Druckartikel: Erster Deutschtürke im Landtag fordert Integrationsgesetz

Erster Deutschtürke im Landtag fordert Integrationsgesetz


Autor: Nikolas Pelke

Nürnberg, Montag, 08. Sept. 2014

Als erster Kandidat mit türkischen Wurzeln hat Arif Tasdelen vor einem Jahr den Einzug in den Bayerischen Landtag geschafft. Nun will der 40-jährige Nürnberger als integrationspolitischer Sprecher der SPD dem Land ein Integrationsgesetz "schenken".
Als erster Kandidat mit türkischen Wurzeln hat Arif Tasdelen vor einem Jahr den Einzug in den Bayerischen Landtag geschafft.  Foto: Nikolas Pelke


Das Gefühl fremd zu sein, kennt Arif Tasdelen gut. Superfremd hat er sich gefühlt, als ihn der Papa mit acht Jahren nach Franken holt. 30 Jahre später ist er bekannt wie ein bunter Hund. Er braucht sich nur in ein Café in Nürnberg zu setzen. Schnell erkennen ihn Menschen aller Couleur und sagen freundlich Hallo. Wenn die Leute ihn erkennen, strahlt er noch mehr als sonst. "Das sind alles meine Wähler", sagt er dann und schnippt mit den Fingern.

Das mit dem Schnippen macht er oft, wenn ein Satz besonders zünden soll. "Die Wähler sind mein Kapital. Ohne ihre Probleme wäre ich aufgeschmissen." Das meint er ganz wörtlich. Und die Wähler nehmen ihn beim Wort. Ständig klingelt sein Telefon. Meistens wechselt er dann schnell in seine Muttersprache. Am anderen Ende der Leitung hört er oft immer die gleichen Probleme, die das Fremdsein in Deutschland mit sich bringen. Die Menschen können sich zwischen Berlin und dem Bosporus nicht frei bewegen. Das macht das Leben zwischen der alten und der neuen Heimat kompliziert.

Nach dem Zuhören greift der Mann mit dem blütenweißen Hemd und dem akzentfreien Deutsch wieder zum Hörer und ruft bei Ämtern und Behörden an. "Heute bekomme ich immer sofort einen Rückruf." Das war nicht immer so.

Hilflos und ausgeliefert

Er erinnert sich noch gut an die Zeit, als er als kleiner Junge für seine Eltern bei Behördengängen den Dolmetscher spielen musste. "Ich hatte immer einen Horror vor diesem Gang zum Ausländeramt." Die Eltern so hilflos, so ausgeliefert zu sehen, das sei für ihn das Schlimmste gewesen. Wenn die Eltern zittern vor Angst, aus Furcht abgeschoben zu werden. Mit nichts gehen und ohne nichts zurückkehren, das sei schließlich der Alptraum für alle Einwanderer.

Der Vater stammt aus Mardin, dem entlegenen Südosten der Türkei. Mit Provinz ist dieser Landstrich nahe der syrischen Grenze noch harmlos umschrieben. In den 70ern findet er Arbeit in Bayreuth. Auf Deutschkenntnisse pfeift der Arbeitgeber. In der Fertiggaragen-Branche sind andere Qualifikationen gefragt. Der Vater muss gut und schnell schuften. Die Frau, Arif und die sechs Geschwister darf der Vater erst in den 80er Jahren nach Franken holen.

Fortan lebt Arif in zwei Welten. Deutschland ist draußen, daheim ist die Türkei. Die Eltern sind praktisch Analphabeten. Nur der Vater hat beim türkischen Militär das Lesen und Schreiben gelernt. Der kleine Arif schlägt sich durch in der Schule.

Heute arbeitet er daran, dass man den schulischen Erfolg der Kinder nicht alleine den Eltern überlässt. Letztendlich sei nicht die Herkunft sondern der soziale Status der Eltern für die Bildungschancen verantwortlich, findet er. "Im noblen Stadtteil Erlenstegen gehen 70 Prozent der Kinder auf das Gymnasium. Im Süden der Stadt mit seinem hohen Migrationsanteil schaffen nur 20 Prozent der Schüler den Sprung auf weiterführende Schulen." Tasdelen will sich deshalb für den Ausbau von Ganztagsschulen einsetzen, damit sich daran etwas ändert.
Tasdelen selbst macht nach der Schule eine Ausbildung, vermittelt erst Jobs beim Arbeitsamt und kämpft später gegen Schwarzarbeit beim Zoll. Man könnte meinen, die türkische Muttersprache habe ihm bei dem Job geholfen. Das Gegenteil sei der Fall gewesen.

"Ich durfte nicht Türkisch sprechen im Amt." Auch wenn es die Kommunikation erleichtert hätte. "Pervers" nennt Tasdelen solche Vorschriften, mit denen sich "Ausländer" noch weniger willkommen fühlen. Auch deshalb setzt er sich als Betriebsrat für Kollegen ein und schafft später mit Hilfe der SPD den Einzug in den Nürnberger Stadtrat. 2013 will er ausgerechnet im Nürnberger Norden, wo nur relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund leben, den Sprung in den Landtag schaffen. Selbst seine Partei findet das mutig.

Am Ende schafft er die Sensation und als erster Politiker mit ausländischen Wurzeln den Einzug ins Maximilianeum. "In der Türkei hätte ich das niemals geschafft. Politiker wird man dort nur mit einem ganz großen Geldbeutel."

Seitdem will er die "Willkommenskultur" in Bayern verbessern. Genauso will er die Menschen mit Migrationshintergrund in die Pflicht nehmen. Damit die "Ausländer" nicht mehr die eigene "Faulheit" auf die mangelnde Willkommenskultur schieben könnten. Weil er findet, dass die gesamte Gesellschaft von einer besseren Integration profitieren würde, entwirft Tasdelen derzeit ein Integrationsgesetz für Bayern. "Ich finde, dass Land muss sich stärker für die Integration einsetzen. Momentan werden die Städte damit alleine gelassen." Und die Kommunen betrieben Integration nach Kassenlage.

Sein politisches Ziel? Seine Tochter soll es später einmal besser haben. "Sie soll sich wie ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft und nicht wie eine Ausländerin in ihrem eigenen Heimatland fühlen müssen", sagt Tasdelen und schnippt abschließend noch einmal mit den Fingern.