Bis zu 60 Millionen Menschen wurden in der Zeit des Zweiten Weltkriegs aus ihrer Heimat vertrieben. In einer Baracke in Buch am Forst fanden Flüchtlinge und Vertriebene vorübergehend Unterkunft.
Bis zu 14 Millionen Menschen mussten ab 1945 ihre Heimat in Ost- und Ostmitteleuropa verlassen - die nun polnischen Gebiete jenseits von Oder und Neiße, Ostpreußen und die kulturell gemischten Randgebiete von Böhmen und Mähren, ein Teil der Tschechoslowakei, außerdem Ungarn, Jugoslawien und Rumänien. Es war die größte Völkerwanderung seit der Antike. Und doch waren die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen nur ein, wenn auch der umfangreichste, Teil der größten Völkerverschiebung aller Zeiten. Vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg verloren insgesamt bis zu 60 Millionen Menschen in Europa ihre Heimat. Die Ideologie zweier totalitärer Systeme hatte sie zu Zwangsmigranten gemacht.
Aus Schlesien und Ostpreußen
Auch in den Landkreis Lichtenfels strömten Tausende von Menschen, überwiegend aus den grenznahen Gebieten in Schlesien.
Es kamen zuerst Flüchtlinge aus Ostpreußen. Am 12. Januar 1945 begann der erwartete Großangriff der Roten Armee an der Weichsel. Es folgte die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten und Mittel- und Osteuropa vor und nach Ende des Zweiten Weltkrieges von 1945 bis 1950.
300 Einwohner mehr
In Buch am Forst stieg die Zahl der Bewohner in diesen Jahren von knapp 500 auf über 800 an. Sie fanden Aufnahme bei den Bauern und im Schloss mit dem Nebengebäude, wo zahlreiche Familien mit Kindern eine vorübergehende Bleibe fanden. Sie lebten in Stallungen und Remisen auf engsten Raum beieinander. Die abgeteilten Räume wurden notdürftig mit Öfen geheizt. Die gekalkten Wände in den Stallungen wurden mit Farbbändern verziert, die heute noch erhalten sind. In der Waschküche ging das Feuer unter dem Kessel nicht aus.
Hier wurden Wäsche und Windeln gewaschen, Rübensaft oder Zwetschgenmus gekocht.
Und dann gab es noch die Baracke in der "Schmiedsgasse", dem heutigen Buchentorweg. Sie wurde 1939 für polnische Zwangsarbeiter gebaut. Und diente nach Kriegsende als Unterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene. Mitte der 70er-Jahre wurde die Baracke abgerissen. Das Gebäude längs der Straße zwischen dem heutigen Anwesen Hagel und dem Bolzplatz maß etwa 15 mal zehn Meter und wurde durch einen breiten Mittelgang geteilt. Die Fläche ist noch heute auf einem Luftbild erkennbar.
Günter Strosetzky aus Schney kann sich noch gut an das Gebäude, die Gärten ringsherum und die Plumpsklos auf dem Hof erinnern. Er verbrachte seine Kindheit in dem Gebäude. "1962 wohnten dort noch 16 Leute. Die meisten zogen bis Mitte der 60er-Jahre weg, nur eine Familie blieb noch bis Anfang der 70er-Jahre dort", sagte er unserer Zeitung.
Es gab zwar elektrisches Licht, aber in den ersten Jahren keine Wasserleitung. "Das Wasser musste rund 200 Meter entfernt vom Brunnen an der alten Dorfschmiede geholt werden", erinnerte er sich.
Einfache Holzkonstruktion
Im Gebäude gab es sechs Kamine, meist waren zwei Öfen angeschlossen. Die Baracke war eine einfache Holzkonstruktion, außen verbrettert und innen mit Profilbrettern verschalt. Vom breiten Mittelgang gingen die Türen zu den einzelnen Räumen ab. Es gab kein Badezimmer, kochen, wohnen und schlafen war in einigen Fällen nur in einem Raum möglich. Wer Glück hatte, besaß ein abgetrenntes Schlafzimmer, allerdings mit offenem Durchgang.
Nach Norden hin gab es einen Sickergraben, längs dem Gebäude, der in den Hutgraben mündete. Das verbrauchte Wasser wurde in den Graben geschüttet.
"Im Sommer quakten bei uns die Frösche", wusste Klaus Bartelt, Nachbar und Spielkamerad von Günter Strosetzky zu berichten. Rund um das Gebäude wurden kleine Gärten angelegt, die den kargen Speisezettel bereicherten. Der Kot aus den Plumpsklos wurde dort als Dünger vergraben. "Es war eine schöne Zeit", sagte Günter Strosetzky rückblickend. "Es ist ein einfaches Leben gewesen, wir waren aber in einer Beziehung nicht arm". In der Schule in Buch sei er von den Klassenkameraden akzeptiert worden. "Ärgerlich war es nur, wenn bei Zwistigkeiten im Kindes-und Jugendalter und auch im weiteren Leben auf mein herkömmliches Domizil hingewiesen wurde", erinnerte er sich.
Schicksalsgemeinschaft
Das Schicksal von Millionen von Flüchtlingen in heutiger Zeit kann man nicht mit dem von damals vergleichen. Die Alten im Dorf berichten von einem friedlichen Miteinander.
Die etwas weiter entfernt Wohnenden können sich schon gar nicht mehr an die Ereignisse nach 1945 erinnern. Der schreckliche Krieg hatte die Überlebenden zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt. Es gab keinen Übergriffe oder Feindseligkeiten.
Allerdings war einigen der Alteingesessenen Bewohner der "Schmiedsgasse" die Baracke mit ihren Bewohnern nicht ganz geheuer. Einer von ihnen, der "Hüpfer", hätte doch oft ganz dicht am Schlot auf dem Dach gesessen, "damit er sein Diebesgut dort schnell versenken konnte, wenn die Polizei kommt", hieß es von einer Nachbarin. Andere sahen in dem letzten Bewohner der Baracke nur einen begeisterten Fan der Bucher Fußballer, der von da oben gern dem Fußballspiel auf dem nahen Sportplatz zusah.