Druckartikel: Wenn Helfer zu Opfern werden

Wenn Helfer zu Opfern werden


Autor: Andreas Schmitt

LKR Lichtenfels, Dienstag, 01. März 2016

Täglich nehmen sie Notrufe entgegen, nun schlagen sie selbst Alarm. Die Rettungsdienste beklagen einen Anstieg von Gewalt und Beleidigungen.
Das Rote Kreuz hat im Landkreis Lichtenfels drei eigene Rettungswagen und betreibt zudem einen vierten in der Rettungswache in Weismain zusammen mit dem Arbeiter-Samariterbund (ASB).  Foto: dpa/Nicolas Armer


Wenn ein Notruf eingeht, zählt jede Sekunde. Rein ins Auto und so schnell wie möglich ab zum Einsatzort, heißt es dann für die Helfer. Auch wenn sie meist nicht genau wissen, was sie an ihrem Ziel erwartet.

Ein Szenario, das für Rettungskräfte im Kreis Lichtenfels tägliche Routine und Leidenschaft zugleich ist. Sie kommen, um zu helfen. Bei ihren Einsätzen werden sie allerdings immer öfter selbst zu Opfern.


Studie des Roten Kreuzes

"Das Gewaltpotenzial ist nach oben gegangen", benennt Tobias Eismann, stellvertretender Leiter des Rettungsdienstes beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) Lichtenfels, einen seit Jahren feststellbaren Trend.

Ende Januar hat das Problem auch überregional für Aufmerksamkeit gesorgt. BRK-Landeschef Leonhard Stärk präsentierte eine Studie, wonach das Rote Kreuz 180 Fälle von Gewalt gegen eigene Mitarbeiter allein im Jahr 2015 erfasste. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich sogar deutlich höher, schlug der BRK-Chef Alarm. Auseinandersetzungen bei Hilfseinsätzen seien fast schon an der Tagesordnung.


Probleme auch im Landkreis

Wie ist die Situation im Landkreis Lichtenfels? "In einem Fall wurden im vergangenen Jahr die Mitarbeiter des Rettungsdienstes während der Versorgung vom Patienten bespuckt", erinnert sich Albert Florschütz, Rettungsdienstleiter beim Arbeiter-Samariterbund (ASB) Coburg, der zusammen mit dem BRK die Rettungswache in Weismain betreibt und im Landkreis etwa 15 Mitarbeiter hat. "Im weiteren Verlauf konnte der Einsatz nur durch die permanente Anwesenheit von Polizeibeamten zum Abschluss gebracht werden."

"Vor allem nachts und am Wochenende sinkt die Hemmschwelle", sagt Tobias Eismann. Einen tätlichen Angriff musste das BRK 2015 im Raum Lichtenfels zwar nicht melden, "aber würden wir Beleidigungen dokumentieren, machen wir nichts anderes mehr".


Alkohol als Hauptgrund

Im Umfeld von Kneipen, Discos und größeren Festen hätten die rund 70 BRK-Mitarbeiter, die sich im Landkreis auf die Standorte Lichtenfels, Burgkunstadt, Kutzenberg und Weismain verteilen, immer mit einer gewissen Grundaggressivität zu kämpfen.

"Die Täter verlieren durch den Einfluss von Alkohol und Drogen jegliches Unrechtsbewusstein", nennt Albert Florschütz den Hauptgrund für viele Streitigkeiten. "Außerdem mangelt es generell an Respekt gegenüber Helfern und Blaulichtorganisationen", beschreibt der ASB-Mann ein grundsätzliches Problem.

Das Thema ist ein großer Negativfaktor an unserem Beruf, über den die Mitarbeiter oft sprechen", erzählt Tobias Eismann über die Stimmungslage unter den Einsatzkräften. Eine Folge ist eine erhöhte Sensibilisierung für mögliche Gefahrenlagen. So gebe es beim BRK an Wochenenden keine Einsatzfahrzeuge mehr, die nur mit Frauen besetzt sind. Eismann: "Sie fühlen sich sonst oft unsicher."

Und beim ASB, der teilweise auch im Nachtdienst reine Frauenbesatzungen fahren lässt, macht man sich Gedanken. "Das Hinzuziehen der Polizei bei unklaren Einsatzlagen wird oftmals schon bei Eingang des Notrufes von der Leitstelle mit angeordnet. Die Sicherheit der eingesetzten Kräfte hat Vorrang", sagt Albert Florschütz.

Neben einer erhöhten Vorsorge versuchen sämtliche Rettungsdienste aber auch ihre Deeskalationsmaßnahmen zu intensivieren. So habe man sich in Lichtenfels bewusst gegen stichsichere Westen entschieden, wie sie beispielsweise das BRK Nürnberg Stadt verwende. "Wir werden die Situation weiter beobachten, wollen aber das Helfen in den Fokus stellen", sagt Tobias Eismann.


Weiterhin bestmöglich helfen

Albert Florschütz vom ASB betont: "Unsere Mitarbeiter werden während der Ausbildung darauf geschult, in besonderen Situationen deeskalierend auf Patienten und Angehörige einzuwirken." Denn eines ist allen Rettungskräfte gemeinsam: Sie wollen den Opfern auch in Zukunft best- und schnellstmöglich helfen.