Sucht: Eltern in der Verantwortung
Autor: Ramona Popp
Hochstadt, Montag, 06. Juni 2016
In Hochstadt sprechen Fachleute über die Ursachen einer Abhängigkeitserkrankung. Das familiäre Umfeld steht dabei im Fokus.
Wenn es in der Familie Tolstov etwas zu feiern gibt, wird weder Bier noch Sekt, Wein oder Schnaps getrunken. Nichteinmal eine Champagnertrüffel-Praline gibt es. "Wir haben gar keinen Alkohol", sagt Valentin Tolstov. Man könne auch ohne lustig sein. Was er in seinem Beruf gesehen hat, ist der Hintergrund für diese konsequente Haltung. Tolstov ist Oberarzt in der Bezirksklinik Hochstadt, ein Therapiezentrum für Suchtkranke. Viele Patienten dort sind von illegalen Substanzen abhängig. Aber Alkohol hält Tolstov für die am meisten unterschätzte Gefahr, in eine Abhängigkeit zu gleiten. Er hat sich für ein Leben ohne Alkohol und Drogen entschieden und möchte das auch seinen Kindern (9 und 13) vorleben. Aus Gesprächen mit Suchtkranken weiß er, dass ein erstes Ausprobieren bei vielen schon in diesem Alter stattgefunden hat. Deshalb möchte er seinen Kindern den Rücken stärken, einfach Nein zu sagen, wenn ihnen etwas angeboten wird. Die Vorbildfunktion von Mutter und Vater seien viel wirksamer als Verbote. Kinder übernähmen Verhaltensmuster von ihren Eltern. Sogar wenn sie deren Abhängigkeit erkennen und darunter leiden, greifen sie oftmals zu den selben Mitteln, um Stress oder Ärger zu kompensieren. "Weil sie anderes nicht gelernt haben." Faktoren, die das Entwickeln einer Suchterkrankung begünstigen, sind offenbar auch Scheidung der Eltern, Missbrauch oder schwere Konflikte in einer Familie. "Das Selbstwertgefühl der Kinder und Jugendlichen wird gemindert, sie entwickeln keine Bewältigungsstrategien", erklärt Valentin Tolstov, der ursprünglich Kinderarzt war. Er stellt fest, dass es eine wachsende Zahl von Drogenabhängigen wie auch eine wachsende Zahl nicht intakter Familien gibt.
Bei der Fachtagung "Hochstadter Gespräche" soll diesmal herausgestellt werden, wie wichtig die Rolle der Familie bei der Suchtvorbeugung ist. "Eltern sind verantwortlich für ihre Kinder", betont der Facharzt. Als Erwachsene könnten und müssten diese dann für sich entscheiden.
Auch wenn es sich nicht um eine öffentliche Veranstaltung handelt, setzt man in Hochstadt darauf, dass die Botschaften der Tagung durch die Teilnehmer und ihre Arbeit in die Gesellschaft getragen werden. Zu diesen zählt beispielsweise Norbert Staffen, langjähriger Leiter der Suchtberatungsstelle in Lichtenfels. Um die 1200 Personen führt die Jahresstatistik der Einrichtung des Diakonischen Werks für die Landkreise Coburg, Kronach und Lichtenfels auf - Rat suchende Angehörige mitgezählt. Erfahrungsgemäß ist die Dunkelziffer hoch: Suchtkranke leugnen ihr Problem lange, gehen nicht zur Beratung. Dabei wäre auch dies ein gutes Beispiel von Eltern für Kinder, wenn sie konstruktiv damit umgehen würden.
Alkohol macht seit Jahren gut 60 Prozent der Fälle der Suchtberatung aus, wie Norbert Staffen berichtet. Seine Klienten kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Die Vorbildfunktion der Eltern für ihre Kinder hebt auch er hervor. Aber das Umfeld wie Kindergarten, Schule oder Arbeitgeber sollte einbezogen werden: "Prävention muss vernetzt sein." Deshalb sind Zusammenkünfte wie in Hochstadt wichtig.