Nachts wächst das blaue Wunder
Autor: Andreas Welz
Wiesen, Donnerstag, 13. Juni 2013
Für die präzisen Schweißarbeiten muss die Temperatur möglichst konstant sein. Deshalb wird an der ICE-Brücke bei Wiesen nachts gearbeitet.
Als 1867 die erste Mainbrücke zwischen Unterzettlitz und Wiesen eingeweiht wurde, dachte wohl niemand daran, dass 141 Jahre später die Eisenbahn mit einem Hochgeschwindigkeitszug dort vorbeidonnern wird. Eine damals undenkbare technische Entwicklung wird jetzt Realität. Für die Querung des Mains entsteht dort eine 219 Meter lange Brücke mit drei Bögen.
An der neuen ICE-Mainbrücke in Wiesen wird derzeit auch nachts gearbeitet. Der Leiter der Bauüberwachung, Jörg Börries, erklärte bei einem Ortstermin in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, dass jetzt Stahlteile mit hoher Genauigkeit eingebaut werden. Das gehe wegen der tagsüber zu großen Temperaturschwankungen nur nachts. Es handele sich um das Verschweißen der so genannten Hänger, die den Versteifungsträger oder die Fahrbahn mit den Bögen verbinden. Die Arbeiten sollen am 14.
Nur ein Knistern
Wie ein gestrandeter Wal liegt das "Blaue Wunder", die Brückenkonstruktion, auf dem Montageplatz. Es herrscht in dieser Nacht Totenstille. Kein Hämmern, kein Motorenlärm durchdringt die Stille. Sogar das Knistern des Schweißbogens ist nicht zu vernehmen. Bauleiter Marco Thiel erläutert die Ruhe auf der Baustelle. Die Schweißer arbeiten in kleinen Zelten und wenden ein besonderes Verfahren, das Fülldrahtschweißen mit Schutzgas, an. Dabei wird der umgebende Sauerstoff vom Schweißbad ferngehalten. Zugluft sei schädlich, da sie den Schutzschirm zerstören könne. Oxidation und Schlackebildung wäre die Folge und Ablagerungen in der Schweißnaht verringere die Festigkeit der Naht.
Der Einsatz in den Nachtstunden sei mit den dann geringen Temperaturschwankungen zu klären, die nicht mehr als fünf Grad betragen dürften. Der Grund: Metalle dehnten sich bei höheren Temperaturen aus und zögen sich bei sinkenden Temperaturen zusammen. Diese Bewegungen erzeugten unerwünschte Spannungen im Material. Die Konstruktion bestehe aus einer Kombination der Tragwirkung eines unten liegenden Balkens, dem Versteifungsträger und eines darüber angeordneten schlanken Bogens, an dem der Balken mit Stäben angehängt sei.
Wenn das Mittelteil fertig ist, werde es hydraulisch über den Pfeiler und das Wiederlager am Mainufer gezogen, sagte der Bauleiter. Dann beginne man mit dem rechten Bogen in Richtung Lichtenfels gesehen und schließlich mit dem linken. Danach würden die Teile mit einem 500-Tonnen-Kran zusammengefügt und im Ganzen über die fertigen Pfeiler eingeschoben.
Am Ende drei große Bögen
Insgesamt entstünden drei Bögen für die Mainbrücke und einer für die Flutmuldenbrücke bei Wiesen. Rund 1000 Tonnen Stahl seien dann verbaut. Über die Vermutung in der Bevölkerung, dass der Brückenbau durch das schlechte Wetter verzögert und deshalb Überstunden auch nachts angeordnet wurden, kann Thiel nur lachen. "Wir liegen genau in der Zeit", sagte er.
Südlich der Brückenbaustelle wird die Neubaustrecke mit dem Bestandsnetz der Bahn verbunden. Nördlich führt die Neubaustrecke in den 3756 Meter langen Tunnel Eierberge. Mit den beiden Stahlbrücken in Oberfranken und einer 110 Meter langen Stahlbrücke im Süden von Halle (Saale) wären dann alle 26,7 Brückenkilometer der Neubaustrecke komplett. Auf 230 Kilometern Neubaustrecke entstehen 35 große Talbrücken nach modernen Konstruktionsprinzipien. Sie sind für bis zu 300 km/h befahrbar. Bei den Betonbrücken sind bereits alle Lücken geschlossen.