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Kickboxen als Angebot für straffällige Jugendliche


Autor: Christa Burkhardt

Lichtenfels, Donnerstag, 07. Februar 2013

Wer "Scheiß gebaut" hat und dann bei Amtsrichter Wagner vor Gericht steht, bekommt oft die Teilnahme an "Meilenstein" als Auflage. Ein Angebot dabei ist Kickboxen, es geht um Präzision, Körperbeherrschung und Konzentration.
Kräfte fokussieren und von Kick zu Kick Fortschritte machen: Sozialpädagogin Andrea Zellmer und Bewährungshelfer Andreas Winkler beobachten das Training.Fotos: Christa Burkhardt


Dicke Luft hängt in der Turnhalle des TV Oberwallenstadt. Hier und da ist ein Stöhnen zu hören. 14 junge Männer schwitzen. Kickboxen steht auf dem Trainingsplan.

Aber das kommt erst später. Jede Trainingseinheit beginnt mit einer halben Stunde Basketball. Dann folgen Stretching- und Aufwärm-Übungen. Das Training ist schon über eine Stunde alt, die meisten sind klatschnass geschwitzt, einige haben eigentlich schon genug, da teilt Trainer Marcel Hunger erst die Kickbox-Handschuhe aus. An die Jugendlichen und an Bewährungshelfer Andreas Winkler, der mitschwitzt.

Körperbeherrschung

Am Rand der Halle sitzt Andrea Zellmer, Diplom-Sozialpädagogin und Ansprechpartnerin für das Projekt Meilenstein. Denn das hier ist kein gewöhnliches Vereinstraining.

"Beim Kickboxen geht es um Körperbeherrschung, Koordination, Kondition und die richtige Technik", sagt Winkler. "Im Training sind die Jugendlichen auf allen Ebenen gefordert. Motorisch und mental." Er zeigt auf einen 17-Jährigen mit hochrotem Kopf. "Der ist heute zum ersten Mal hier."

Vor kurzem saß er bei Jugendrichter Wagner im Gerichtssaal. Sachbeschädigung und Körperverletzung, lautete die Anklage. Einige Stunden gemeinnützige Arbeit und Mitmachen bei Meilenstein legte der Richter dem jungen Mann auf. Andrea Zellmer lud ihn auch gleich zum Kickboxen ein.

"Dieses Angebot machen wir seit einem Jahr", sagt Zellmer und staunt selbst ein wenig über den Erfolg. "Die Jugendlichen kommen gern zum Training. Auch in den Ferien und sogar an den Weihnachtsfeiertagen."

Energie in sinnvollen Bahnen

Hier werden sie gefordert. Hier können sie ihre Energie in sinnvolle Bahnen lenken. Hier erleben sie Kontinuität und halten von Training zu Training länger durch. "Das gibt ihnen ein Selbstbewusstsein und ein Selbstwertgefühl, das die meisten noch nie erlebt haben", sagt Zellmer.

Die Regeln sind streng. Saubere Technik ist das Wichtigste. "Wir machen das so genannte Leichtkontakt-Kickboxen. Wer K.O. schlägt, wird nicht Sieger, sondern disqualifiziert", sagt Bewährungshelfer Winkler. Kräftemessen mit Köpfchen und präzisen Kicks.

Und ganz nebenbei können die Jugendlichen mit Andrea Zellmer und Andreas Winkler reden. "Beim Training ist die Hemmschwelle viel niedriger, uns anzusprechen als im Büro", erleben die beiden jede Woche.
Immer wieder geht die Tür auf, und ein junger Mann kommt herein. Längst hat er seine richterlichen Auflagen erfüllt, seine Schulden abbezahlt und seine Lehre wieder aufgenommen.
Aber jetzt hat er Stress mit der Freundin. Oder mit den Eltern. Oder mit dem Chef. Oder er weiß nicht, wie er diesen oder jenen Antrag ausfüllen muss.

Aber er weiß, wo er Andrea Zellmer und Andreas Winkler findet. Und die helfen ihm, auch wenn er schon lange nicht mehr vom Gericht angeordnet bei Meilenstein mitmachen muss. Außerdem bleiben die meisten langfristig beim Kickboxen. Und längst nicht alle, die mittrainieren sind straffällig geworden. "Das Training ist offen für alle", sagt Winkler, "was wir hier trainieren tut allen Jugendlichen gut."
Meilenstein - Mein Leben neu steuern - Inspiration nutzen - hilft jugendlichen Straftätern dabei, nach vorn zu blicken, ihre Zukunft zu planen und die Bewährungsstrafe oder den Jugendarrest, den sie hinter sich haben als das zu sehen, was er meistens ist: ein einmaliger "Ausraster" nämlich und nur in den wenigsten Fällen der Start in eine kriminelle "Karriere".

"Ich hab´ Scheiß gebaut"

Die Jugendlichen gehen mit ihren Vergehen offen um. "Ich hab´ Scheiß gebaut", sagen sie. Jugendrichter Wagner sagt: "Ich bin seit über 20 Jahren Jugendrichter und, glauben Sie mir, die Jugendlichen sind viel selbstkritischer als man ihnen zutraut.

Oft schildern sie der Polizei schonungslos, was passiert ist und versuchen oft schon an Ort und Stelle den Schaden selbst zu richten. Deshalb weigere ich mich, junge Menschen zu Kriminellen zu stempeln, weil sie einmal unüberlegt gehandelt haben. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass es bei dem einen Mal bleibt."

Zwei Minuten Pause in der Turnhalle. Die meisten trinken etwas. "Ich hör´ das Rauchen auf", stöhnt der 17-Jährige. Dann spricht wieder Trainer Marcel Hunger.

Seine Anweisungen kommen leise und eindringlich, präzise formuliert. Zwei Stunden sind um. Aber keiner will aufhören. Zu gut tut es, seine Kräfte zu fokussieren und von Kick zu Kick Fortschritte zu machen. Fortschritte auf dem Weg in ein selbstbewusstes und selbst gesteuertes Leben.