Druckartikel: Entbürokratisierung in der Pflege - bloß wie?

Entbürokratisierung in der Pflege - bloß wie?


Autor: Ramona Popp

Lichtenfels, Freitag, 09. Januar 2015

Die überbordenden Dokumentationsvorgaben in der Altenpflege werden seit Jahren von Fachkräften beklagt. Jetzt soll ihnen die Arbeit erleichtert werden. Doch ohne konkrete Richtlinie lässt die Politik die Betroffenen im Regen stehen.
Petra Erdmann, stellvertretende Pflegedienstleitung im BRK-Wohn- und Pflegeheim "Am Staffelberg" in Bad Staffelstein, kommt während der Essensausgabe den Dokumentationspflichten nach. Sie ist auch Qualitäts- und Hygienebeauftragte des Hauses.  Foto: Ramona Popp


Die Mitteilung von Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml kam zur Weihnachtszeit und barg eigentlich eine frohe Kunde: "Die Pflegedokumentation kann deutlich reduziert werden." Eigentlich. Denn konkrete Hinweise zur Umsetzung fehlen. Vielmehr wird die Verantwortung den Führungskräften in den Heimen zugeschoben ihre Aufgabe sei es jetzt, die Dokumentationsvorschriften zu lockern und für einen Bürokratie-Abbau zu sorgen. Die Ministerin schrieb sogar: "Unnütze Dokumentation ist unprofessionell." Und dass die haftungs- und strafrechtliche Bedeutung der Pflegedokumentation überschätzt werde, wie eine neue Studie zeige. Pflegekräfte stünden nicht mit einem Fuß im Gefängnis, wenn sie die Dokumentation auf das beschränken, was aus pflegefachlicher Sicht bedeutsam ist.



Damit schiebt Ministerin Huml den Schwarzen Peter in der Debatte um die inzwischen allgemein als "Dokumentationswahnsinn" bezeichnete Bürokratisierung den davon Betroffenen zu. Deshalb erntet ihre Mitteilung auch nicht den Jubel, den die Aussicht auf Entbürokratisierung hätte erwarten lassen. In mehreren Pflegeeinrichtungen unterschiedlicher Träger im Landkreis, bei denen wir nachgefragt haben, waren Zurückhaltung und Skepsis spürbar.

Was verlangen die Prüfer?

Für die Häuser der Caritas (Friedrich-Baur-Altenwohn-und Pflegezentrum St. Kunigund, Altenkunstadt, sowie Kathi-Baur-Alten- und Pflegeheim St. Heinrich, Burgkunstadt) sagt die zuständige Fachreferentin Christa Rimpf, die immense Dokumentation werde von den verschiedenen Prüfbehörden verlangt. Bei Nichteinhaltung verpflichteten sie die Einrichtungen, Stellungnahmen und Konzepte zu verfassen, wie sie den sogenannten Missstand der "schlechten Dokumentation" abstellen wollen. Wie sich die beabsichtigte Entbürokratisierung in den Qualitätsprüfungen vor Ort künftig auswirken wird, müsse man abwarten.

Thomas Petrak, der als Kreisgeschäftsführer des BRK für zwei Heime unter der Trägerschaft des Roten Kreuzes sprechen kann, machte die Problematik anhand konkreter Beispiele deutlich. In der Vergangenheit habe man erleben können, dass Aussagen des Fachpersonals gegenüber Prüfern nichts galten, wenn die schriftliche Dokumentation fehlte.

Welche Blüten das bisweilen treiben konnte, zeigt sich an der folgenden Beanstandung: Ein Heimbewohner, der sich wegen Schluckbeschwerden bei der Nahrungsaufnahme schwer tat, bekam breiige Kost aus einem Trinkbecher, was auch so dokumentiert wurde. Nachdem das Pflegepersonal festgestellt hatte, dass der Mann am besten mit dem Mundstück an einer speziellen, im Handel erhältlichen Trinkfertignahrung zurechtkam, nutzte man diese Erkenntnis. Man füllte dem Heimbewohner sein Essen fortan in die gereinigten Behälter dieser Art - ohne hierüber einen weiteren Vermerk zu schreiben. Dieser "Mangel" wurde gegenüber dem BRK angemahnt - kostenpflichtig!

Die Erfahrungen bei den zweimal im Jahr stattfindenden, unangemeldeten Kontrollen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen und die bei den Landratsämtern angesiedelte Heimaufsicht lassen die Verantwortlichen in den Pflegeheimen aktuell nur wünschen, dass ihre fachlichen Einschätzungen bei einer Bewertung akzeptiert werden - und nicht nur die ausgefüllten Fragebögen und Checklisten.

"Die Praxis hat mir mehrfach gezeigt, dass in Diskussionen zur Entbürokratisierung zum Beispiel das Abzeichnen von Leistungen im Verbund als Erleichterung angesehen wurde, aber bei Haftungsrechtlichen Prüfungen dann der Einzelnachweis gefordert wurde", unterstreicht Harald Klier als Vertreter der Diakonie, Träger des Katharina-von-Bora-Seniorenwohnhauses in Michelau. Die Pflegekräfte befürchten seiner Einschätzung nach vor allem, gegen den vermeintlichen Grundsatz "was nicht dokumentiert ist, ist nicht durchgeführt worden" zu verstoßen.

Daran hat die Mitteilung der Ministerin bislang offenbar nichts geändert. "Wir warten auf die Ergebnisse der Juristen mit breiter Erfahrung und Spezialisierung im Pflege- und Medizinrecht, die die Fragestellung der neuen Dokumentationssysteme nochmals ausführlich mit Pflegewissenschaftlern sowie weiteren einschlägigen Experten diskutieren sollten", sagt Klier.

Die kundgetane Absicht einer Entbürokratisierung freilich wird in den Einrichtungen als Chance gesehen. "Wenn alles gut geht, dann steht den Pflegeheimen eine Umwälzung bei der Pflegedokumentation ins Haus, die den zu Pflegenden Bewohnern und den Pflegefachkräften gut tun wird", meint Harald Klier. Endlich könnten Pflegende dann ihre Arbeit aus ihrem Know-how und ihrer fachlichen Einschätzung heraus begründen. Die neue Pflegedokumentation sollte auf das Können und Augenmaß der Pflegenden vertrauen, auch haftungsrechtlich.

Christa Rimpf von der Caritas gibt zu bedenken, dass diese neue Form der Dokumentation auch hohe Anforderungen an die Pflegenden stelle. "Die Beobachtungen müssen selbstständig interpretiert und nicht mit Hilfe von vorstrukturierten Fragebögen, sondern in einer frei formulierten Bewertung dokumentiert werden." Für fraglich hält sie es, ob dabei viel Zeit eingespart werden kann, die dann frei würde, um sich mehr den Heimbewohnern zu widmen. Für die Umsetzung der Veränderungen seien wiederum Schulungen und Zeit erforderlich.

Hunderte von Seiten

Bemerkenswert ist noch, dass das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege das Münchner Pilotprojekt Redudok ("Reduzierung der Dokumentation") begleitet, das Bundesministerium indes ein anderes Modell zum Bürokratieabbau in der Pflege unterstützt (worin das Landesministerium aber eingebunden ist). Allein der Abschlussbericht zu Letzterem umfasst 100 Seiten, der Projektbericht zu Redudok 109.

Für eine Frau der Praxis, wie die Leiterin des Bad Staffelsteiner BRK-Heimes, Elke Gäbelein, braucht es nur wenige Worte, um auszudrücken, was der Pflegearbeit und den Dokumentationen zugrunde liegen sollte: "Der gesunde Menschenverstand; Werte und Normen zu kennen - das genügt."