Druckartikel: Mit Pokémon-Go wird die Stadt wieder interessant

Mit Pokémon-Go wird die Stadt wieder interessant


Autor: Markus Häggberg

Lichtenfels, Donnerstag, 11. August 2016

Wer Pokémon-Go spielt, sieht seine Umgebung mit neuen Augen und entdeckt auch in der Heimat viel Neues. Ein Erfahrungsbericht aus Lichtenfels.
In ihre Smartphones vertieft (von links): Nick Niscior, Pascal Molendo und Dimitri Mazay auf dem Weg durch das nächtliche LichtenfelsFoto: Markus Häggberg


Montagabend um 21 Uhr gehen Dimitri, Nick und Pascal auf der Jagd durch das Untere Tor. Die drei Teenager haben eine Absicht und wollen eine Runde drehen. Seit zwei Tagen besitzen sie ihr Pokémon-Go und nun gehen sie leicht gebeugt, die Arme angewinkelt, den Blick auf das Display ihrer Handys gerichtet. "Auf jeden Fall", sagt Nick Niscior mit Bestimmtheit in der Stimme auf die Frage, ob er heute mehr als früher zu Fuß unterwegs sei. "In den letzten zwei Tagen zehn Kilometer", erklärt er. Aber das habe auch "am Reiz des Neuen" gelegt.

Doch wer so konzentriert auf sein Handy achtet, um virtuelle kleine Monster am Wegesrand aufzugabeln und damit Punkte zu sammeln, dem ist womöglich nicht klar, wie gut die Nachtluft ist, wie warm sich der Sommerabend anfühlt. Oder? "Im Regen würde ich jedenfalls nicht rausgehen", kontert er die Frage nach Achtsamkeit und bricht eine Lanze für das Pokémon-Go-Spiel.

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Mittlerweile bewegt sich das Trio in Höhe der Spitalkirche und auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich auch ein Trio, allerdings aus Stein und als so etwas wie ein künstlerisches Ensemble. "Uns ist jetzt erst aufgefallen, dass da Gesichter drauf sind", spricht einer der Jungs. Ohne ihr Spiel gingen sie daran also weiterhin achtlos vorüber? Scheint so. Da, jetzt ist es soweit, es ist da: ein Pokémon. Das Handy zeigt ganz deutlich an, was hier wirklich und doch unwirklich ist.

Genial. Genial einfach aber auch. Früher hätte man Schnitzeljagd dazu gesagt. Nach diesem Prinzip lebt das virtuelle Spiel, es hält einzufangende kleine Monster bereit, die sich an Stellen aufhalten, zu denen eine App, eine Art Sonderprogramm, welches das Internet aufs Handy spielt, Wissenswertes mitteilt. Dass das unscheinbare Steintrio Gesichter hat beispielsweise oder wie alt das Obere Tor ist, welche Bedeutung der Alte Güterbahnhof hatte und dergleichen.


Eine Bude als Sehenswürdigkeit

Doch dann, ein paar Schritte weiter an der Abzweigung zur Viktor-von-Scheffel-Straße wird es kurios, hanebüchen sogar: das hölzerne Büdchen, ein Erdbeerstand, welcher rein baulich betrachtet ein höchst banales Zeugnis der Neuzeit darstellt, findet durch die Pokémon-App Erwähnung als Sehenswürdigkeit. Darüber müssen auch die drei Jungs lachen. Das Programm hat offenbar auch Fehler. Über GPS sind ihm zwar die Standorte von Sehenswürdigkeiten auf den Zentimeter genau bekannt, aber die dazugehörigen Infos können nie wirklich auf dem alleraktuellsten Stand sein.

Zu der Frage, ob das so erlaufene Wissen länger hängen bleibt, antworten die drei Jungs auch mit Entschiedenheit. "Bestimmt - ich habe beispielsweise nicht gewusst, dass wir den größten Präsentkorb der Welt haben", sagt einer. Sie gehen zur Leuchse, auch die ist verzeichnet. Es ist gegen 21.30 Uhr.

Um diese Zeit ist das Eisfach von Uwe Held ziemlich geleert. Pokémon-Eis hat er erstellt und sein Café steht an einem für dieses Spiel besonderen Standort: dem Floriansbrunnen. Dieser zentrale Lichtenfelser Platz stellt in der digitalen Welt eine Kampfarena dar, in der Pokémon-Jäger ihre Pokémons gegeneinander antreten lassen. Uwe Held hat das auch mitbekommen. Der Cafébetreiber hat sich darauf professionell eingelassen, denn bei ihm gibt es derzeit Pokémon-Eis.

Besonders das Pokémon namens Pikachu hat ihn inspiriert. "Pikachu ist gelb und wenn man es fängt, ist es ganz schön sauer", weiß Held. Gelb und sauer, so ist auch sein Eis, dem er noch Schokostreusel beigab. Ein Renner. "Auf jeden Fall wird Lichtenfels durch die Pokémon-Jäger belebter", konstatiert Held.

In diesem Moment fährt ein Auto vorbei, etwas schlingernd. Helds Verdacht, erhärtet durch manche Beobachtungen: "Die fahren mit dem Auto Pokémons ab." Doch von erhöhten Unfallzahlen durch Fixierung auf das Handy und damit einhergehender Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr, weiß man bei der Polizeiinspektion nichts.


Akku-Verkäufe steigen stark

Profiteure scheint es bei dem Spiel auch zu geben. Es sind die Märkte, die Handy-/bzw. Smartphone-Akkus verkaufen. Den Umstand erklärt Vanessa Krenn, Marktleiterin von Expert in Lichtenfels: "Das Spiel verbraucht um 50 Prozent des Akkus in nur zwei Stunden. Ein Grund: Das Spiel aktualisiert sich über Internet ständig." Um nicht ständig aufladen zu müssen, kauften Pokémon-Jäger Akkus auf Vorrat. Für Krenn "definitiv ein Segen" für den Verkauf, der "um 150 Prozent" angestiegen sei.

Es ist kurz vor 22 Uhr, Dimitri Mazay, Nick Niscior und Pascal Molendo finden über die Leuchse und die Jakobuskapelle wieder in die Stadt zurück. Sie gehen durch das Unter Tor und im Gegensatz zu der Erdbeerbude, fällt seitens der App keine Bemerkung zum Tor. Als die Jungs wenig später am Oberen Tor angelangen, bemerkt Dimitri: "Es haben sich ja viele beschwert, dass Lichtenfels so tot ist. Seit Pokémon-Go draußen ist, sind viel mehr Leute unterwegs."

Dann fragt er die Jungs, was man nun machen wolle. Man entschließt sich, den Abend ausklingen zu lassen. Eine Stunde später wird das Trio erneut in der Stadt gesichtet. Wohl wegen neuer Pokémons.