pose; Mittsechziger wippen zur Melodei, andere - sichtlich weniger taktfest - trippeln. Lebensgefühle drücken sich vor dem Hintergrund individueller Biografien höchst unterschiedlich aus. Egal: "Atemlos" führt sie alle zusammen. Ein Geniestreich.

Der Bombast drum herum, sprich die Bühnenshow mit Feuerbällen, grünen Luftschlangen und Lichtgewittern, bewegt sich für deutsche Verhältnisse auf hohem internationalem Standard. Die Riesen-Lichtwände nehmen mit auf die Fahrt durch animierte Häuserschluchten, der zinnoberrote Sonnenuntergang dockt bei der Romantik an. Überhaupt umweht die gute Fee Helene in vielen Momenten diese Aura des Zauberwalds. Mal taucht sie aus einer Lotusblüte auf, dann wieder nutzt sie als Fantasiegestalt in Silberweiß den Seitenast des dominanten Bühnen-Baumes als Catwalk, auf dem die Künstlerin dahinschwebt. Elfengleich dazu die Stimme, die nie wackelt, nie abbricht, mag sich Helene Fischer tänzerisch noch so toll verbiegen.


Von Maffay bis Marius
Krumm nimmt es ihr keiner, wenn sie mal ins fremde Musikarchiv unserer Zeit greift. Zu Marius Müller-Westernhagens "Sexy" räkelt sie sich im Jeans-anzug auf einem Kussmund-Sofa. Sie lässt Peter Maffays Tabaluga-Schildkröte "Nessaja" aufsteigen und reanimiert sogar Grönemeyers "Männer". Tina Turner "You're simply the best" mag Helene Fischer nicht als Eigenlob auf sich beziehen, sondern verschenkt die Wertschätzung an die Fans. Und rollt dabei wieder: "Nürnbärrrrch, ihr seid der Wahnsinn!"