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Mehr Lohn für rund 80 000 in Franken


Autor: Matthias Litzlfelder

Bamberg, Freitag, 19. Dezember 2014

Vom 1. Januar an gilt überall in Deutschland ein Mindestlohn. Von den fränkischen Vollzeit-Beschäftigten lag zuletzt laut DGB ungefähr jeder zwölfte unter der neuen Lohngrenze von 8,50 Euro. Das wird sich jetzt ändern. Aber in einigen Berufen gibt es auch noch Übergangsfristen.


Welche Berufe beim Lohn zuletzt unter der Schwelle von 8,50 Euro pro Stunde lagen, kann in Deutschland niemand abschließend beantworten. "Es ist in diesem Fall schwierig, die Branchen aufzuzählen, denn es gibt keine abschließende Statistik", sagt Dominik Ehrentraut, Pressesprecher im Bundesarbeitsministerium in Berlin. Betroffen seien viele, vor allem im Osten. Laut einer Hochrechnung seines Ministeriums werden ab Januar voraussichtlich 3,7 Millionen Menschen in Deutschland vom Mindestlohn profitieren.

Bei der Agentur für Arbeit hat man auch kein Zahlenmaterial. Die Agentur vermittle Jobs, deren Stellenbeschreibung einen ortsüblichen Lohn vorsehe, sagt Peter Schönfelder, Pressesprecher der Agentur für Arbeit in Schweinfurt. Kontrolliert werde das nicht.

"Was die Parteien dann vereinbaren, ist ungewiss." Die Dunkelziffer ist nach Schönfelders Aussage auch dadurch nicht unerheblich erhöht, weil es eine ganze Menge Arbeitgeber gibt, die auf dem Papier des Arbeitsvertrags zwar den Mindestlohn zahlen, aber anschließend eine erhöhte Stundenzahl einfordern.

"Durch die Einführung eines allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohns werden Arbeitnehmer in Deutschland vor unangemessen niedrigen Löhnen geschützt. Gleichzeitig sorgt er für mehr Stabilität in den sozialen Sicherungssystemen", lautet die Botschaft aus dem Ministerium von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.

Mindestlohn wirkt stark bei Frauen

Lange war über die Einführung eines solchen Mindestlohns in Deutschland diskutiert worden. Außer in den skandinavischen Ländern und in Österreich gibt es ihn bereits in fast allen anderen EU-Ländern.
Auch in Deutschland wurden schon Mindestlöhne eingeführt, bezogen auf einzelne Branchen: erstmals 1997 im Bauhauptgewerbe, seit gut einem Jahr zum Beispiel auch im Friseurhandwerk. Insgesamt sind es 13 Branchen, für die mittels allgemein verbindlicher Tarifverträge eine bestimmte Untergrenze gilt.

Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) werden von den mehr als eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in Franken Vollzeit arbeiten, rund 80 000 vom gesetzlichen Mindestlohn profitieren, weil ihr Lohn bisher unter der Schwelle von 8,50 Euro liegt. In Unterfranken sind es laut DGB 6,8 Prozent der Vollzeitbeschäftigten, in Mittelfranken 7,22 Prozent und in Oberfranken sogar 8,64 Prozent. Damit liegen alle drei fränkischen Bezirke über dem bayernweiten Durchschnitt von 6,6 Prozent. In Bayern könnten laut DGB rund 224 000 Vollzeitbeschäftigte von der neuen Regelung profitieren.

"Dramatisch ist es, wenn man die Geschlechter vergleicht", sagt Marietta Eder, Regionssekretärin des DGB in Oberfranken. So lägen in Oberfranken momentan 4,68 Prozent der Vollzeit arbeitenden Männer unter der Mindestlohngrenze von 8,50 Euro. Bei den Frauen in Vollzeit seien es dagegen 16,93 Prozent. "Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass es tendenziell den Dienstleistungssektor betrifft", sagt Eder. Diese Einschätzung teilt auch Frank Firsching, DGB-Regionsgeschäftsführer in Unterfranken. "Kaum eine Rolle spielt die Mindestlohnregelung im verarbeitenden Gewerbe", berichtet Firsching. In der Industrie werde in der Regel deutlich über dem Mindestlohn gezahlt. Es seien hauptsächlich Dienstleistungen, zum Beispiel im Handel oder in der Gastronomie sowie die Landwirtschaft, wo die Schwelle von 8,50 Euro notwendig geworden sei. Riesengroß ist laut Firsching auch der Anteil der Minijobber, die derzeit weniger als den gesetzlichen Mindestlohn erhalten.

Konsequenz: höhere Preise

"Es ist schwierig zu sagen, wer keinen Mindestlohn zahlt", berichtet der oberfränkische Verdi-Sekretär Dominik Datz. Er nennt als Beispiel die Baur-Versand-Tochter Baur Fulfillment Solutions (BFS). "Bisher zahlten die in der untersten Lohngruppe 7,50 Euro", sagt Datz. Doch auch BFS wolle jetzt nach eigenen Angaben den Mindestlohn einführen. Selbst die großen Discounter und Supermärkte würden inzwischen die 8,50 Euro pro Stunde für ihre Mitarbeiter hinlegen. Tarifgebundene Unternehmen lägen in ihrer Entlohnung sogar zwei bis vier Euro darüber. "Spannend wird sein, wie die Betriebe im neuen Jahr reagieren. Gibt es geringere Stundenvolumen? Oder unbezahlte Überstunden?", fragt sich Datz.

"Die größeren Betriebe kommen damit klar, aber die kleineren sind gefrustet", sagt Ulrich Brandl, Präsident des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Schlimm sei die mit dem Mindestlohn einhergehende neue Dokumentationspflicht. Die genaue Erfassung der Arbeitszeiten sei in der Gastronomie schwer zu bewerkstelligen, da man extrem flexibel arbeiten müsse.

Die Lohnuntergrenze sieht Brandl "mit einem lachenden und einem weinenden Auge". "In München hat keiner ein Problem mit den 8,50 Euro, in Oberfranken schaut es ein wenig anders aus", sagt Brandl. Es werde in manchen Gebieten zu Preisanpassungen von bis zu 30 Prozent kommen müssen, prophezeit Brandl. Doch "wenn es am Ende dazu führt, dass Mitarbeiter gerecht entlohnt werden und Konsumenten zugleich akzeptieren, dass dafür ein höherer Preis nötig ist, dann hat der Mindestlohn auch etwas Gutes".


Wer bekommt ihn?

Alle in Deutschland tätigen Arbeitnehmer über 18 Jahren erhalten den Mindestlohn. Er schafft eine Grenze, die künftig nicht mehr unterschritten werden darf. Auch Beschäftigte aus dem Ausland erhalten ihn, egal ob in einer in- oder ausländischen Firma angestellt, wenn sie in Deutschland arbeiten.


Ist der Mindestlohn etwas völlig Neues?

Nein. Es gibt schon in einzelnen Branchen Tarifverträge mit Mindestlohnregelungen: zum Beispiel im Bauhauptgewerbe, bei den Gebäudereinigern oder in der Abfallwirtschaft. Auch in der Zeitarbeitsbranche gilt bereits ein Mindestlohn. Bisher haben in Deutschland rund vier Millionen Menschen in 13 Branchen davon profitiert. Künftig gilt der Mindestlohn per Gesetz und flächendeckend.


Was ist mit Minijobbern?


Was ist mit Minijobbern?Auch geringfügig Beschäftigte (bis zu 450 Euro im Monat) haben Anspruch auf 8,50 Euro pro Stunde, denn der Mindestlohn gilt unabhängig von Arbeitszeit oder Umfang der Beschäftigung. Minijobber dürfen also in Zukunft maximal 52 Stunden im Monat arbeiten. Wenn sie länger arbeiten, wird die Beschäftigung sozialversicherungspflichtig.


Erhält jetzt jeder ab 1. Januar mindestens 8,50 Euro pro Stunde?


Erhält jetzt jeder ab 1. Januar mindestens 8,50 Euro pro Stunde?Nein. Laut Gesetz gibt es eine dreijährige Übergangszeit, in der Abweichungen nach unten erlaubt sind. Dies erfolgt dann per Tarifvertrag auf der Grundlage des Arbeitnehmer-Entsende- und des Arbeitnehmer-Überlassungsgesetzes. Solche allgemein verbindlichen Tarifverträge, die zunächst von den 8,50 Euro nach unten abweichen, gibt es zum Beispiel bei Friseuren oder in der Fleischindustrie. Bei Langzeitarbeitslosen, die seit mindestens einem Jahr bei der Agentur für Arbeit gemeldet sind, kann der Arbeitgeber in den ersten sechs Monaten nach Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt vom Mindestlohn abweichen. Das soll die Rückkehr in den Job erleichtern.


Muss der Vorsitzende eines Vereins künftig auch den Mindestlohn bekommen?


Nein, solange es sich um eine echte ehrenamtliche Tätigkeit handelt. Unter einem Ehrenamt ist in der Regel ein freiwilliges öffentliches Amt zu verstehen, das nicht auf Entgelt ausgerichtet ist, sondern von dem Willen geprägt ist, sich für das Gemeinwohl einzusetzen. Ein Vereinsvorsitzender erhält auch keinen Lohn, sondern allenfalls eine Aufwandsentschädigung.


Ich mache demnächst ein Praktikum. Müssen mir die 8,50 Euro gezahlt werden?


Ich mache demnächst ein Praktikum. Müssen mir die 8,50 Euro gezahlt werden?Grundsätzlich ja. Ausgenommen sind sogenannte Pflichtpraktika (Schule, Ausbildungsordnung, Hochschule), ebenso freiwillige Orientierungspraktika (vor Ausbildung oder Studium), die nicht länger als drei Monate dauern. Der Mindestlohn gilt aber für alle freiwilligen Praktika, die nach Studium oder Berufsausbildung geleistet werden. Auszubildende fallen nicht unter das Mindestlohngesetz. Sie werden weiterhin gemäß Berufsbildungsgesetz entlohnt.


Was ist mit Zeitungszustellern oder Saisonarbeitern in der Landwirtschaft?


Bei Zeitungszustellern sieht das Gesetz eine stufenweise Einführung des Mindestlohns vor. Ab 2017 haben aber auch sie Anspruch auf mindestens 8,50 Euro pro Stunde. Die Ausnahme bis 2017 gilt allerdings nicht, wenn der Zeitungsbote mit dem Hauptprodukt Zeitung auch Werbeprospekte oder Briefe austrägt. Insofern erhalten die meisten Austräger schon ab Januar Mindestlohn. Bei Saisonkräften in der Landwirtschaft gelten zwar die 8,50 Euro. Um der Branche die Einführung zu erleichtern, wird die Möglichkeit der kurzfristigen sozialabgabenfreien Beschäftigung aber von 50 auf 70 Tage ausgedehnt.


Bleiben die 8,50 Euro jetzt dauerhaft oder wird diese Grenze auch mal erhöht?

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Bleiben die 8,50 Euro jetzt dauerhaft oder wird diese Grenze auch mal erhöht?Wie hoch der gesetzliche Mindestlohn ab 2018 sein soll, darüber berät dann alle zwei Jahre die Mindestlohnkommission. Sie besteht aus einem Vorsitzenden und sechs stimmberechtigten sowie zwei beratenden Mitgliedern. Die Mitglieder der Kommission werden von den Tarifpartnern benannt und dann von der Bundesregierung berufen. zl