Ein politischer Mensch mit Humor
Autor: Markus Häggberg
Schney, Montag, 27. Mai 2019
Lässt sich ein Leben erfassen und zu ihm gar bilanzieren? Es soll solche Leben geben. Bei Heinz Gärtners Leben ist das fraglich.
Der Mann hat sich vorbereitet. Er wusste von dem Zeitungsbesuch und hat zur Arbeitserleichterung einen Lebenslauf erstellt. 20 Positionen sind dort aufgeführt, 20 Mark- und Wendepunkte eines Lebens als Umtriebiger. Lehre zum Maschinenschlosser, Facharbeiter, Wehrdienst mit Einzelkämpferausbildung, Panzer-Unteroffizier, Eintritt in die IG-Metall mit 16, in die SPD mit 17. "Wegen der Friedenspolitik Willy Brandts." Dann Stationen wie Betriebsratsvorsitzender, IG-Metall-Ortsverwaltung, Lichtenfelser Stadtrat von 1978 bis 2014, Heirat 1987, drei Kinder, DGB-Kreisvorsitzender seit 2002, aktueller Kassier bei den Schneyer Kleintierzüchtern, Berufsschulbeirat und so weiter und so fort.
Steht man in Heinz Gärtners Vorgarten, überragt einen die Europa-Fahne mit den zwölf Sternen um das Dreifache. Hier wohnt ein überzeugter Europäer und diese Überzeugung ist ihm eine ernste Sache. Gleich hinter der Wohnungstür wird es aber spaßig. Dafür sorgt Voltaire und das wie folgt: "Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein!" Dieses Zitat steht in großen Lettern auf der Glastür, auf die Uschi gute Sicht hat. Uschi ist eine Schaufensterpuppe und hat derzeit grüne Haare.
Heinz Gärtner ist ein witziger Mensch mit vielen Facetten, Begabungen und Erinnerungen. Eine der jüngeren Erinnerungen ist eine so politische wie menschliche. Sie ergab sich in Gestalt seines Großvaters, von dessen KZ-Inhaftierung in Dachau er den Entlassungsschein aufbewahrt. Auch er ein Heinrich (Langform von Heinz), auch er ein Sozi. Gärtner würde nicht sagen, dass sein Opa ihn politisiert habe. "Das mag eher beiläufig geschehen sein - durchs Zuhören."
Geburtsjahr 1949
Dass aus ihm ein politisch denkender und empfindender Mensch werden konnte, hält Gärtner lachend und nicht ganz ernst gemeint auch seinem Geburtsjahr 1949 zugute: "Ich habe was zu tun mit dem Grundgesetz und der Währungsreform." Dabei greift er zur Kaffeetasse mit "IG-Metall"-Aufdruck. Man sitzt auf der Terrasse im Garten. Es ist ruhig hier, es ist der rückwärtige Teil des Hauses. Ein Aquarium ist hier zu finden und in ihm schon enorme Kois.
Gärtner hat gerne Dinge um sich, nicht überladen, aber zur Betrachtung und sicher auch, um gute Erinnerungen aufsteigen zu lassen. So wie die an seine Zeit, als er als Facharbeiter für die Firma Kapp von 1969 bis 2012 auf der ganzen Welt unterwegs war.
Wie auch bei einer Panzerfirma im Ostblock. An einem Teilstück des russischen T 72 hatte Gärtner eine Arbeit vorzunehmen. "Im Kübelwagen ohne Fenster und mit abgenommenem Pass wurde ich in die Halle gefahren", so der Mann, der die Gesamtkonzeptionierung des feindlichen Kampfpanzers freilich nie zur Erfassung bekam.
Eigentlich wirkt er gar nicht wie viele Männer seines Alters. Derzeit liegt auf diesem Tisch eine Karte von Südengland. Dorthin wird es ihn in Bälde mit einer Reisegruppe ziehen.