Druckartikel: Pflegen: Starke Belastung Tag für Tag

Pflegen: Starke Belastung Tag für Tag


Autor: Markus Häggberg

Frauendorf, Sonntag, 09. März 2014

"Pflege: gestern - heute - morgen!" war das Thema des Internationalen Frauentages. Ein Besuch bei Christa Müller in Frauendorf veranschaulicht, was es heißt, Pflegende zu sein.
Das Blutzucker-Messgerät wird jeden Tag von Christa Müller bedient. Sie ist wachsam und führt Tagebuch über die Werte ihres Mannes. Fotos: Markus Häggberg


Eine Studie im Rahmen eines EU-Projektes förderte es zu Tage: 73 Prozent aller in familiäre Pflege Einbezogenen sind Frauen. Weitere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen; irgendwo zwischen 70 und 80 Prozent pendelt sich immer die Zahl ein, hinter der viele aufopfernd pflegende Frauen stecken. Das deutsche Pflegesystem würde ohne sie kollabieren. Eine dieser Frauen ist Christa Müller.

"Was ist, Schatz?" Dieser Satz, von Christa Müller ausgesprochen, fällt häufig im Tagesablauf der 70-Jährigen. Immer dann, wenn ihrem Mann nach etwas verlangt, was er sich selbst nicht geben kann. Seit nun beinahe auf den Tag genau vor zehn Jahren ist sie für ihren Mann da.

Dafür hat sie eigens ihren Job als Betriebsratsvorsitzende vorzeitig gekündigt und Einbußen in Kauf genommen.

Ihr Mann liegt in einem Pflegebett, die Ernährung geht über eine Sonde, und wenn er spricht, dann hat er dabei Beschwerden, spricht undeutlich oder sehr leise. Christa Müller hört es trotzdem, ihre Sinne haben sich dafür geschärft. Seit ihr Karl vor Monaten während einer Bypass-Operation einen Schlaganfall erlitt, ist ihre Pflege besonders intensiv. Vier Wochen lag ihr Mann im Koma, dann war alles anders als jemals zuvor, und nun mörsert sie seine Tabletten, prüft dreimal täglich seine Blutzuckerwerte, verbindet seine Flaschennahrung mit einer Sonde, leistet Gesellschaft und führt ein Diabetes-Tagebuch.

Aus den Reisen, die man sich für das Alter vorgenommen hatte, ist nichts geworden. Der letzte gemeinsame Urlaub datiert von 2006: Besuch beim gemeinsamen Patenkind in Kenia.

"Was ist, Schatz?", sagt Christa Müller und unterbricht das Gespräch mit unserer Zeitung. Sie hat ihren beinahe unmerklich rufenden Mann gehört und steht von dem Schreibtisch auf, der früher ihr gemeinsamer Esstisch war. Jetzt liegen auf ihm behördlicher Schriftverkehr und Korrespondenzen mit Ämtern, der Krankenkasse, ein Diabetes-Tagebuch und Beschreibungen von Krankheitsverläufen. Wenn ihr Mann schläft oder sie etwas Zeit abseits eines pflegerischen Handgriffs hat, liest sie sich ein.

Gegen 23 Uhr, so sagt Christa Müller, kann sie selbst ins Bett gehen. "Wenn ich Glück habe", fügt sie an. Sie sieht müde aus. Dann stellt sie sich den Wecker auf 3 Uhr, weil sie dann das Befinden ihres Karls kontrollieren muss. Ist das getan, legt sie sich noch einmal zwei Stunden hin.

Was sein würde, wenn sie selbst erkranken sollte, das mag sie sich nicht ausdenken. Dass sie diesen Gedanken absichtlich beiseite schiebt, gibt sie zu. Genauso wie den Gedanken an die Zukunft. Auch sie wird nicht jünger, und die Pflege nicht leichter.

Fehlende Anerkennung

7 Uhr morgens, der BRK-Pflegedienst der Sozialstation kommt. Dann erhält ihr Mann eine Ganzkörperwäsche und wird eingecremt. Christa Müller hat dann zumindest schon Vorarbeiten erledigt, kann für frisch gewaschene Wäsche sorgen. Gegen 7.30 Uhr hängt sie Nahrung an die Sonde und nimmt ihrem Mann einen Tropfen Blut ab. Über ihn ermittelt sie mit einem Messgerät den Zuckerwert. "Dementsprechend wird Insulin gespritzt", erklärt die Seniorin. Auch das muss sie machen.

"Von meiner Warte aus würde ich sagen, erwartet ein Umfeld von einer Frau eher, dass sie zu pflegen hat", sinniert sie. Freundinnen würde ihr zu verstehen geben, dass sie das (das Pflegen) nicht könnten. Ihr Tun sieht die 70-Jährige jedoch nicht als besonders nennenswert: "Ich stehe mit einer Bekannten in Verbindung, die pflegt ihren Mann seit 18 Jahren. Die bekommt zu hören: Tu ihn doch ins Heim."

Ein anderer schmerzender Satz, den Pflegende auch zu hören bekämen: "Du bekommst doch Pflegegeld."
Es läuft nach Ansicht von Christa Müller etwas schief, auch was die Anerkennung von Leistung anbelangt: "Das ärgert mich immer, wenn ich höre, der oder der hat einen Orden gekriegt - so eine Frau, die ihren Mann 18 Jahre lang pflegt, die kriegt nicht die große Anerkennung." Und das monatliche Pflegegeld von rund 500 Euro, so wie in ihrem Fall, ist für eine 60-Stunden-Woche ohnehin nichts, zumal es für die Bedürfnisse des zu Pflegenden zu verwenden ist.
"Der Kontakt zur Außenwelt besteht fast nur noch aus Telefon, Zeitung und Fernseher", gesteht die ältere Dame und fügt an: "Wir wären gerne noch einmal nach Kenia geflogen."
Immerhin gibt es ein, zwei Nachbarn, die ihre Hilfe anbieten, und es gibt auch die Möglichkeit für Christa Müller, ein paar Pflegestunden zu buchen. Dann hat sie frei, kann einkaufen gehen oder auch mal ins Thermalbad. Zeit für sich, Zeit zum Auftanken.

Vor dem 26. Januar war Christa Müllers pflegerische Belastung stark, aber ihr Karl konnte laufen und sprechen. Jetzt liegt er. Seine Frau hofft auf Besserung. Und sie mag sich nicht ausmalen, wie das später einmal werden soll. Dann, wenn sie noch älter geworden sind.
Aber sie pflegt ihren Karl gerne. Der hat es sich einst nicht nehmen lassen, ihre Mutter zu pflegen. Vier Jahre lang.