Starker Einsatz für starke Eltern
Autor: Ramona Popp
Lichtenfels, Dienstag, 29. November 2016
Am 30. November wird Hans Berwanger in den Ruhestand verabschiedet. Im Landkreis Lichtenfels hat er Hunderte von Familien in Krisen begleitet.
Oberlehrerhaft kam Hans Berwanger nie daher. In all seinen Berufsjahren in der Familienberatung hat er sich selbst immer als Coach verstanden, als Wertschätzung vermittelnder Ratgeber, der in schwierigen Situationen Wege aufzeigt und den Rücken stärkt. Seine Verabschiedung in den Ruhestand war Anlass für dieses Gespräch.
Herr Berwanger, was hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten für Eltern und Kinder vor allem verändert?
Hans Berwanger: Die Problemlagen haben sich deutlich verändert. Vor 30 Jahren gab es zwar auch Schreibabys, aber die hatte man überhaupt nicht im Fokus. Vor 20 Jahren waren wir in Oberfranken Vorreiter in der Früh- und Schreiberatung. Zwei Kolleginnen haben eine spezielle Zusatzausbildung. Ein weiteres großes Thema ist die Trennungs- und Scheidungsberatung geworden und hier die Zusammenarbeit mit Jugendamt, Familiengericht und Rechtsanwälten. Bei Schülern geht es häufig um Konzentrationsproblematiken, die mit einer hohen Reizüberflutung über die Medien zu tun haben. Das Anspruchsniveau der Eltern ist hoch: Ihre Kinder sollen was werden, vorzeigbar sein. Weniger geworden sind Problematiken, die mit einer emotionalen Hemmung zu tun haben wie das Stottern. Das gab es vor 30 Jahren sehr viel häufiger als heute.
Über viele Jahre sind die Fallzahlen der Beratungsstelle kontinuierlich gestiegen. Heuer auch?
Nein. Die Zahlen stagnieren zurzeit auf hohem Niveau oder sind sogar leicht rückläufig. Das liegt daran, dass wir im Landkreis inzwischen einige niedergelassene Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen haben, und dann gibt es noch an jeder Mittelschule Jugendsozialarbeiterinnen.
Freut Sie das, dass es jetzt ein größeres Netz für die Familien gibt?
Ja, natürlich. Als ich angefangen habe, war ich der einzige Psychologe und Psychotherapeut im Landkreis, abgesehen von zweien an der Klinik in Hochstadt
Es war Ihnen immer ein Anliegen, schnelle Hilfe anbieten zu können.
Wir haben nie mit einer Warteliste gearbeitet, sondern versucht, bei Anmeldung sofort einen ersten Gesprächstermin zu vergeben. Dafür bin ich den Kollegen im Team sehr dankbar. Ich hoffe, dass sie das weiter durchhalten können. Denn auch in diesem Jahr kommt die Beratungsstelle bestimmt wieder auf über 550 Fälle.
Die sich auf wie viele Mitarbeiter aufteilen?
Zwei in Vollzeit - mich noch eingerechnet - und drei Kolleginnen in Teilzeit.
Was braucht es, um Kinder fürs Leben stark zu machen?
Es braucht Eltern, die Freude haben an und mit ihren Kindern, die gute Unterstützung haben, auch in der Mehrgenerationenperspektive, und die in der Gesellschaft geachtet werden für die Erziehungs- und Beziehungsarbeit, die sie leisten. Eine Kernbotschaft, die ich versucht habe, zu vermitteln, war: Fürsorglich sein, für Kinder da sein, aber auch Regeln und Grenzen vertreten! Eltern, die ihren Kindern alles recht machen wollen, überfordern sie; die Kinder reagieren etwa mit tyrannischem Verhalten. Kindern tut es gut, wenn die Eltern die starken sind. Nach dem ersten Lebensjahr sollte die Partnerschaft der Eltern wieder an erster Stelle stehen - zweitrangige Kinder sind glückliche Kinder.
Was fehlt Familien am meisten?
Es fehlt an Zeit, in der man zusammensitzt, miteinander redet, vielleicht beim gemeinsamen Abendessen. Und dass man das Grundgefühl hat: Schön, dass es jeden gibt, jeder ist wertvoll, auch wenn er nichts leistet.
Sie sind einer der wenigen, von denen man auch kritische Töne in Sachen Krippenbetreuung gehört hat. Diese sei der häuslichen Erziehung nicht vorzuziehen.
Ja, und ich stehe nach wie vor zu dieser Überzeugung, die wir durch Studien belegen können: Kinder bis zwei Jahre spielen zwar parallel, lassen sich von dem, was andere Kinder machen, anstecken, aber sie können noch nicht wirklich miteinander spielen. Vor allem: Sie können erst spielen und die Umwelt entdecken, wenn sie sich sicher fühlen. Das ist bei Mama, Papa, Oma, Opa, beim großen Bruder oder einer anderen, emotional nahestehenden Person der Fall. Auch bei einer Erzieherin, die feinfühlig ist und das Vertrauen des Kindes gewonnen hat. Dazu braucht es aber Eingewöhnungszeiten von vier, sechs, acht Wochen. Es gibt eindeutige Studien, die besagen, am besten gedeihen Kinder, bei denen in den ersten drei Jahren ein Elternteil zuhause bleibt - und zwar gern, und mit guten sozialen Kontakten. Am schwierigsten ist es, wenn jemand ungern zuhause ist, depressiv rumhängt und vom Kind genervt ist. Für diese vielleicht zehn Prozent ist Krippe ein Rettungsanker. Oder wenn finanzielle Not besteht. Da ist es tatsächlich besser, wenn das Kind eine qualitativ gute Krippenbetreuung hat.
Für die Qualität der Krippen sind Sie immer auch eingetreten. Wie ist es um die bestellt?
Wir haben zu zirka 80 Prozent mittelmäßig gute Krippen, die sich zwar bemühen, aber die personell unterbesetzt sind, nur ein paar Tage Eingewöhnungszeit bieten. Robuste Kinder packen das. Aber ein Drittel der Kinder wird wahrscheinlich massive psychische Folgeschäden davontragen. Meine Tochter ist auch Diplom-Psychologin. Ihr und ihren jungen Kollegen wird die Arbeit nicht ausgehen.
Zur Person
Diplom-Psychologe Hans Berwanger (63) war 33 Jahre in Lichtenfels in der Familien- und Erziehungsberatung tätig. Er leitete die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern (Träger: Caritas) am Schlossberg. Die Eltern-Schule - Kinder fürs Leben stark machen: So lautet der Titel des Buches, das Berwanger gemeinsam mit der Journalistin Andrea Bischhoff geschrieben hat. Der Ratgeber, erschienen 2010 im Piper-Verlag, hat von Eltern sehr gute Bewertungen bekommen. Freiberuflich wird Hans Berwanger weiterhin in der gemeinsam mit Ingrid Berwanger (Dipl.-Pädagogin, Eheberaterin, Paartherapeutin) betriebenen Praxis für Ehe- und Familienberatung in Coburg tätig sein. Hans Berwanger ist seit über 35 Jahren verheiratet und Vater von drei Kindern (27, 34 und 36 Jahre). Er lebt mit seiner Frau Ingrid in Coburg.