Lichtenfelser Karter hatte ein Blatt für die Ewigkeit
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Sonntag, 21. August 2016
Dem Lichtenfelser Uwe Kraus widerfuhr, wovon die meisten Schafkopfspieler ein Leben lang vergeblich träumen: Er hiel vier Ober und vier Unter in den Händen.
Es ist der 9. August. Schafkopfabend in einem Lichtenfelser Gasthaus. Drei Männer sitzen beisammen, einer gibt aus. Nach und nach hebt der Lichtenfelser Uwe Kraus (59) die acht Karten hoch - am Ende hält er etwas in Händen, das man "nur einmal im Leben oder nie" bekommt, wie er es ausdrückt.
Wie gleich zwei Sechser in Lotto
In 45 Jahren hat er so ein Blatt beim Schafkopf noch nie gehabt, und, da ist er sich sicher, es wird ihm auch nie wieder passieren. Wenn doch, dann wäre das wie ein Sechser im Lotto - nach einem Sechser im Lotto. Zumindest, wenn man sich eion bisschen mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auskennt.
Eine Geschichte über den Schafkopf, die Kart- und Wirtshauskultur in Lichtenfels und acht Trümpfe in einer Hand. Und über Uwe Kraus.
22. So viele Namen hat Uwe Kraus auf einem Zettel stehen.
"Ich habe eine Liste daheim mit kartinteressierten Personen, aus denen ich auswählen kann". Die, die am 9. August im Wirtshaus "Zum Dümpfelschöpfer" mit ihm spielten, waren Thilo Böhm und Wilfried Müller, zwei Kumpel in ähnlichem Alter.
Bedienung kannte sich nicht aus
Als sie in besagtem Spiel ihre Karten aufhoben, konnten sie gleich aufgeben. Denn Kraus hatte vier Unter und vier Ober auf der Hand. Acht Karten aus 24, die acht größten Trümpfe.
"Ich habe die Bedienung hergerufen und gefragt, ob sie sich mit dem Spiel auskennt", so Kraus. Aber die Bedienung sei jung gewesen und habe keine Ahnung gehabt. Als der 59-Jährige diesen Satz ausspricht, klingt er vorwurfsfrei. Aber es schwingt etwas mit, so etwas wie ein Hauch von Wehmut über das In-Vergessenheit-Geraten eines schönen geselligen Spiels im Wandel der Zeit.
"Früher bist du zum Karten mehr auf die Dörfer gefahren, nach Mistelfeld, Oberlangheim oder Uetzing - auch wegen der Brotzeiten. Die waren günstig und gut. Später hat sich das nach Lichtenfels verlagert", erinnert sich Uwe Kraus. Im Alter von zwölf oder 13 Jahren habe er Schafkopf gelernt und später, jeden Montag nach der Berufsschule, sei es in den Wicklespeter oder später zur Seffa am Marktplatz gegangen, der "Goldgrube von Lichtenfels". Hier sei das Spiel zuhause gewesen. "Bei der Seffa wurde nur gekartet, da hast du keine Mitkarter suchen müssen."
Vom Brunzkarter und vom alten Jaud
Kraus erzählt vom Brunzkarter, der Person also, die immer dann für ein paar Spiele einspringen durfte, wenn jemand am Tisch austreten musste. Sogar die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner hat einmal zugegeben, reichlich Erfahrung als Brunzkarterin zu haben.
Es gibt viele Begriffe oder Sätze, die längst zum festen Sprachgebrauch an Karttischen gehören. "Kennst du den alten Jaud? Der hat sich zu Tode gemischt" ist so eine. Ob damit ein einstiger Lichtenfelser Unternehmer oder jemand völlig anderes gemeint ist, wisse er nicht, so Uwe Kraus. Aber die Redewendung gehe leicht von den Lippen. So wie der etwas doppelbödige Satz "Na, eine wird er schon noch haben" auf die Frage, ob ein Mitspieler nicht eine Eichel habe ...
Das Frotzeln gehört dazu
Das Frotzeln und Fabulieren machen Kraus, Böhm und Müller als zusätzlichen Reiz des Spieles aus, eine nette Begleiterscheinung.
So zwischen 20 000 und 25 000 Schafkopfrunden habe er im Leben absolviert, überschlägt Kraus. Überschlagen kann er gut, mitunter sogar erstaunlich präzise. Als ein langer Satz fällt, erklärt er nach zwei Sekunden, wie viele Buchstaben dieser enthielt. Bei der anschließenden Probe aufs Exempel liegt er absolut richtig, auch bei einer dritten Probe. Beim Karten helfe ihm diese Fähigkeit, um Punkte schnell zu zählen. Verblüffend. Aber er hat auch ebenso verblüffende Kartentricks auf Lager, die von einem Illusionisten stammen könnten.
Leichtes Bedauern über den Niedergang der Kartkultur findet sich auch bei Thilo Böhm. Er vermutet, dass es vielleicht noch in den Dörfern eine Kartkultur gibt, "in denen das Internet noch langsam ist". Heute werde zudem das Kartenspielen in manchen Gasthäusern nicht mehr gerne gesehen.
"Ich karte nur mit Leuten, die ich kenne."
Doch, Zusammenhänge zwischen Charakter und Spielweise gebe es schon, lassen die drei Männer anklingen. Wer zurückhaltend im Leben ist, könnte dies auch beim Kartenspiel sein. Als ein Karter wegen seiner zurückhaltenden Spielweise als Bausparer bezeichnet wird, hält Böhm zur eigenen Spielweise wortgewitzt dagegen: "Wir sind der Neue Markt, wir sind die Aktionäre."
Kraus mag es gemütlich, ein Preisschafkopf-Turnier sei nichts für ihn. "Das ist Stress, weil da kennt man die nicht, mit denen man spielt. Und die regen sich auf, wenn man einen Fehler macht. Das ist Stress. Ich will keinen Stress, ich karte nur mit Leuten, die ich kenne."
Schon oft hat sich diese Runde zum Schafkopfen getroffen. Und das soll sich nicht ändern. Auch wenn jetzt eigentlich nichts mehr kommen kann. Denn noch einmal so ein Blatt ist Utopie. Es wird daher einen Ehrenplatz im Lokal erhalten.