Ein Schloss und 400 Rindviecher
Autor: Natalie Schalk
Ebensfeld, Montag, 02. Sept. 2019
Wo Oma Antonia und ihre Familie einen heruntergekommenen Gutshof zu einem modernen landwirtschaftlichen Großbetrieb aufbauten.
Der Blick schwenkt über die Weite goldgelber Felder zu Staffelberg und Kloster Banz. Stattlich ruht das Herrenhaus auf dem Ummersberg. Den Weg säumen im Wind rauschende Birken. Ein schlossähnliches Gebäude, Türmchen, dahinter ein Park: In dieser filmreifen Kulisse fehlt eigentlich nur der junge Gutsbesitzer, der elegant gewandet auf seinem Pferd herantrabt - aber so kitschig ist die fränkische Realität nicht. Jochen Finkel trägt Jeans und ein graues T-Shirt, das er im Lauf unserer Begegnung gegen ein anderes graues T-Shirt austauschen wird. Der junge Landwirtschaftsmeister hat jede Menge zu tun. T-Shirt Nr. 1 sah schon am Morgen sehr nach Arbeit aus. Da trafen wir den 31-Jährigen auf einem Feld oberhalb von Eggenbach im Kreis Lichtenfels.
"Wegen des Vogelschutzes dürfen wir die Hecken nicht schneiden. Aber überhängende Äste müssen weg, das habe ich mit dem Landwirtschaftsamt geklärt. Sonst passiert nämlich so was", er zeigte auf den gebrochenen Außenspiegel am Traktor. Dann nahm er uns mit auf den Hof. Fünf Kilometer weiter überraschte uns das herrschaftliche Anwesen mit steinernen Löwen vorm Haus und Bronzestatuen im Park. Gut Ummersberg liegt einsam an der Straße zwischen Birkach und Busendorf und ist der kleinste Ortsteil der Gemeinde Ebensfeld. Wir wollen alle Einwohner kennenlernen. Aber erst einmal die Oma.
Der Ostpreuße und seine Franken
Antonia Marie Finkel, 80 Jahre alt, sucht Unterlagen heraus. Anno 1872 ließ sich der wohlhabende Arzt August Swaine auf dem Hof das schlossähnliche Wohnhaus bauen und den Park anlegen. Weil er keine Kinder hatte, erbte seine Cousine das Gut. Ihr Mann entstammte der ostpreußischen Adelsfamilie Conta und soll immer auf dem Turm gestanden haben, um zu schauen, ob die Leute auf den Feldern wirklich arbeiten. Manche sagen auch, er habe nur eine Puppe hinaufgestellt, damit sich die Arbeiter beobachtet fühlten. So oder so: Es nützte nichts. "Das waren ja mal 60 Hektar, so weit konnte der nicht schauen. Die Leute haben hinterm Berg das Getreide auf ihre eigenen Wagen umgeladen."
Antonia Marie Finkel erzählt in breitem Rheinhessisch, sie berichtet von ihrer Kindheit in einem Vorort von Mainz, von den Bomben im Zweiten Weltkrieg, von der neuen Währung D-Mark und davon, wie das Fernsehen Flächen brauchte. Da war sie jung verheiratet. "Mein Vater und mein Schwiegervater hatten beide landwirtschaftliche Betriebe. Sie haben sich zusammengetan und in ganz Deutschland einen neuen Hof gesucht." Sie fanden ihn in Franken, verkauften ans Fernsehen, ernteten 1963 zum letzten Mal in Mainz und säten im gleichen Jahr auf ihrem neuen Hof bereits Weizen und Roggen an.
Ein Mann aus dem Dorf habe zu ihr gesagt: "Ihr werdet in fünf Jahren nicht mehr da sein." Der Ummersberg sah damals nicht aus wie eine Filmkulisse. Er wurde auch "Hungersberg" genannt. Keiner der letzten Besitzer war hier klargekommen. "Die Adeligen haben nichts gearbeitet und für die anderen war's zu groß", erklärt die 80-Jährige. "Als wir den Betrieb übernommen haben, war alles kaputt. Haus, Garten: total verwahrlost. Wir haben gesagt: Wir müssen die Ärmel hochkrempeln." Ihr Ältester Jürgen war gerade geboren. "Der sollte Landwirt werden." Und Jürgen wurde Landwirt. Sein Sohn Jochen ebenso. "Ich wollte das immer", der 31-Jährige zögert: "Aber es macht nicht mehr so viel Spaß. Alles musst du vier Mal aufschreiben."
Kontrollen, Auflagen und Bürokratie
Er erzählt, dass heute noch die Untere Naturschutzbehörde kommt, außerdem der Veterinärarzt. Gemeinsam mit Vater Jürgen zeigt er uns hinten auf dem Gelände den modernen Stall, in dem 400 Bullen gemästet werden. Viel Licht, Luft, Technik wie der Futterroboter. Die Männer berichten von CL-Erzeugerkontrolle, Feldkontrolle, QS-Kontrolle. "Wenn ich als Einzelperson 'nen Betrieb in der Größe führen wollte, könnte ich draußen nichts mehr machen, nur noch Management", sagt Jochen Finkel. Der 31-Jährige spricht über die Auflagen, die Bürokratie. "Du wirst ständig durchleuchtet. Ist ja auch o.k., wenn du Lebensmittel produzierst."
Nicht o.k. finden die Landwirte, dass sie das Gefühl haben, zunehmend als Naturzerstörer angesehen zu werden. "Wir sind konventionell, und wir stehen dazu. Würden wir zum Beispiel gegen den Rapsglanzkäfer kein Insektizid einsetzen, hätten wir 60, 70 Prozent Ernteausfall." Jochen versucht zu erklären, dass die Landwirte überlegt handeln. "Sonst könnten wir die Bevölkerung nicht ernähren." Sein Vater ist deutlicher: "Alles, was woanders herkommt, ist besser angesehen. Argentinisches Rindfleisch von Farmen mit 120 000 Tieren: Das ist dann toll! Dort werden überall gentechnisch veränderte Pflanzen eingesetzt", grummelt er. "Ich will auch, dass es meinen Böden und dem Wasser gut geht und ich brauche die Bienen wie kaum ein anderer! Das ist unsere wirtschaftliche Grundlage." Sein Sohn ergänzt, er müsse auch eine Familie ernähren.