Geduld des Gerichts ist zu Ende

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Diesmal entschied Justitia gegen den Angeklagten: Der 32-jährige Bad Staffelsteiner muss für zwei Jahre in eine Entziehungsanstalt. Fruchtet das nicht, heißt das Haft.Christopher Schulz
Diesmal entschied Justitia gegen den Angeklagten: Der 32-jährige Bad Staffelsteiner muss für zwei Jahre in eine Entziehungsanstalt. Fruchtet das nicht, heißt das Haft.Christopher Schulz

Ein 32-Jähriger muss für zwei Jahre einrücken, weil er unter Alkoholeinfluss immer wieder zur Gefahr für seine Umwelt wurde.

Sechs Akten mit vorwurfsvollem Inhalt lagen aufgefächert vor Rechtsanwalt Johannes Kulla. Neben ihm sein Mandant, für den der Dienstag auf dem Amtsgericht zum Tag der Entscheidung werden sollte: letzte Chance mit Bewährung oder Haft bzw. Unterbringung. Am Ende sollte Richter Alexander Zenefels eine Haftstrafe aussprechen, weil "die Sozialprognose eben nicht günstig ist".

Es war der zweite Prozesstag, und er sollte über zehn Stunden dauern. Ruhig und sortiert wirkte der 32-jährige Bad Staffelsteiner neben seinem Anwalt. So ganz anders als das, was in dem halben Dutzend Akten zu ihm verzeichnet steht. Sämtliche Anklagen zwischen vorsätzlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung, sexuellem Übergriff, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Beleidigung zeichneten den Kurstädter als impulsiv und - erst einmal in Rage geraten - schwer zu bändigen.

So soll sich der Angeschuldigte am 19. Mai 2017 gewaltsam Zutritt zur Wohnung seines Nachbarn verschafft haben, weil er vermutete, dass dieser bei seinem Besuch zuvor die Fernbedienung mitgehen ließ. "Dass ich ihn gegen das Gesicht geschlagen habe, das wohl nicht", beteuerte der 32-Jährige gegenüber Staatsanwalt Johannes Tränkle, gab aber zugleich zu, dass "kleinere Streitereien" zwischen ihnen seit sechs, sieben Jahren dazugehören.

Faustschläge ins Gesicht

"Ich hatte ein Alkoholproblem, war damals Pegeltrinker", ergänzte der Beschuldigte und räumte auch ein, im vergangenen Jahr "manchmal zu Substanzen gegriffen" zu haben, wenngleich auch nicht während des Nachbarschaftsvorfalls, bei dem sein 36-jähriger Nachbar mit zwei Faustschlägen ins Gesicht bedient worden sein soll. Auffällig an diesem Nachbarn war, dass er während der Verhandlung sehr zum Relativieren des Geschehenen neigte.

Ein weiterer Anklagepunkt bestand in einem Vorfall, der vom Gericht als sexueller Übergriff gewertet werden sollte. "Es war ein normaler Tag bei mir, habe früh zu trinken angefangen und wollte mir im Supermarkt noch Bier kaufen", erinnerte sich der Beschuldigte. Doch nahe des Bad Staffelsteiner Supermarktes kam es im vergangenen Sommer zu einer Begegnung, die der leidtragenden Frau noch am Dienstag im Gericht die Stimme versagen und die Tränen in die Augen schießen ließ. "Der Mann ließ seine Hose bis auf die Kniekehlen runter und rannte auf mich zu", bestätigte sie. Da sie von ihm für eine Türkin gehalten wurde, habe er auch ausländerfeindliche Parolen parat gehabt und die Drohung, sich an ihr zu vergehen.

Vorwurf: Ex-Freundin belästigt

Der Angeklagte hatte auch eine Erklärung für den Vorfall: er versicherte, lediglich weite Hosen angehabt zu haben, die durch das Gewicht von Bierdosen auf Kniehöhe herab gerutscht seien. Eine Vergewaltigungsabsicht habe hingegen nie vorgelegen. "Ich habe weder eine rechte Einstellung noch was gegen Ausländer", versicherte der Mann zudem.

Doch schon vier Tage später sorgte er wieder für einen Vorfall, diesmal auf dem Schützenfest in Lichtenfels. "Das ist der suspekteste Fall von allen", kommentierte der 32-Jährige den Vorwurf, er habe am Bahnhof in der Korbstadt seine Ex-Freundin belästigt. Was allerdings unbestreitbar ist, war sein Torkeln über die Bahnschienen, nur um einen Weg zum Schützenfest abzukürzen. "Hab schon gut einen Sitzen gehabt", erklärte der Angeklagte sein Verhalten.

Immer wieder lieferte der Beschuldigte auch Gründe für seinen Griff zu den Flaschen. Mal war es der Tod des Großvaters, mal der Streit mit den Eltern und mit Freunden. Dann und wann sei er auch "gelangweilt vom Tagtotschlagen" gewesen. Bei einer Festnahme, die ihm sein Verhalten im März 2018 einbrachte, schlug er einer Polizistin sogar die Brille vom Kopf und leistete Widerstand. "Wenn ich es mir nüchtern durchlese, weiß ich auch nicht, was mit mir durchgeht", erklärte der Bad Staffelsteiner zu seinen Kontrollverlusten. Die träten immer in Verbindung mit Alkohol auf und darum sei er nun auch trocken.

"Grundsätzlich schuldfähig"

Doch ein Psychiater bescheinigte ihm auch "grundsätzlich Schuldfähigkeit" und sprach sich für eine Unterbringung samt Entzug statt einer Freiheitsstrafe aus. Ziel müsse es sein, von dem seit seinem 13. Lebensjahr mit Berauschung erfahrenen Mann die Durchbrechung dieses Verhaltensmusters einzufordern. Eine Ansicht, die auch Staatsanwalt Tränkle in Bezug auf den schon wegen Diebstahl, Betrug und vorsätzlicher Körperverletzung in Erscheinung getretenen Angeschuldigten teilte.

Der wiederum mochte sich mit dem Gedanken an eine Unterbringung nicht anfreunden, nicht jetzt, wo er nun doch in einer intakten Beziehung lebe, trocken sei und sich von seiner alten Umgebung distanziert habe.

Doch was oft als günstige Sozialprognose betrachtet wird, verfing bei Richter Alexander Zenefels nicht. Er sollte an die Rückfälle des 32-Jährigen erinnern und sprach ihn schuldig in nahezu allen Anklagepunkten. "Die Taten sind nichts, wo man drüber hinweg schaut." Für zwei Jahre, so der richterliche Beschluss, wird der Bad Staffelsteiner in eine Entziehungsanstalt einzurücken haben. "Sollte das nicht funktionieren, heißt das Haft", setzte ihm Zenefels die dazu zweijährige Alternative auseinander.