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Wie Firmen im Kreis Lichtenfels mit dem Mindestlohngesetz hadern


Autor: Anja Greiner

Lichtenfels, Dienstag, 24. März 2015

Seit dem 1. Januar müssen Unternehmen die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter genau dokumentieren. Die Firmen ächzen unisono: der Mehraufwand sei enorm. Die Gewerkschaft vermutet hinter dem Klagen ein ganz anderes Motiv.
Das Abheften der Stundenzettel seiner Mitarbeiter ist für Kreishandwerksmeister Mathias Söllner nicht unbedingt das Problem.  Foto: Anja Greiner


Die Gäste rausschmeißen, das ist keine Option. Angenommen, eine Hochzeitsfeier im Kurhotel an der Obermain-Therme beginnt um 14 Uhr. Dann wäre für das Personal spätestens um 23 Uhr Schluss, wenn die Mitarbeiter inklusive Aufbauen und Aufräumen nicht mehr als zehn Stunden arbeiten dürfen - so schreibt es das Arbeitszeitgesetz vor.

Seit dem 1. Januar gilt das Mindestlohngesetz und mit ihm die Dokumentationspflicht, die die Einhaltung eines Stundenlohns von 8,50 Euro gewährleisten soll.

"Wir schaffen die zehn Stunden nicht", sagt Andreas Poth, Geschäftsleiter des Kurhotels an der Obermain-Therme. Für eine zweite Schicht bei Banketten oder Familienfeiern fehle ihm neben dem Tagesbetrieb das Personal, von zusätzlichen Fachkräften ganz zu schweigen.



Vier Stunden Mehraufwand pro Tag

Es gehe nicht darum, die Mitarbeiter über 40 Stunden die Woche arbeiten zu lassen, sagt Poth. Aber es müsse möglich sein, auch mal mehr als zehn Stunden am Tag zu arbeiten - mit anschließendem Ausgleich. Zwei Veranstaltungen musste er bereits absagen. Nicht die einzige Veränderung, herbeigeführt durch das Mindestlohngesetz.

Aus der Teilzeitstelle im Lohnbüro ist nun eine Vollzeitstelle geworden. Die Aufzeichnung selbst ist nicht das Problem, auch vorher wurden schon Stunden aufgezeichnet, wenn auch nur die Mehrarbeit. Jetzt muss jeder eingehende Stundenzettel überprüft werden. Vergisst der Barmann nachts seine Stunden einzutragen, muss das Lohnbüro ihm nachtelefonieren. 80 Mitarbeiter hat das Kurhotel, vier Stunden betrage der Mehraufwand pro Tag.

Poth plädiert für mehr Flexibilität in den Arbeitszeiten. Für die Gastronomie sei das schlicht überlebenswichtig.
Grundsätzlich gilt: Unternehmen im Baugewerbe, in der Gastronomie, dem Speditionsgewerbe, dem Messebau oder der Fleischwirtschaft haben Aufzeichnungspflichten - alles Branchen, die in der Vergangenheit häufig durch Schwarzarbeit aufgefallen sind.

Unabhängig von der Branche müssen Unternehmen alle geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse dokumentieren.

Aufgezeichnet werden müssen Beginn und Ende der Arbeitszeit. Wo da ein Problem liegen soll, versteht Mathias Eckardt, Regionalvorstand des DGB, nicht.

Jeder Arbeitnehmer schreibe doch schon immer seine Stunden auf, gerade in den Handwerksbetrieben. Laut Gesetz ist zwar der Arbeitgeber zur Aufzeichnung verpflichtet, er kann dies aber delegieren. Entweder an Dritte oder eben an den Arbeitnehmer.

Ein Monster heraufbeschworen

In einer Frist von sieben Tagen muss der Zettel im Lohnbüro sein - genügend Zeit, findet Eckardt. Das Einheften der Zettel könne man nun schwerlich als Bürokratiemonster bezeichnen.

Für Eckardt sind die Beschwerden der Unternehmen kein Ausdruck von Überforderung. Verstöße, sagt er, sind jetzt das erste Mal strafbar. Davor hätten die Unternehmer Angst. Bis zu 500 000 Euro können fällig werden, wenn 8,50 Euro in der Stunde unterschritten werden.

Wolfgang Schubert-Raab ist Obermeister der Bau-Innung und als Geschäftsleiter des Bauunternehmen Raab von der Aufzeichnungspflicht im gesamten Betrieb betroffen.

Seit Jahrzehnten zahle er mehr als den Mindestlohn und eine Dokumentation der Arbeitszeit sei ohnehin notwendig - an den Baustellen. "Aber doch nicht in der Firma. Wir reden von 8,50 Euro", sagt Schubert-Raab. Weder Bauleiter noch technische Angestellte könnten so lange in der Firma bleiben, dass sie unter den Mindestlohn fallen würden. "Die haben ganz andere Stundenlöhne."

Schubert-Raab plädiert dafür, die Grenzen der Kontrollen so zu ziehen, dass sie nur diejenigen betreffen, die unter den Mindestlohn fallen können. Ansonsten, sagt er, sei das Ganze nur Aufwand ohne Nutzen.

Für die Kontrolle des Mindestlohns sollten 1600 Stellen beim Zoll geschaffen werden. Bislang sei man von der Zahl noch weit entfernt, sagt Eckardt vom DGB, die meisten würden jetzt erst mit den Umschulungen beginnen. In zwei Jahren haben man vielleicht genug Personal.

Die zuständige Zollbehörde, die Bundesfinanzdirektion Südost in Nürnberg, teilt auf Nachfrage mit, dass kein Engpass an prüfungserfahrenem Personal bestehe.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit überwache seit vielen Jahren Mindestlöhne, beispielsweise im Bau- oder Sicherheitsgewerbe.

Zur Kontrolle des allgemeinen Mindestlohns würden ab 2015 zusätzlich Nachwuchskräfte eingestellt und in den kommenden fünf Jahren die 1600 Planstellen besetzt.

Als Bäcker ist Kreishandwerksmeister Mathias Söllner nur verpflichtet, die Arbeitszeit seiner geringfügig Beschäftigten zu dokumentieren. Vier Angestellte betrifft das, dementsprechend gering ist der Aufwand. Seine Frau heftet die Zettel ab. Was sie stört, ist, wenn sie den Mitarbeitern hinterherlaufen muss, weil die Stunden nicht richtig eingetragen wurden.

Unter Generalverdacht gestellt

Seinen Angestellten im Laden bezahlt Söllner sowieso mehr als den Mindestlohn, den Ausfahrer hat er mit dem 1. Januar aufgestockt, von sieben Euro, das sei so üblich gewesen in dem Bereich. Die Preise wurden im Schnitt um fünf Prozent erhöht. Die Semmel kostet jetzt 30 Cent.

Sicher, die Dokumentationspflicht habe den Vorteil, dass gerade im Bäckerhandwerk der Wettbewerb wieder gerechter werde, die Billigketten müssen jetzt auch dokumentieren.

Er ärgert sich darüber, dass man durch das Gesetz als Betrieb unter Generalverdacht gestellt wird, die Leute zu betrügen.

Außerdem, sagt Söllner, ist ein Zettel auch immer noch ein Zettel. Papier ist geduldig. Wer manipulieren wolle, der könne das auch auf einem Stundenzettel.