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Rock im Wald - Wüstenhitze in Neuensee


Autor: Christian Bauriedel

Neuensee, Dienstag, 30. Juli 2013

Höllenhitze. Mörderlaut. Bockengeil. So beschrieb es einer der Kuttenmänner, der nach dem letzten Bier vom Festivalgelände in die Nacht wankte. Und sich wohl glücklich auf dem Beifahrersitz seines Autos zusammenrollte.
Fotos: Matthias Hoch


Dass es heiß werden wird, das stand schon ein paar Tage vor Rock im Wald fest. Dass es in diesem Jahr keine Probleme mit den Besucherzahlen geben würde auch. Das Festival-Team hatte sich mit Vista Chino, der Band der Kyuss-Erben Brant Bjork, Nick Oliveri und John Garcia einen Headliner auf die Plakate geschrieben, der auch von weiter her Gäste auf den Sportplatz von Neuensee bei Lichtenfels anzog. Festivalorganisator Christian Sünkel zeigte sich mehr als zufrieden mit den Besucherzahlen. Weit mehr als 1000 Gäste. Für eine kleine Non-Profit-Veranstaltung ein Grund zum Stolz.



Orange "fucking" Goblin, Baby
Relativ früh in den Planungen fürs Festival habe sich die Gelegenheit für Vista Chino aufgetan.

Für Sünkel und sein Team stellte sich zunächst die Frage nach dem finanziellen Aufwand: "Vista Chino, machen, ja oder nein? Wir haben uns das in diesem Jahr einfach getraut." Unter den Tisch fallen sollte jedoch nicht, dass mit Orange "fucking" Goblin (Baby), Valient Thorr und Stonewall Noise Orchestra drei weitere Bands mit Bekanntheitsgrad anreisten. Opener waren Bensin Peniz aus Bayreuth mit ihrer tighten Mischung aus Punk und Uptempo-Rock. Ein weiterer lokaler Act: The Dazed. Heavy Rock aus Lichtenfels.

Sympathisch bemalte Eier
Dass man kein lebender Stoner-Gott aus der kalifornischen Wüste sein muss um das Publikum richtig abgehen zu lassen, bewiesen Valient Thorr. Hätte die Mucke nicht so heftig und laut gedampft, man hätte das Augenzwinkern hören können. Endlich mal wieder eine Band, die sich selbst nicht besonders ernst nimmt, ohne dabei kaschperlhaft zu sein. Ein bisschen Glamrockzitat. Viel Punkrock. Schnell. Derb und auf den Punkt. Schade, dass die Platten nicht auch so geil räudig klingen wie die Band live. Abwechslungsreiche Strukturen und punkige Drums. Dicke Eier hier und da. Aber dafür sympathisch bemalte!

Die UK-Bikerrocker Orange Goblin, schon 2009 zu Gast, hatten ein wenig angenervt von technischen Problemen mit dem Bassequipment einen etwas holprigen Gig hingelegt. Zudem hatte sich der Gitarrist auf der Tour an der Achilles-Sehne verletzt. Aushilfsgitarrist Neil Kingsbury erfüllte seinen Job sehr gut, aber im Vergleich zu vergangenen Shows lief der Motor ab und an etwas unrund. Ihre Hits ballerten die alten Hasen trotzdem routiniert in den Sonnenuntergang. Das Publikum feierte die Band gnadenlos, was auch am unbändigen Charme des Front-Riesen Ben Ward liegen könnte. Ein bisschen Lemmy, ein bisschen großer, tätowierter Bruder. Als wollte er das komplette Festivalgelände umarmen. Die personifizierte Rock´n`Roll Leidenschaft. Nicht zu schade für ein Bierchen mit der ersten Reihe. Verbrüderung mit dem Publikum, die echt ist.

Zum Glück, es rockt
Ganz anders gestaltete sich dafür der Auftritt der Band, auf die unbestritten restlos das komplette Publikum gespannt wartete. Wortkarg wie eh und je, unnahbar und zugabenlos traten Vista Chino auf. In der Gemeinde der Desert- und Stonerrocker wegen Moneymaking-Vorwürfen und juristischen Querelen mit Ursprungsgitarrist Josh Homme und Ex-Bassist Scott Reeder sowieso nicht unumstitten, sorgte dann zunächst auch eine Neuigkeit für einen Dämpfer: Oliveri kommt nicht. Ob er aus den USA nicht ausreisen durfte, einfach keinen Bock mehr auf die Kyuss-Reunion hatte oder - wie Drummer Brant Bjork es formulierte - sich um seine "private problems" kümmern musste ist nicht vollends zu klären. Fest steht aber, dass mit Mike Dean von Corrosion of Conformity ein mehr als fähiger Ersatz am Bass eingesprungen ist.

Nach einem quälend langen Soundcheck der helfenden Hände (von pedantischem Beckengebimmel über unhörbar feines Tuning der Bassdrum bis hin zu einer langen "One-Two-Check"-Showeinlage des Vocal-Techs) war es dann soweit. Nebelgerät an. Vista Chino verlässt den auf neun Grad heruntergekühlten Tourbus, halb so lang wie das gesamte Festivalgelände. Und: Zum Glück, es rockt! Ein Kyuss-Klassiker nach dem anderen. Die ersten zehn Reihen formen jede einzelne Note mit dem Mund mit. So steingeworden sind die Licks, Wah-Wah-Tschicks und das Geboller der immer noch brutal groovenden Riffs. Gut eingespielt. Dazwischen neue Songs von der bald erscheinenden Platte. Davon bleibt allerdings nicht so viel hängen. Oft klingt es nach unfertigen Songideen. Oft ein wenig zu brutal gedroschen. Vielleicht fehlt ja doch der Oberzampano an der Gitarre?

John Garcia - aus der Nähe mit seiner schwarzen Verkehrtrum-Basecap nahe an einem Charly Sheen des Stonerrocks - schafft es nach wie vor. Er trifft den Blues. Der Sopran sägt sich immer noch durch die Fuzz-Türme untenrum.

Nichtsdestotrotz: Das wohl einzig wirklich schlimme Sound-Manko dieses ansonsten bestbeschallten Festivals schraubte der mitgebrachte Mischer dazu. Was war das? Chorus? Pitchshifter? Harmonizer? Hallfahne? Es klang nach allem gleichzeitig. Egal was es war, es versetzte Garcias Stimme einen Hauch von Keyboard. Weshalb Garcia sich die Stimme derart digital verzuckern lässt, bleibt ein Rätsel. So recht erdig-analog war das nicht. Un Sandpiper verschluckt sich am Laserschwert. Schade. Gut, dass Ben Ward von Orange Goblin für einen Song auf die Bühne kam um seine rotzige Kehle mit beizumischen.

Aber ihren Zweck erfüllten die Jungs trotzdem: Mindestens die Häfte des Bieres landete auf der Kutte oder im Genick des Vordermanns. Eine Mega-Rausch-Party, die Bock drauf macht, im nächsten Jahr wieder am Waldrand zu campen. Eins ist klar: Für Rock im Wald wird es schwer, das zu toppen. Aber wer weiß, vielleicht bekommt ja Nick Oliveri dann im nächsten Sommer ein Visum nach Lichtenfels. Mit welcher Band auch immer.