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Frauenkirche in Nürnberg: Was hat es mit dem Männleinlaufen auf sich?


Autor: Marion Krüger-Hundrup

Nürnberg, Freitag, 17. Juni 2016

Vor 200 Jahren erhielten die katholischen Christen in Nürnberg die Frauenkirche. Sie ist Magnet für Touristen und Einheimische.
König Karl IV. ließ die Frauenkirche anstelle der Synagoge errichten, die im Pogrom 1349 niedergerissen wurde. Fotos: Krüger-Hundrup


Drei Minuten vor zwölf Uhr mittags. Etwa 50 Japaner lauern vor der Frauenkirche am Hauptmarkt in Nürnberg. Sie richten ihre Handy-Kameras schon einmal zur Kunstuhr am Giebel der Kirche aus: Das "Männleinlaufen" startet gleich, eine der Touristenattraktionen der Frankenmetropole schlechthin. Dutzende Menschen aller Nationen bauen sich ebenfalls wartend auf. Und dann - Punkt zwölf - ertönen die Glockenschläge, Herolde und Trommler - Minifiguren, von unten aus betrachtet - künden die Männer an: Sieben Kurfürsten, die drei Mal den thronenden Kaiser umkreisen.

Das Schauspiel erinnert an die 1356 von Kaiser Karl IV. erlassene "Goldene Bulle". Darin wurde festgelegt, dass ausschließlich sieben Kurfürsten den deutschen König wählen können, der seinen ersten Reichstag in Nürnberg abzuhalten hatte.

Ungerührt ob des Trubels vor der Frauenkirche wacht Reinhard Roth mit dem Rücken zum Schauplatz über Paprika, Ananas und fränkische Erdbeeren. Der Obst- und Gemüsehändler aus Schlaifhausen bei Wiesenthau verkauft schon seit 30 Jahren seine Ware auf dem Hauptmarkt: "Das Männleinlaufen schaue ich mir nicht mehr an", stöhnt er fast auf. Obwohl es jeden Mittag vor seinem Stand so voll ist. Und sich etliche aufmachen, in diese markante Frauenkirche einzutreten.

Ob jeder weiß, dass diese Kirche "Unsere Liebe Frau" eine Kirche ist? "Oh, what a nice museum!", ruft eine Amerikanerin aus. "Ein schicker Raum!", tönt es von einer Deutschsprachigen. Doch die Frauenkirche ist nicht nur ein kunsthistorisches Kleinod der Spätgotik im Herzen der Nürnberger Altstadt. Sie ist mehr als der Balkon, von dem jedes Jahr im Advent das Christkind den weltberühmten "Christkindlesmarkt" eröffnet. Die Frauenkirche lädt in der Betriebsamkeit der Innenstadt zum Innehalten ein: in "heimeliger Atmosphäre", wie Markus Bolowich sagt.

Er ist Pfarrer der "Katholischen Innenstadtkirche Nürnberg", so der offizielle Name der Pfarreien Unsere Liebe Frau und St. Elisabeth mit der Kirche St. Klara am Königstor. Rund 8 500 katholische Christen bilden diesen Seelsorgebereich unter 35 000 Anders- oder Nichtgläubigen. Nun gut, der Nürnberger katholischen Christenheit ist eine Diaspora-Situation bestens vertraut.1525 wurde in Nürnberg die Reformation eingeführt, die Frauenkirche evangelisch und durch Einziehen von Emporen an den Seiten zu einer Predigerkirche umgestaltet.
1806 kam Nürnberg zum neuen Königreich Bayern, und erstmals konnten die Bürger der Stadt ihre Religionszugehörigkeit frei wählen.

Nahezu 300 Jahre nach Einführung der Reformation wurde den katholischen Christen 1816 nun die bis dato evangelische Frauenkirche übergeben. Und zwar in einem erbärmlichen Zustand ohne jede Inneneinrichtung. Aus Beständen säkularisierter Klosterkirchen wurde sie neu ausgestattet - passend für die liturgischen Anforderungen an ein katholisches Gotteshaus.

Nun blickt die Pfarrgemeinde Unsere Liebe Frau auf 200 Jahre zurück, in denen Generationen das katholische Leben der Innenstadt mit ihren Gottesdiensten, Feiern und ihrem sozialen Engagement geprägt haben. Dabei lockt die Frauenkirche Gläubige aus der ganzen Stadt an: "Neun von zehn Gottesdienstbesuchern kommen nicht aus dem Pfarrgebiet", erzählt Pfarrer Bolowich und freut sich über das jugendliche Durchschnittsalter seiner Kirchgänger: 34 Jahre. "Wir kochen auch nur mit Wasser, aber es ist schön, dass die Leute sich hier angenommen fühlen", wehrt der Priester die Frage nach seinem "Geheimrezept für eine volle Kirche" ab.

Dabei steht ihm nur ein kleines Team zur Verfügung, das hauptamtlich das Gemeindeleben am Laufen hält: eine Gemeindereferentin, ein paar pensionierte Geistliche für die Werktagsgottesdienste und der Stadtdekan für die sechs Sonntagsmessen im Seelsorgebereich. Da setzt der Pfarrer auf die Mithilfe der vielen Ehrenamtlichen, die zum Beispiel seit 25 Jahren regelmäßig ein "Obdachlosenfrühstück" ausrichten, zu dem weit über hundert Personen kommen. Oder die sich um Menschen im Kirchenasyl kümmern, das er immer wieder einräumt. Oder auf die 40 Männer und Frauen, die nach entsprechender Schulung Führungen durch die auch kunsthistorisch bemerkenswerte Frauenkirche leisten.

Für Pfarrer Bolowich ist die Frauenkirche zunächst aber ein "durchbeteter Raum seit dem 14. Jahrhundert". 1358 wurde der Bau konsekriert, also geweiht. Als Baumeister wird Peter Parler (um 1330-1399) angenommen, dessen bekanntestes Werk wohl der Prager Veitsdom ist. In ökumenischer Gesinnung sieht der Pfarrer im Gebetsleben der Frauenkirche durch die wechselvollen Jahrhunderte hindurch keinen wahren Bruch. "Vernünftig predigen", ist für den katholischen Pfarrer Bolowich fast protestantisch das Gebot der Stunde. Zumal unter seinem anspruchsvollen "Publikum" Touristen aus aller Welt sind.
Auch außerhalb der Gottesdienstzeiten besuchen viele die Frauenkirche als geistlichen Ort, der offen ist. Die sich vor der Eventfläche Hauptmarkt mit Rockkonzerten, Beachvolleyball oder Glühweinseligkeit zu behaupten weiß: "als Anziehungspunkt für Suchende", sagt Bolowich.
Tatsächlich eröffnet das Innere der Frauenkirche eine transzendente Welt. Tucheraltar, Baldachinfiguren, Strahlenkranzmadonna. Kaiserfenster: Es gibt so viele Blickfänge, Ankerplätze für die Andacht. Genau das streben die Menschen an, die wochentags darin eine Opferkerze entzünden oder still auf den Bänken Platz nehmen. Die fotografierenden Touristen staunen nur.

Die Übergabe der Frauenkirche an die Katholiken und die Gründung der Pfarrgemeinde Unsere Liebe Frau vor 200 Jahren ist im Verlauf der 2 000-jährigen Kirchengeschichte kein großes Jubiläum. Eher ein Anlass zum Innehalten, findet Bolowich. Gleichwohl gab es im April schon eine ökumenische Jubiläumsfeier mit den benachbarten lutherischen, reformierten und altkatholischen Gemeinden. Richtig jubiliert wird nun am Sonntag, 19. Juni. Dann wird Erzbischof Ludwig Schick aus Bamberg herbeieilen, um in der Frauenkirche den Festgottesdienst (10 Uhr) zu feiern und zwei erwachsenen, konvertierten Frauen das Sakrament der Firmung zu spenden.
Was wünscht sich der Pfarrer der Frauenkirche für die nächsten 200 Jahre? Markus Bolowich überlegt nicht lange: "Mein Wunsch ist, dass sie eine offene Kirche bleibt, und dass eine hörende Gemeinde wach ist für die Zeichen der Zeit und für Gottes Stimme." Amen!




INFO:


BOMBEN auf die Kirche

Einen schlimmen Einschnitt erlebte die Frauenkirche mit dem Bombenangriff vom 2. Januar 1945. Nur die Westfassade mit der Vorhalle und dem darüber liegenden Chor sowie die nördliche und südliche Außenmauer und die Sakristei blieben erhalten. Die Kunstwerke waren rechtzeitig in den sogenannten Kunstbunker unterhalb der Burg ausgelagert worden und konnten so gerettet werden. Der Wiederaufbau begann sofort nach Kriegsende. 1953 konnte die Frauenkirche wieder eingeweiht werden.