Von Hasen, Eseln, Gäulen und Raubtieren
Autor: Matthias Einwag
Ebensfeld, Mittwoch, 02. Dezember 2020
Woher kommen die oft skurrilen Bezeichnungen, mit denen die Dorfbewohner im Ebensfelder Land tituliert werden? Wir haben ermittelt.
Kuriose Spitznamen für die Bewohner von Dörfern sind in Franken nichts Seltenes. Im Gemeindegebiet von Ebensfeld haben sich die Einwohner etlicher Dörfer solche Necknamen erworben - meist eher unfreiwillig. Wir gingen den Ursachen für oft skurrile Necknamen auf den Grund und befragten drei Gewährsleute, die uns erläuterten, wie die Begriffe entstanden sein könnten.
Einige der oft sehr derben Ausdrücke sind nach heutigen Maßstäben sicher nicht mehr "political correct". Ob das Geschilderte wirklich passiert ist, bleibt fraglich. Dichtung und Wahrheit liegen mal weiter und mal näher zusammen. Denkbar ist, dass aus manch wahrer Begebenheit ein Märchen wurde, das man bei Kirchweihen weitererzählt und ausschmückte. Ortsrivalitäten spielten mit hinein, die von Generation zu Generation weitergetragen wurden. Bei Musikveranstaltungen und Festen, besonders unter Alkoholeinfluss, wurde schon immer ein bisschen aufgeschnitten, geprahlt und gestichelt.
Selbst Ochsen waren zu schwach
Die Unterküpser werden Stegdehner genannt. Das kam so: Der alte Steg über den Aschbach am Feuerwehrhaus war in schlechtem Zustand und brach schließlich ein. Der Bürgermeister forderte daraufhin einen Zimmermann auf, einen neuen Steg zu bauen. Als man dieses Brücklein an den beiden Ufern auflegen wollte, fiel es auf einer Seite ins Wasser, denn die Bretter waren zu kurz. Offenbar hatte der Zimmermann schlecht Maß genommen. Ein schlauer Bürger schlug deshalb vor, Ochsen zu holen, um den Steg zu strecken. Die Ochsen wurden an angespannt und zogen an den beiden Enden des Stegs, um diesen zu verlängern. Gemeinsam probierten die Unterküpser mit mehreren Versuchen, den Steg zu dehnen. Das misslang. Er war jedesmal zu kurz - Holz ist eben nicht elastisch wie Gummi. Irgendwann gaben sie es auf. Der Spitzname blieb.
Makabres Mittel
Die Unterbrunner heißen Köpfer. Weil es im Dorf einst kein Leichenhaus gab, wurden die Särge mit dem Verstorbenen bis zur Beisetzung im jeweiligen Wohnhaus aufgestellt und von dort aus zum Friedhof gebracht. Für diesen Zweck hatte der örtliche Schreiner stets zwei oder drei Särge auf Vorrat. Als einmal ein hünenhafter Mann starb, passte sein Körper nicht in die vorbereiteten Särge. In ihrer Ratlosigkeit griffen die Leute zu einem makabren Mittel: Angeblich köpften sie die Leiche und legten das Haupt lose in den Sarg.
Die Birkacher werden Hutzel genannt. Als Hutzeln werden in Franken gedörrte Früchte - meist Zwetschgen oder Birnen - bezeichnet, man denke nur an die Hutzelmännchen des Nürnberger Christkindlesmarkts. In Birkach, wo einst zu jedem Haus ein Birnbaum gehörte und in keinem Obstgarten die Birne fehlte, dörrte man vor allem diese Früchte. Als ein Ortsbürger verstarb und beigesetzt werden sollte, brauchte man einen Sarg. Der Schreiner hatte Särge vorrätig, lagerte aber aus Platzgründen sein Obst zum Dörren in einem davon. Überliefert ist, dass man zur Beerdigung den falschen Sarg erwischte und statt des Leichnams versehentlich das Hutzelobst beisetzte.
Eine ähnliche Geschichte ist aus Niederau überliefert. Als dort eine Frau verstarb, so der Volksmund, sei die Tote in einen der beiden bereitstehenden Särge gebettet worden. Die Dörrobstschnitzel, die im Sarg aufbewahrt wurden, beließ man darin und legte die Verstorbene einfach dazu - die Hutzeln waren angeblich als Wegzehrung für die Reise ins Jenseits gedacht. Es kam, wie es kommen musste: Am Tag der Beerdigung erwischte man den falschen Sarg...
Gradezu banal erscheint dagegen der Spitzname für die Bewohner von Medlitz, die einfach nur Zwetschger genannt werden. Offenbar war das Itzgrunddorf bekannt für seine großen Obstwiesen, wo Zwetschgenbäume vorherrsch(t)en - ähnlich wie in Uetzing, wo bis heute vor allem Nussbäume stehen.
Der Spitzname der Prächtinger lautet Säureiter oder Schweinereiter. Am Ortsrand in der Bachniederung befand sich früher ein großes Sumpfloch. Dort suhlten die Borstentiere besonders gern im Schlamm. Die Dorfbuben, wird überliefert, liebten es, auf den dreckigen Säuen nach Hause zu reiten. Das ist ja auch bequemer als die Tiere in den Stall zu treiben und neben ihnen herzulaufen.
Der Name für Kleukheims Bewohner lautet Katzen. Der Ursprung kann nicht genau geklärt werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Bezeichnung auf die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zurückgeht. Damals herrschte Not im Land. Die Menschen fast aller Orte machten keinen Unterschied zwischen Schlachtvieh und Haustieren. Alles wanderte in Topf und Pfanne. In ihrer Not aßen die Menschen auch Katzen und Hunde. Historisch belegbar ist es nicht, aber wahrscheinlich hat sich ein Kleukheimer beim Zubereiten eines Katzenbratens erwischen lassen.
Wie von Wilhelm Busch ersonnen
Die Oberküpser werden als Esel geneckt, fränkisch ausgesprochen: "I-ä-sel". Noch immer kommt es vor, dass sie bei manchem Blasmusikfest mit einem heiteren "I-aaa" begrüßt werden. Der Name entstand so: Einige Oberküpser standen angeblich bei der Kirchweih plaudernd zusammen. Einer holte sich Rat bei den anderen: "In unserer Dachrinne wächst Gras. Das Gras muss raus, was kann man da tun?" Ein ganz Schlauer antwortete: "Wir ziehen einen Esel hinauf, der frisst das Gras raus." So banden sie dem armen Tier gemeinsam einen Strick um den Hals und zogen es mit einem über den Dachfirst geworfenen Seil hinauf. Der Esel streckte bald schon die Zunge raus. "Der leckt schon nach dem Gras", rief einer der Schildbürger. Doch als der Esel oben an der Dachrinne war, konnte er nichts mehr fressen, denn er war stranguliert. Eine Geschichte wie von Wilhelm Busch.
"Verbrennte Tiegelkuchen"
Originell ist der Neckname für die Döringstadter: Sie werden verbrennte Tiegelkuchen gerufen. Einige dieser Tiegelkuchen - eine sehr appetitliche Speise - waren offenbar durch ein Missgeschick zu lange im Backofen. Sie verkohlten. Mit leicht spöttischem Unterton werden die Döringstadter von den Einwohnern der Nachbardörfer heute noch nach dieser unfreiwilligen Kohleerzeugung benannt. Auch als Fregger werden sie bezeichnet, der Grund ist unbekannt. Offenbar hat es im Ort einmal einen gewitzten Jungen gegeben, der Imponierendes leistete. Außergewöhnlich ist der Name für die Einwohner von Niederau: Giega-Ganter. Ein Ganter ist ein männlicher großer weißer Vogel; ein Giega oder Göger ist ein Hahn. Wie diese Doppelung zustande kam, ist leider nicht mehr herauszufinden. Doch der Hinweis auf die Gänse liegt nahe, denn in den Mainwiesen bei Niederau wurden einst viele dieser Vögel gehalten.
Die Dittersbrunner Hasen sind relativ leicht erklärbar: Das idyllische Dorf hinterm Veitsberg ist seit jeher für seinen Hasenreichtum in Feld, Flur und am Waldesrand bekannt. Die Ortsbürger werden deshalb noch heute geneckt, indem man sie auffordert: "Geh haam nei dein' Hasenbau!"
Tierisch geht es auch in Unterzettlitz zu: Sandhasen werden die Einwohner genannt, weil der sandhaltige umgepflügte Boden der "Zeltzer" Flur den Feldhasen als Versteck dient(e).
Die Einwohner des Marktfleckens Ebensfeld werden von den Bewohnern der umliegenden kleineren Dörfer gern als Stadtleut geneckt. Hintergrund ist wohl, dass sie sich so fühlten, als kämen sie aus einer echten Stadt.
Der Name Ebinger Zigeuner ist wohl auf den früheren Aufenthaltsort des durchreisenden Volks zu beziehen. Der heute nicht mehr zeitgemäße Name entstand, weil angeblich eine Sippe dauerhaft in Ebing blieb.
Ebenso seltsam mutet der Name für die Bewohner von Kümmel an: Kümmeltürken. Der kleine Ort hat wohl keine türkischen Zuwanderer, doch die sinnfreie Verlängerung des Ortsnamens auf einen umgangssprachlich bestehenden Begriff liegt nahe. Im Hinterkopf sollte man dabei stets die Entstehung solcher Namen haben. Sie wurden bei Kirchweihen oder Tanzveranstaltungen geprägt, wobei oft Alkohol im Spiel war - dadurch kühlte mancher Dorfbewohner sein Mütchen und wählte Kraftausdrücke, um die Bewohner des Nachbarorts zu trätzen, mit dem sein Dorf schon seit Generationen rivalisierte.
Furcht vorm Fabelwesen
Die Unterneuseser haben zwei Namen: Raubtiere und Schlehdornerer. Mit der Drohung mit Raubtieren, die im Eichenwäldchen zwischen Unterneuses und Unterzettlitz lauern, wurden freche Kinder gefügig gemacht. Von diesem Wäldchen "kommt es rein", wurde erzählt. Um welches Fabelwesen es sich handelt, bleibt der Phantasie des Einzelnen überlassen. Schlehdornerer bezieht sich auf die heute noch vorhandenen langen Heckenraine in der Unterneuseser Flur.
Als Backstaa-Klopfer werden die Oberbrunner bezeichnet. Zurückzuführen ist das wahrscheinlich auf die benachbarte Liebenburg, die als Ruine abgetragen wurde. Die Oberbrunner besorgten sich dort Baumaterial, wie es Bewohner vieler Orte nach dem Abgang der Burgen taten. Um neu zu bauen recycelten sie die Sandsteinquader der alten Burg und die Backsteine der jüngeren Gebäude. Wie die Trümmerfrauen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Bombenschutt der Städte wieder brauchbare Bausteine machten, so haben die Menschen Oberbrunns alte Steine abgeklopft. Heute nennt man das nachhaltiges Wirtschaften.
Mit Lehm gepatscht
Die Pferdsfelder Lahmapatscher haben ihren Namen von den Lehmgruben, die sich früher unweit des Dorfs erstreckten. Heute sind die Gruben verfüllt. Sie befanden sich in der Nähe der Unterführung der A 73 am Flurbereinigungsweg zwischen Pferdsfeld und Prächting. Der zweite Spitzname, die Gäul, ist ein sicher naheliegender Wortwitz, der aus dem Ortsnamen abgeleitet wurde.
Wie wahr viele dieser Geschichten sind, bleibt freilich unklar. Meist haben sie jedoch einen wahren Kern. Es könnte sein, dass mit der Zeit die Legendenbildung einsetzte. Aus der sprichwörtlichen Mücke wurde ein Elefant - und aus einem Hasen ein Raubtier.