Druckartikel: Graues Garn für den Bundestag

Graues Garn für den Bundestag


Autor: Sarah Stieranka

Michelau, Mittwoch, 26. Oktober 2016

Die Firma beliefert namhafte Kunden wie die Lufthansa und den deutschen Bundestag. Doch die Weber-Textilveredelung sucht verzweifelt einen Auszubildenden.
Ein Mitarbeiter vergleicht die Farben der Fäden, die der Kunde bestellt hat - im Laufe der Jahre hat sich die Farbe leicht verändert.  Fotos: Sarah Stieranka


Zwei Fäden - beide sind grau. Auf den ersten Blick. Jan Bergler merkt sofort: Das stimmt nicht. Der eine Strang ist gelblicher, der andere rötlicher. Für einen Laien nicht zu erkennen. Doch der 35-Jährige kennt sich aus. Als Geschäftsführer der Weber Textilveredelung in Michelau ist das sein Job.

Dort produzieren und färben 52 Mitarbeiter täglich Garne für Teppichböden sowie die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Doch der Erfolg färbt nicht auf potenzielle Auszubildende ab. "Wir haben einen Fachkräftemangel. Es ist einfach traurig", beklagt sich Jan Bergler. Zudem beendete erst vor kurzem ein Auszubildender seine Lehre zum Produktveredler aus gesundheitlichen Gründen - der Einzige, der sich auf die Stelle beworben hatte.


Die Ansprüche runtergeschraubt

Doch Jan Bergler sucht weiter, denn bis Dezember kann er Auszubildende noch in der Berufsschule
anmelden. Von Interessenten erwartet er zumindest einen Hauptschulabschluss. Vom Wunsch nach der mittleren Reife habe er sich bereits verabschiedet, sagt er. "Die Noten sollten im Zweier- und Dreierbereich liegen." Besonders wichtig sind die Fächer Chemie, Physik und Mathematik. Zudem erwartet der Geschäftsführer Eigeninitiative, Teamfähigkeit und Leistungsfähigkeit. "Der Auszubildende darf nicht farbenblind sein", ergänzt er. Denn das sei vor allem bei Männern kein seltenes Phänomen.

Im ersten Ausbildungsjahr lernen die Neuankömmlinge alles über die Entstehung von Textilien wie Wolle und Polyester. Erst im dritten Lehrjahr färben die Angestellten die Garne. "Das ist eine Erfahrungssache, wie beim Kochen. Da muss man auch wissen, wie viel Salz man für ein Gericht braucht." Auch beim Färben gibt es spezielle Rezepturen, die besagen, wie viel Rot, Blau oder Gelb benötigt wird. Die Vergütung steigert sich von Jahr zu Jahr um 100 Euro; sie beginnt im ersten Lehrjahr bei 700 Euro. Gearbeitet wird im Schichtbetrieb von 6 bis 14 Uhr und 14 bis 22 Uhr.

Einzige Ausnahme: Im Sommer kann es zu Nachtschichten kommen, wenn die Temperaturen in den Räumen zu stark ansteigen. "Im Sommer kommt es vor, dass wir drinnen 38 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit haben."
Nach der Ausbildung stehen die Chancen auf eine Übernahme nicht schlecht. "Ich finde es unfair, jemanden nicht zu übernehmen, wenn er sich reinkniet. Wenn die Noten stimmen, sollte das belohnt werden", erklärt Bergler. Und die Noten sollten nach der Ausbildung im Dreierbereich liegen.

Dann steht den Absolventen nichts mehr im Weg - sogar Weiterbildungen sind möglich. "Man kann vom Meister bis zum Diplom-Ingenieur alles machen", so der 35-Jährige. Wer glaubt, mit der Ausbildung an das Familien-Unternehmen von 1893 und den Beruf gebunden zu sein, irrt. Die Möglichkeiten sind zahlreich - Mode-Handelsketten wie Kik und AWG suchen öfter Fachkräfte, die die Produktion im Ausland überwachen. Wem das zu langweilig ist, der sollte eine Karriere bei der Kriminalpolizei im Bereich der Faser-Analyse anstreben.