Süßes für die Rolling Stones
Autor: Markus Häggberg
Bad Staffelstein, Sonntag, 19. Juli 2020
Rudi Krug blickt auf eine lange Ahnenreihe. Schausteller ist nicht nur Beruf, sondern Berufung. Der Wahl-Staffelsteiner erzählt von Maschinengewehren, Schlangen und dem Talent, Optimist zu bleiben.
Wo beginnen? Rudi Krug sitzt in seinem Wohnzimmer und geht sich erinnernd mal durch diese Zeit, mal durch jenes Ereignis. Hinzu kommt, dass für den 68-Jährigen so ziemlich "alles normal" ist, was einen Zuhörer staunen lässt. Aber wo beginnen? Beim Riesenrad? Bei den Rolling Stones? Oder bei der großelterlichen Schlangenfarm?
Rudi Krug öffnet die Tür. Der Mann ist groß. Er füllt den Türrahmen aus und lächelt freundlich. Seine Frau Henriette bittet zum Kaffee, und so durchschreitet man den Flur zum Wohnzimmer. Ahnenreihe - das ist das Wort, welches einem im Flur begegnet. An mehreren Gangseiten reihen sich in zwei Meter Höhe Bilderrahmen aneinander und bilden genealogische Linien.
Spätestens jetzt wird einem etwas zum Gastgeber klar: Der Mann ist in eine Tradition gestellt. Auf einem enorm großen Fernsehbildschirm ist eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie zu sehen. Krug hat seine Sachen geordnet, hat Fotoalben digitalisiert und kann die Bilder in dutzendfacher Vergrößerung am Fernsehschirm aufrufen. Auf dem Tisch liegt ein dicker Ordner, und Krug bemerkt zu ihm mit leicht bayerischem Akzent, dass er dann und wann Gedichte schrieb.
Also wo beginnen? Plötzlich lässt Krug ein interessantes Wort fallen: Krinoline. Es ist die französische Vokabel für Reifrock, und ähnlich wie der ist diese alte Karussellart auch gebaut und verstrebt worden. Sich im Kreise hebend und senkend machte sie Menschen vor über 100 Jahren jauchzen, und eine solche Krinoline besaßen auch Krugs Vorfahren aus der einen Linie. Aber Krugs Traditionen reichen weiter zurück als 100 Jahre, viel weiter. Eine Spur führt ans Mittelmeer und zur Klärung eines Missverständnisses.
Die lange Ahnenreihe
Vater, Großvater, Urgroßvater, Altvater - Ahnenreihen bieten solche Begriffe. Eine Ahnenreihe Krugs setzt bei dem Begriff Obervater ein. Er ist der Opa eines Altvaters und in Krugs Fall heißt das, dass er 1780 geboren wurde. Der Vorname des Mannes ist unbekannt, der Nachname nicht. Horz hieß er und er tummelte sich rund ums Mittelmeer, weil er in Besitz einer aus Russland stammenden Seltenheit war, die sich zur damaligen Zeit mangels Eisenbahn nicht über Land verfrachten ließ.
Aber es gab Häfen und entlang dieser konnte man ziehen, entladen, aufbauen, abbauen, verladen und weiterziehen. "Der Obervater hatte aus Russland ein Rad mitgebracht", erklärt Krug und setzt einem auseinander, dass im Laufe der Zeit aus dem Wort Russenrad das Wort Riesenrad wurde.
Ein anderes Kuriosum findet sich entlang der Feldl-Linie. Feldl - das ist unter Schaustellern ein Begriff. Krugs Mutter war eine Feldl, und es ist interessant, wie es zu dem Namen kam. An seinem Beginn steht ein gewisser Fafschamps und der Begriff lässt aufhorchen, denn -champs ist die französische Entsprechung für Feld. Es kam zu einer Eindeutschung des Namens, die Hintergründe sind nicht ganz klar. Aber T.H.J. Fafschamps war ein Hauptmann mit Sinn für Konstruktionen, und gemeinsam mit einem Montigny brachte er 1851 die Mitrailleuse zuwege. "Das war ein Maschinengewehr noch vor der berühmten amerikanischen Gatling Gun."