Die kleinen Wunder eines Schreibenden
Autor: Redaktion
Nürnberg, Samstag, 19. August 2017
Elmar Tannert hat in seinem neuen Roman "Ein Satz an Herrn Müller" nur ganz am Ende einen Punkt gemacht. Warum?
E s scheint konsequent, sich im Nürnberger "Kulturgarten" mit einem Autor zu treffen, der einerseits Literaturpreise für seine Romane und Erzählungen erhält, es andererseits aber nicht verschmäht, seine Liebe zum Bier in kenntnisreichen Führern weiterzugeben.
Herr Tannert, "Ein Satz an Herrn Müller" - ist das der ironische Versuch, etwas in einen Satz zu pressen, was sich so nicht beschreiben lässt: ein ganzes Leben?
Tannert: Ironie? Nein, ich bin eigentlich erstaunt, dass so viel Aufhebens von diesem einen Satz gemacht wird. Ich bin kein Freund von Büchern, die im Grunde Kino nacherzählen, mit Sätzen wie: Er öffnete die Tür und trat ein. So was zu schreiben langweilt mich als Autor. Ich habe nach einer anderen Möglichkeit gesucht, einer intimen Stimme. Außerdem hab ich ja auch ein wenig geschwindelt, was die Punktlosigkeit angeht.
Stimmt. Oft steht ein Komma, wo auch ein Punkt hätte sein können. Das Buch hat einen klaren, übersichtlichen Rhythmus. Sehr lesbar. Man gerät sofort hinein.
Ein Sog, ja das war es, was mir vorschwebte.
Und wie ist es mit dem Leben? Da erzählt ja ein Schriftsteller, der Ihnen sehr ähnelt. Er hat eine enge Verbindung zu Pilsen, wie Sie. Fährt dasselbe Auto.
Ich finde es immer sehr uncharmant, einem Text von der biografischen Seite zu Leibe zu rücken.
Weil das Buch im Kern eine Liebesgeschichte ist?
Also, den Herrn Müller etwa gab es wirklich. Ein verstorbener Freund. Mit dem ich manchmal im Kopf noch Gespräche führe.
Ich dachte, gerade der Herr Müller sei eine Erfindung, um von einem Thema zum nächsten zu kommen. So wie Sie von Ihrer Kindheitsangst vor Badewannen auf das ideale Bad - ohne Wanne - und auf das Thema Frauen zu sprechen kommen, die nixenhaft erscheinen und prompt davonschwimmen.
Ja, das ist mir beim Schreiben auch aufgefallen, dass der Themenwechsel auf diese Weise gut funktioniert. Und es gibt ja viele Themen, die zur Sprache kommen.
Ein ganz großes ist die Kunst. Sie schreiben, wenn Gott den Menschen nach seinem Bild erschuf, dann hat Gott, der selbst ein Schöpfer ist, den Mensch als ebensolchen geformt.
Bei jedem Kind kann man das sehen. Mancher Erwachsene hat sie immer noch, die Freude am Erschaffen. In unserer Arbeitswelt mit Fließband und Dienstleistungsgedanken wird sie ihm aber ausgetrieben. Im Handwerk kann man sie noch finden: Die Liebe zu etwas, was man mit den Händen geschaffen hat.
Sehen Sie Ihr Schreiben so, als Handwerksstück? Mir kommt die Szene in dem Gasthaus in Pilsen in den Sinn, wo Sie die Speisekarte für den Wirt aus dem Tschechische ins Deutsche übersetzt haben und dafür ein Aufenthaltsrecht bekamen...
Ja, Zimmer, freien Zugang zur Gaststube. Wunderbar für jemanden wie mich, der seine Werke nicht im abgeschlossenen Arbeitszimmer verfasst, sondern überwiegend in Kaffeehäusern und Gaststätten, inmitten der Menschen.
War das also ein Tausch Handwerk gegen Handwerk, geschriebenes Wort gegen gut gebrautes Bier?
Ich sehe es eher so, dass, wenn man schreibt, kleine Wunder geschehen können. Sie hocken da in einer fremden Gaststube, umgeben von einer fremden Sprache, kritzeln vor sich hin. Und auf einmal fragt jemand, was man da tut, man kommt ins Gespräch, entdeckt Orte, an die man sonst nie gekommen wäre. Findet Freunde.
Muss man sich den Künstler also als glücklicheren Menschen vorstellen? Ich denke da an die Liebesgeschichte, die ja gar nicht gut ausgeht.
Mir kommt da eher der eine Maler in den Sinn, von dem ich erzähle, Wahnschaffe. Er hat die unglaubliche Begabung, auf kleinen Formaten mit wenigen Strichen ganze Welten zu erschaffen. Ich habe oft dabei zugesehen, wenn wir gemeinsam in einem Lokal saßen und er plötzlich zu zeichnen anfing, genial. Trotzdem ist er ein Mensch, der mit den einfachsten Anforderungen des Lebens nicht klarkommt.
Er ist ein Messie und ernährt sich von Kartoffelchips.
Genau. Er kann beinahe prophetische Bilder verfassen, aber unter den Anforderungen eines Umzuges bricht er zusammen.
Der Erzähler bekennt, dass seine Lieben alle scheitern.
Gelingen, scheitern, das sind wertende Begriffe, darum geht es nicht.
Sondern darum, dass wir an den Ohrfeigen wachsen, die das Leben uns versetzt? Steht in Ihrem Buch.
Um das Leben, ja. Um die Prägungen, denen wir nicht entkommen, vielleicht. Das ist ja der große Vorzug der Kunst, dass sie forscht und nachdenkt, wie wir uns hier quälen und bemühen.
Wir quälen uns herum mit unserem - und ich zitiere aus Ihrem Buch "... Ausgesetztsein an das Leben, dem Ausgeliefertsein an sich selbst, der Lust und dem Schmerz".
Ist das nicht wichtiger als die Frage, ob wir auf einer Scheibe oder einer Kugel leben?
Die Wissenschaft und ich, wir stellen die falschen Fragen. Ich versuche es mal unverfänglich: Herr Tannert, wie geht es Ihnen gerade?
Gut, ich schwinge vom Schul- in den Ferienmodus ein, mache viel Musik.
Sie unterrichten Flüchtlinge in der deutschen Sprache.
Ja. Und ich stelle zu meiner eigenen Überraschung fest, dass diese Tätigkeit mir große Freude bereitet.
Wenn man Ihre Facebook-Seite betrachtet, erfahren Sie große Wertschätzung von Ihren Schülern. Darum geht es in Ihrem Roman ja auch. Zum Beispiel gibt es da eine Vermieterin, die den Erzähler gar nicht wertschätzt. Er steht spät auf und treibt sich viel in Kneipen herum.
Die Wertschätzung ist in unserer Gesellschaft ja generell völlig falsch verteilt. Menschen, die Millionen verdienen dafür, dass sie einen Ball treten oder ein Auto schnell fahren können, sind doch im Grunde eine Ohrfeige für jeden, der montags zur Arbeit geht.
Herr Tannert, ich muss Sie noch nach Nürnberg fragen. Sie sind in der Südstadt aufgewachsen und leben immer noch da. Ihre Bücher vermessen alle, jedes auf seine Weise, diese Stadt.
Wenn mich nicht gerade jemand darauf anspricht, merke ich das gar nicht. Ich habe dort in so vielen verschiedenen Rollen gelebt, dass es beinahe verschiedene Leben waren. Gut, dass wenigstens die Kulisse gleich blieb dabei.
Eine notwendige Klammer also, keine Liebesgeschichte? Dabei wird Nürnberg bei Ihnen zu einem geradezu mythischen Raum!
Sehen Sie, wenn man die Dinge autobiografisch zu erklären versucht, werden Sie uncharmant.
INFO: Elmar Tannert live erleben - das geht beim Poetenfest in Erlangen. Am Sonntag, 27. August, liest er ab 15 Uhr aus "Ein Satz an Herrn Müller".
Elmar Tannert
Tannert, Jahrgang 1964, wuchs in Nürnberg auf, wo er bis heute lebt. Er hat eine kaufmännische Ausbildung, studierte eine Weile Musikwissenschaft und Romanistik und arbeitete in den unterschiedlichsten Berufen, etwa als Lagerist, Buchhändler, Deutschlehrer und freier Journalist für den BR. Doch es zog ihn immer zum Schreiben.
Seine Erfahrungen als Nacht-Tankwart verarbeitete er in dem Erzählungsband "Keine Nacht, kein Ort", die Zeit als Briefträger in "Ausgeliefert. Roman der numerierten Welt". Zusammen mit der Schriftstellerin und Journalistin Petra Nacke verfasste er die Krimis "Rache, Engel!" und "Blaulicht" sowie den Dokumentarroman "Der Mittagsmörder". Seit 2015 hat er mehrere Bücher über Bier geschrieben.
Tannert übersetzt zudem aus dem Französischen, gibt Kinderbücher heraus und macht Musik in der Formation "König Schmierstoff".
Infos: www.elmar-tannert.de