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Hebammen-Legende: Schwester Betty und der Krieg


Autor: Matthias Einwag

Bad Staffelstein, Mittwoch, 12. Februar 2014

Betty Greich hat als Hebamme Tausenden auf die Welt geholfen. Mit dem Moped, später mit dem VW Käfer besuchte sie die Mütter und Kinder im Staffelsteiner Land. Als junge Frau war sie Rot-Kreuz-Schwester und wirkte während des Krieges in Lazaretten an der Front.
Betty Greich berichtet aus ihrem bewegten Leben; vor sich hat sie Fotoalben mit Bildern aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Foto: Matthias Einwag


Betty Greich kann stundenlang erzählen. Das tut sie glasklar strukturiert. Immer neue Details fallen ihr ein. Die 91-Jährige ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Mit klarer Stimme erzählt sie von ihrem Einsatz als Rot-Kreuz-Schwester während des Kriegs in einem Lazarett auf der Krim, vom Rückzug aus Russland über Rumänien bis nach Tschechien, aber auch von Tausenden Geburten, die sie nach dem Krieg als Hebamme begleitete.

Betty Greich kommt 1922 in Uetzing zur Welt. Sie besucht dort die Dorfschule, die sich aus der dreiklassigen "kleinen" und der vierklassigen "großen Schule" zusammensetzte. Sie leistet nach Abschluss der Schule ein Pflichtjahr bei einem Bauer ab und besucht dann die Hauswirtschaftsschule in Regensburg. In Coburg lässt sie sich anschließend zur Krankenschwester ausbilden und macht 1942 Examen.

Später, nach dem Krieg, wird sie eine dritte Ausbildung absolvieren und sich in Bamberg zur Hebamme qualifizieren.


Ohne Angst in den Krieg

Doch zunächst führt ihr Lebensweg nach Russland. Ihre Oberin vom Roten Kreuz fragt sie, ob sie sich den Einsatz in einem Lazazett vorstellen könnte, und Betty Greich sagt zu. Angst, dass ihr etwas passieren könnte, hat die 21-Jährige nicht, als sie 1943 auf die Krim geschickt wird. In Odessa, Sewastopol und Rostow wird sie eingesetzt. "Ich war die Jüngste, die anderen waren alle älter."

Die Soldaten, die oft mehr tot als lebendig ins Lazarett eingeliefert werden, sind meist in ihrem Alter. "Sie können nur versuchen zu helfen", beschreibt Betty Greich ihre Tätigkeit. Sie geht auf Fliegerangriffe ein und auf Verwundete, die sie auf dem Operationstisch sah. Manches deutet sie nur an, denn die Erinnerungen sind zu schrecklich. "Ich vergess' des alles nicht", unterstreicht sie. Und wenn es besonders heftig wird, streut sie immer mal wieder ein: "Des schreiben Sie jetzt aber nicht."

In dieser Zeit hat sie gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. "An und für sich nehme ich das Leben leicht, ich bin positiv." Die traumatisierenden Kriegserlebnisse führen bei ihr nicht zur Abstumpfung, wohl aber zu einer gewissen Gelassenheit: "Ich nehm's seither leichter, wenn irgendwas im Leben nicht so ist, wie ich es gern haben möchte."


Chaos an der Ostfront miterlebt

Als die deutschen Truppen 1944 von den Russen zurückgedrängt werden, tritt auch das Sanitätspersonal den Rückzug an. Station um Station geht es nach Westen. Oft geschieht das chaotisch und überstürzt. "Ich red' immer mit Händ' und Füß, und damit bin ich überall durch'komma", beschreibt sie unbefangen, wie sie den Krieg überstanden hat.

Über Rumänien führt der Weg von Schwester Betty im Zickzack bis Pilsen. Sie schildert Erlebnisse während des Transports auf der Eisenbahn, nennt Namen von Stabsärzten, berichtet von Gefangenenlagern, von Kriegsgräueln und von simplen medizinischen Methoden. Wir können uns heute kaum vorstellen, dass es damals normal war, Bluttransfusionen von Mensch zu Mensch auszuführen. Ihr Dienst als Krankenschwester gibt Betty Greich in all diesen Situationen Halt. Sie kann Menschen helfen: "Behandelt hab' ich alle gleich, aber gesprochen hab' ich mit jedem anders." Ihr Leitgedanke im Leben ist stets gewesen: "Ganz gleich, ob der Mensch schwarz oder weiß ist und welche Religion er hat - für mich ist das Wichtigste, menschlich miteinander umzugehen."

Als sie aus der Gefangenschaft entlassen wird, macht sie sich von Pilsen aus auf den Weg nach Hause. In ihrer Schwesterntracht, mit Rucksack, Feldbeutel und Taschenlampe, schlägt sie sich bis Nürnberg durch. Auf den Ladeflächen der Lastwagen, die sie benutzt, stehen 50 bis 60 Personen. "Es hat jeder jedem geholfen, weil jeder in Not war", beschreibt sie den Geist jener Zeit.

Sie kommt in das völlig zerbombte Nürnberg und ist erschüttert. Rundfunknachrichten von Kämpfen im Maintal jagen ihr nun doch Furcht ein. Sie hegt bange Gedanken: Wie mag es daheim in Uetzing aussehen? So wie hier in Nürnberg?


Bange Gedanken an Zuhause

Mit fünf aneinandergekoppelten Lokomotiven tritt sie den letzten Teil der Reise an. Zapfendorf ist ebenfalls schlimm getroffen und liegt in Trümmern. Voller schrecklicher Ahnungen, wie es zu Hause aussehen mag, näherte sie sich Staffelstein. Groß war die Freude der Eltern, als sie ihre Tochter gesund in die Arme schließen konnten. Man wusste kaum voneinander, denn die Kontaktmöglichkeiten waren eingeschränkt - nicht einmal das Telefon funktionierte. "Man hat ja bloß gearbeitet, zum Briefeschreiben kamen wir kaum."


Wunsch, Hebamme zu werden

Zu dieser Zeit kommt in ihr der Wunsch auf, sich zur Hebamme ausbilden zu lassen. 1947 bis 1949 tut sie das in Bamberg. 1950 heiratet sie und eröffnet zunächst eine Praxis für Uetzing und den Lautergrund. Um mobil zu sein, kauft sie sich ein Moped: "Damit bin ich überall hin gefahren." Zunächst half sie bei Hausgeburten im Lautergrund, dann kam der Banzgau hinzu. Das Moped war zu langsam, so dass sie sich einen VW Käfer zulegt: "1959 hab ich mir einen alten Standard gekauft", sagt sie. Damit preschte sie durch den damaligen Kreis Staffelstein, holte Tausende Kinder auf die Welt. "Meine Kinder" sagt sie und "meine Mütter". Zehn Tage lang wurden die Mütter damals mit Hausbesuchen versorgt. Das war eine Menge Arbeit. Die Fahrten mit Betty Greich am Steuer ihres blauen Käfers sind manchen Müttern noch heute im Gedächtnis - und durch die Erzählungen auch ihren Kindern, von denen manches beinah während der Fahrt das Licht der Welt in Gestalt der Käfer-Innenraumbeleuchtung erblickt hätte.

Wie vielen Kindern Betty Greich auf die Welt geholfen hat, weiß sie ganz genau: "A Kollegin in Weismain hat 4600 - bei mir sind's mehr", sagt sie und lächelt souverän. Wie viele es genau sind, will sie nicht verraten, damit gebe sie nicht an. Ob sie die Zahl nicht kenne? "Na freilich weiß ich die Zahl", kontert die 91-Jährige, schließlich habe sie jede Geburt penibel in ihre Hebammentagebücher eingetragen. Diese Bücher wird sie ihr Lebenlang aufbewahren. Doch darin steht auch, dass manches Leben bereits beendet war, bevor es so richtig begann.

Bis 1985 praktizierte Betty Greich als Hebamme. Aus gesundheitlichen Gründen ging sie in den Ruhestand. Sehr stolz ist sie auf ihre drei Enkelinnen - eine hat Lehramt studiert und zwei sind Medizinerinnen geworden.