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Abgetrennte Finger, Herzinfarkt: Wie Ehrenamtliche bei Spielen des FCN helfen


Autor: Christian Pack

Nürnberg, Mittwoch, 10. Dezember 2014

Etwa 100 Ehrenamtliche sind bei jedem Club-Spiel im Stadion. Beim Heimsieg gegen die 1860 München halten sich die Einsätze zwar in Grenzen. Die Ärzte und Sanitäter haben in den vergangenen Jahren aber schon eine Menge erlebt.
Das Stadion im Blick: Einsatzleiter Jürgen Kohl an seinem Arbeitsplatz im Nürnberger Grundig-Stadion. Fotos: Ronald Rinklef


Kuschelig warm ist es in der Einsatzzentrale des Rettungsdienstes im Nürnberger Grundig-Stadion. Die Stimmung in dem knapp zehn Quadratmeter großen Raum ist bestens, zum heißen Filterkaffee haben die Club-Spieler gegen die Münchner Löwen soeben eine 2:0-Führung serviert. "Das heißt noch gar nichts", dämpft Einsatzleiter Jürgen Kohl die Erwartungen. "Als Club-Fan muss man leidensfähig sein."

Kohl arbeitet für das Bayerische Rote Kreuz und ist der Chef der Stadion-Rettungskräfte. Von dem kleinen Büro schräg hinter dem Tor aus koordiniert er per Funk die Einsätze. Knapp 100 Sanitäter sind bei einem Heimspiel des 1. FC Nürnberg durchschnittlich vor Ort, hinzu kommen drei Ärzte. Alle arbeiten ehrenamtlich. Auch Jürgen Kohl. "Wir gehen hier nicht hin, um Geld zu verdienen." Schon eher, um den Club siegen zu sehen. Etwa 80 Prozent der Rettungskräfte, schätzt der Einsatzleiter, sind Fußballfans. Da lohnt sich die Arbeit bei Wind und Wetter doch irgendwie.

Weniger Alkohol

Gegen die Löwen können sich die Helfer im Hintergrund meist entspannt dem Spiel widmen. Bis zum 1:2-Anschlusstreffer in der 27. Minute wird nur ein Einsatz gemeldet. Eine alkoholisierte Person benötigt Hilfe außerhalb des Stadions. "Es gab auch schon Tage, da war gar nichts", sagt Kohl. Das sei auch ein Verdienst der Polizei. "Die sind da knallhart. Wer stark betrunken ist, wird schon vor dem Stadion abgefangen. Und wer sich daneben benimmt, erhält Stadionverbot." Das habe sich rumgesprochen. "Auswärts benehmen sich die Clubfans teilweise richtig übel, zu Hause sind sie brav wie die Lämmer."

Dirk Wisser ist einer der drei Ärzte beim Löwen-Spiel. Der Mediziner, der in Scheßlitz im Landkreis Bamberg arbeitet, hat an diesem Abend wie seine Kollegen nicht allzu viel zu tun. "Bei der Kälte wird weniger getrunken", liefert er eine Begründung. Mit den Händen in den Hosentaschen schlendert er durch das Stadion und plaudert über seinen Beruf. Als er noch in Nürnberg gearbeitet hat, war er öfter hier, erzählt er. Aktuell sind es vier Einsätze pro Jahr.

Wisser findet es faszinierend, dass sich Fans an einem Montagabend bei Minusgraden ins Stadion setzen. Grüßend an einer Gruppe Polizisten vorbeilaufend gibt er augenzwinkernd zu, dass sich sein Fußball-Enthusiasmus eher in Grenzen hält. "Ich picke mir die Rosinen raus. Gegen Heidenheim muss ich nicht unbedingt eingeteilt sein."

Knochenbrüche, abgetrennte Finger, Herzinfarkt: Wenn im Stadion dann doch mal etwas passiert, ist eigentlich alles mit dabei. Vor allem bei brisanten Duellen wie dem am 20. Dezember gegen Greuther Fürth klingeln bei den Rettungskräften die Alarmglocken. "Da gibt es bestimmt ein paar Schlägereien", blickt Wisser voraus.

Weinende Männer

Im Akkord musste der Arzt aber bisher nur einmal arbeiten. Das war beim letzten Saisonspiel des 1. FC Nürnberg gegen Schalke in der Saison 2007/2008. Sang- und klanglos verlor der Club mit 0:2 und stieg aus der 1. Bundesliga ab. "Da saßen Männer auf der Tribüne, haben geweint wie Kinder und hatten plötzlich alle Herzbeschwerden. Ich habe ständig EKGs geschrieben."

So weit kommt es an diesem Montagabend glücklicherweise nicht. Die Club-Spieler sind gnädig. Am Ende retten sie das 2:1 über die Zeit. Durch die Kälte schlurfen die Fans glücklich nach Hause. Auch Jürgen Kohl ist zufrieden. "Nur fünf Einsätze. Eher ruhig heute."

Für den Journalisten erinnert er sich deshalb gerne an einen kuriosen "Einsatz" aus der Vergangenheit. Bei einem Club-Spiel war ein am Spielfeldrand eingeteilter Sanitäter nicht wirklich zufrieden mit der Schiedsrichterleistung. "Er ist dann einfach aufs Spielfeld gelaufen und hat dem Schiri eine Backpfeife gegeben. Das gab dann ein Stadionverbot."

Als Einsatzleiter ist Kohl der Erste, der kommt und der Letzte, der geht. Immerhin kann er sich an diesem Dezemberabend über heißen Kaffee, eine Heizung und die perfekte Aussicht auf das Spielfeld freuen. "Bei manchen Club-Spielen ist das aber auch egal", lacht Kohl.


Hilfsorganisationen

100 Rettungskräfte sind durchschnittlich bei einem Heimspiel des 1. FC Nürnberg im Einsatz. Neben dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) kommen sie vom Arbeiter Samariter Bund, den Johannitern, dem Malteser Hilfsdienst und der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft. Die Arbeitsgemeinschaft der Nürnberger Hilfsorganisationen hat einen Vertrag mit dem Verein abgeschlossen. Pro Spiel gibt es einen Festbetrag von 3700 Euro, der unter den Organisationen aufgeteilt wird.

Jürgen Kohl hat in 20 Jahren beim BRK im Stadion nur drei Tote zu beklagen gehabt. Das ist aus seiner Sicht einfach zu erklären. "Innerhalb von einer Minute müssen wir Erste Hilfe leisten, die Klinik ist drei Minuten entfernt. Eine bessere Überlebens-Prognose als hier kann man nicht haben."