Druckartikel: Verfeindete Nachbarn in Lichtenfels vor Gericht

Verfeindete Nachbarn in Lichtenfels vor Gericht


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Freitag, 06. Mai 2016

Der Angeklagte hätte mit einer Geldstrafe davonkommen können, legte es aber auf einen Urteilsspruch an. Er sei unschuldig. Das sieht der Richter anders.
Auf das Urteil hat es der Angeklagte letztlich angelegt. Foto: Friso Gentsch/dpa


Hat ein 56-jähriger aus Lichtenfels einem 15-jährigen Schüler das Bein gestellt, so dass dieser im Treppenhaus gestolpert ist - oder nicht? Dieser Vorfall vom 29. Juni 2015 kam nun im Amtsgerichts in Lichtenfels zur Sprache. Dem Angeklagten wurde gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

30 Minuten wollte sich Richter Stefan Hoffmann zur Urteilsfindung und Urteilsbegründung Zeit nehmen. Doch erst nach eineinhalb Stunden und gegen 19.30 Uhr betrat er wieder den Saal 14 des Amtsgerichts. Das Gehörte und Gesagte in dem vier Stunden währenden Prozess musste erst sortiert werden.

Letztlich aber sprach Richter Hoffmann den 56-Jährigen für schuldig. Er habe Zeit gebraucht, herauszufinden, ob es Vorsatz war.


Fünf Stufen runter und mit dem Hinterkopf an die Wand - dies führte am damaligen Junimorgen für einen Lichtenfelser Halbwüchsigen zu einer Bilanz aus Gehirnerschütterung, mehreren Prellungen und einem Schleudertrauma. Das Beinstellen - wenn es dieses denn gegeben hat - hätte also durchaus lebensbedrohliche Verletzungen mit sich führen können.

Doch all das bestritt der Angeklagte vehement. Mit einer Zahlung von 500 Euro hätte die Angelegenheit erledigt gewesen sein können. So aber legte es der 56-Jährige auf ein Urteil an. "Ich habe vorhin gesagt, dass ich nichts gemacht habe, deshalb sehe ich das nicht ein", sagte der Beschuldigte zum Vorschlag einer Geldzahlung und der Herabstufung der Anklage auf fahrlässige Körperverletzung.

Sein Verteidiger Kilian Petzold beantragte Freispruch. Er findet, dass eine "fahrlässige Körperverletzung nicht das Resteessen der gefährlichen Körperverletzung" sein dürfe. Sein Mandant sei unschuldig. Diesen Szenen wohnten viele Zuhörer bei. In der Beweisaufnahme wurde den Morgenstunden des Junitages viel Raum gegeben: Gegen 7.30 Uhr verließ der 56-Jährige mit seiner Tochter die Wohnung. Im Flur, nahe der Haustür, soll es dann zu einer Begegnung gekommen sein, die unterschiedlicher nicht hätten geschildert werden können.

So erzählte der 15-jährige Junge davon, den Fuß des Mannes an seinem Fuß gespürt zu haben. Nach dem Sturz sei der Erwachsene dann über ihn gestiegen, habe die Haustür geöffnet und sei nach draußen gegangen. Sein kleinerer Bruder hätte ihn Weinen gehört und die Mutter verständigt. Immer wieder wurden die Zuhörer Zeugen merkwürdiger Schilderungen. Beispielsweise der des Opfers, wonach ihm die Frau des Angeklagten untersagt hätte, ihre Tochter anzulächeln.


Beleidigungen und Drohungen

Auch soll der Angeklagte "sehr viele Fotos" davon gemacht haben, wie die beiden Kinder gemeinsam auf dem Trampolin sprangen. "Er hat mich auch mal beleidigt und auch mal meine Mutter als Schlampe bezeichnet und gesagt, wir sind dumme Kinder und wir sollen die Klappe halten."

Belastungseifer aber legte der Junge nicht an den Tag. Im Gegenteil, er schilderte nüchtern und unaufgeregt, dass er den Mann im Flur links überholt und dann dessen linkes Bein an seinem linken Bein gespürt habe.
Zwischen der Mutter des Gestürzten und der Frau des Beschuldigten herrscht offenbar Unfrieden. Als sich die beiden Frauen an diesem Morgen im Flur begegneten, fragte die eine danach, was mit ihrem Sohn passiert sei und bekam eine Gegenfrage zu hören: "Was haben Sie mit unserer Tochter gemacht?"

Der Streit schwele schon, seit sie eingezogen sei, so die Mutter des Schülers. Immerhin konnte die Frau noch die Beobachtung schildern, dass der Nachbar über ihren Sohn gestiegen sein soll, um das Haus zu verlassen. Später dann habe ihr Junge ihr gesagt, er sei auch wegen ihm gestolpert. Keine sehr erhellenden Entlastungszeugen stellten die Tochter des Angeklagten und dessen Frau dar.

Letztere sagte aus, dass sie den geschädigten Jungen gut kenne. Er habe von ihrem Rechtsanwalt einen Brief erhalten, wonach er ihr nicht immer über die Füße fahren solle. Auch erinnere sie sich an einen Satz der Mutter des Jungen: "Mir ekeln euch raus", soll sie gesagt haben.

Im Grunde standen Aussagen gegen Aussagen. Kurzzeitig im Gespräch war auch eine Einstellung des Verfahrens, was der Beschuldigte ablehnte. So also musste ein Urteil fallen. Hoffmann baute dabei auf eine vom Angeklagten selbst getätigte Aussage, dass er sei beim Verlassen des Hauses über den Jungen gestiegen sei.
Warum steigt jemand ohne zu Helfen über einen Verletzten? Das fragte sich Hoffmann und seine Antwort floss in die Urteilsbegründung ein: Weil Vorsatz vorausging!
Zu sechs Monaten Haft auf Bewährung sprach er das Urteil, inklusive 60 Arbeitsstunden als Bewährungsauflage samt der Zahlung der 500 Euro aus zivilrechtlichen Ansprüchen.
Auch nach dem Urteil gab es noch einmal Aufruhr im Gerichtssaal, denn der Verurteilte soll diesen laut der Mutter des Geschädigten mit drohender Geste verlassen haben.