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Verdienstkreuz und Staatsmedaille für Soziales Engagement


Autor: Gerda Völk

Burgkunstadt, Montag, 22. Oktober 2012

Lieselotte Ruß in Burgkunstadt pflegte ihre Schwiegermutter mehr als 28 Jahre lang. Für eigene Unternehmen blieb kaum Zeit. An Urlaub war nicht zu denken. Nun erhielt sie für ihre sozialen Verdienste das Bundesverdienstkreuz am Bande und die Bayerische Staatsmedaille.
Lieselotte Ruß hat mehr als 28 Jahre ihre Schwiegermutter Amalie gepflegt. Foto: Gerda Völk


Vor rund einem Jahr ist Birgit Löfgen bei ihrer täglichen Zeitungslektüre eine kleine Notiz ins Auge gefallen. Darin hatte der Bundespräsident anlässlich der ersten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes vor 60 Jahren nach Menschen gesucht, die sich durch besonderes ehrenamtliches Engagement auszeichnen und für diese Ehrung in Frage kommen. "Das hätte deine Mutter doch auch verdient", stellte Birgit Löfgen fest. Joachim Ruß war der gleichen Meinung wie seine Lebensgefährtin: Seine Mutter Lieselotte Ruß hat ihre Schwiegermutter Amalie Ruß mehr als 28 Jahre aufopferungsvoll gepflegt.

Zunächst ohne ihr Wissen hat Joachim Ruß seine Mutter für den Orden vorgeschlagen. In einem Ordner hat Birgit Löfgen feinsäuberlich den gesamten Schriftverkehr abgeheftet. Über ein Dutzend Briefe belegen den langen Weg durch die Instanzen bis hin zur endgültigen Entscheidung. Schon in einem der ersten Schreiben wies die Leiterin der Ordenskanzlei des Bundespräsidialamts darauf hin, dass bis zur abschließenden Beurteilung ein "längerer Zeitraum" vergehen würde, weil zahlreiche Stellen einzuschalten seien. Mittlerweile war mehr als ein Jahr verstrichen.

Als dann der positive Bescheid aus München im Briefkasten lag, war die Überraschung groß. Zweimal musste Joachim Ruß seiner Mutter den Brief vorlesen.

"Ich habe es erst nicht glauben wollen", gesteht Lieselotte Ruß. Zur dieser Auszeichnung hat ihr auch Landrat Christian Meißner am vergangenen Freitag in einem Schreiben und mit einem Präsent gratuliert.

Mit jedem Tag, mit dem die Ordensverleihung in München näher rückte, wuchs auch die Aufregung. "Na, das können sie glauben, dass ich aufgeregt bin", berichtete die 85-Jährige gegenüber dem Fränkischen Tag. "So im Mittelpunkt stehe ich fast nie."

Immer für andere Menschen da


Helfen sei ihr in die Wiege gelegt worden. Tief in ihr Gedächtnis hat sich auch ihr Konfirmationsspruch "Der eine trage des anderen Last" eingeprägt. Damit war für Lieselotte Ruß klar, dass sie anderen Menschen einen Teil der Bürde des Lebens abnehmen und tragen würde. "Helfen war scheinbar mein Beruf", sagt sie. Lieselotte Ruß war beinahe ihr ganzen Leben für andere Menschen da: für ihre eigenen zwei Kinder, ihre zwölf Pflegekinder, und vor allem für ihre Schwiegermutter Amalie, die sie über 28 lange Jahre gepflegt hat.

Oft war dies keine leichte Aufgabe, da die Seniorin im Alter von 80 Jahren erblindet war und gerade in den letzten Jahren ihres Lebens beinahe rund um die Uhr Betreuungsbedarf hatte. Dennoch wurde nie ein Pflegeheim auch nur in Erwägung gezogen. "Meine Schwiegermutter hat sich in unserer Familie sehr wohl gefühlt. Sie wäre auch keine 108 Jahre alt geworden, wenn sie nicht die fürsorgliche Pflege zu Hause gehabt hätte", gibt Lieselotte Ruß zu bedenken.

Fast drei Jahrzehnte drehte sich der gesamte Tagesablauf um die Schwiegermutter. Jede eigene Unternehmung, jeder Geburtstagsbesuch, Frisörbesuch, oder Einkaufsbummel musste akribisch genau geplant werden, damit die Schwiegermutter nicht eine Minute ohne Betreuung blieb. An Urlaub war nicht zu denken.

Auch zwölf Pflegekinder betreut


Vor der Schwiegermutter waren es zwölf Pflegekinder gewesen, die Lieselotte Ruß betreut hatte, vier in Vollpflege und acht in zeitlich begrenzter Betreuung. Deren Mütter waren meistens ledig und auf ihre Berufstätigkeit zum Lebensunterhalt angewiesen. Und das in einer Zeit, in der es an geeigneten Betreuungsmöglichkeiten noch erheblich mangelte. Zu einigen ihrer mittlerweile schon lange erwachsenen Pflegekinder besteht heute noch Kontakt.

Trotz aller Mühen - im Großen und Ganzen würde Lieselotte Ruß alles genau so wieder machen. Jetzt hat sie in München das Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland sowie die Bayerische Staatsmedaille für soziale Verdienste erhalten. "Viele Frauen der älteren Generation werden bei der Angabe ihres Berufsstandes Hausfrau oft belächelt", heißt es in der Laudatio. "Sie persönlich geben ein Beispiel, wie viel Tatkraft und Energie hinter diesem Begriff steckt", betonte Bayerns Sozialministerin, Christine Haderthauer. Lieselotte Ruß war sehr gerührt über diese hohe Auszeichnung.